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Menschenrechte als Leitlinie der deutschen (Außen-)Politik?

Menschenrechtsorganisationen ziehen eine kritische Bilanz und stellen Forderungen an die Bundesregierung

Sind die Menschenrechte Leitlinie der deutschen Politik, wie es der Deutsche Bundestag auf Antrag der Regierungskoalition 2002 formulierte? Was ist erreicht worden und welche Forderungen, die das FORUM MENSCHENRECHTE vor zwei Jahren formulierte, sind bisher unerfüllt geblieben? Wo müssen aufgrund der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen neue Akzente gesetzt werden?

Diese und andere Fragen hat zur Halbzeit der Legislaturperiode das FORUM MENSCHENRECHTE gestellt. Bei einer Pressekonferenz am 21. Oktober 2004 in den Räumen der Bundespressekonferenz in Berlin stellte das Forum eine Zwischenbilanz der Menschenrechtspolitik von Bundestag und Bundesregierung vor. Es sprachen Andreas Selmeci, Menschenrechtsreferat des Diakonischen Werks der EKD, Barbara Lochbihler, Generalsekretärin Amnesty International, und Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl.




Die "Zwischenbilanz" kann als pdf-Datei heruntergeladen werden:

Forum Menschenrechte: Für eine Kultur der Menschenrechte und der internationalen Rechtsstaatlichkeit in Deutschland

Die Forderungen des FORUMS MENSCHENRECHTE an Bundestag und Bundesregierung zur Halbzeit der Wahlperiode 2002-2006

Hier klicken: pdf-Datei


Die 16 Forderungen in Kurzform:
  1. Menschenrechte zur Querschnittsaufgabe machen
  2. Die Menschenrechtsmechanismen der UN stärken
  3. Menschenrechtsverträge vorbehaltlos ratifizieren, neue Standards unterstützen
  4. Die Mittel gewaltfreier Konfliktlösung mit Vorrang anwenden
  5. Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen beenden
  6. Völkermord und ethnische Verfolgung abwenden
  7. Frauen vor Gewalt schützen
  8. Kinder und Jugendliche schützen, fördern und beteiligen
  9. Weltwirtschaft gerecht gestalten, soziale Grundrechte weltweit sichern
  10. Armut im Inland bekämpfen
  11. Rechtsstaatlichkeit auch in der EU ausweiten
  12. Durch Freiheitsrechte Sicherheit für alle schaffen
  13. Einwanderung als Chance begreifen
  14. Verfolgten Asyl gewähren
  15. Rassismus und Diskriminierung entgegentreten
  16. Menschenrechtsbildung verwirklichen



Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel über die Pressekonferenz und anschließend die wichtigsten Forderungen der Menschenrechtsorganisationen in Kurzform:

Schily scharf, Fischer stumm

Forum Menschenrechte verlangt Beauftragte in allen Bundesressorts

Deutliche Kritik an der Menschenrechtspolitik Deutschlands hat am Donnerstag das Forum Menschenrechte geübt. In einer Halbzeitbilanz zur Arbeit der Bundesregierung werden Mankos in der Innen- wie der Außenpolitik benannt.

Berlin (ND-Kalbe). Die Reformen der Sozialversicherungssysteme und des Arbeitsmarktes sollen nach den Vorgaben des Grundgesetzes, der Auslegungstradition des Bundesverfassungsgerichts und völkerrechtlichen Normen überprüft werden. Das fordert das Forum Menschenrechte, Zusammenschluss von über 40 Nichtregierungsorganisationen in Deutschland. In seiner Halbzeitbilanz zur Politik der rot-grünen Bundesregierung werden erhebliche Mängel beim Menschenrechtsschutz beklagt.

Zwar habe die Bundesregierung beispielsweise mit der Gründung des Instituts für Menschenrechte Anstrengungen zur Erfüllung ihrer in der Koalitionsvereinbarung vereinbarten Ziele unternommen, jedoch weise Menschenrechtspolitik in Deutschland nach wie vor strukturelle Mängel auf, machte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von Amnesty International, am Donnerstag bei der Vorstellung in Berlin deutlich. Überdies gebe es Diskrepanzen nicht nur zwischen den erklärten Ansprüchen und ihrer Umsetzung, sondern auch bei der Gewichtung von sozialen, kulturellen und bürgerlichen Grundrechten.

Internationale Verträge wie die Kinderrechtskonvention und das Zusatzprotokoll zur Antifolterkonvention der UNO endlich ohne Wenn und Aber zu ratifizieren und umzusetzen, forderte Andreas Selmeci, Referent für Menschenrechte beim Diakonischen Werk. Menschenrechte würden in Deutschland überdies immer noch vorrangig als eine Sache der Außenpolitik behandelt, kritisiert das Forum. Die Berufung von Menschenrechtsbeauftragten in allen Bundesministerien, nicht allein im Außenamt, soll nach Vorstellung der Organisationen helfen, Menschenrechtspolitik als Querschnittsaufgabe umzusetzen. Eine kompetente Persönlichkeit solle überdies im Bundeskanzleramt sitzen, wo die »Linien der Politik formuliert« werden.

Auf besondere Kritik des Forums Menschenrechte stößt erneut die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Das derzeit diskutierte absolute Arbeitsverbot für geduldete Ausländer in Deutschland sei unvereinbar mit Menschenrechtsschutz und Grundgesetz, betonte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Während die Debatten um 25000 Arbeitskräfte aus dem Ausland geführt werde, wie sie der Zuwanderungsrat am Vortag vorgeschlagen hatte, werde bereits den Kindern langjährig in Deutschland geduldeter Menschen jeder Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. »Wer im Ausland Menschenrechte fordert, darf im Inland nicht blind sein«, so Burkhardt.

Deutliche Kritik übt das Forum an Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Dieser dürfe sich nicht als »Scharfmacher« betätigen, forderte Burkhardt unter Hinweis auf die Entwicklung der Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) müsse Stellung beziehen zu den außenpolitischen Aktivitäten seines Kabinettskollegen.

Statt Schweigen sei eine deutliche Stellungnahme Deutschlands gegen Verletzungen des internationalen Rechts nötig, auch wenn sie von EU-Partnern ausgehe. So stelle die Zurückweisung von über 1000 Flüchtlingen aus Italien nach Libyen einen Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention, die Genfer Flüchtlingskonvention und gegen den EU-Vertrag dar. Auch deutliche Stellungnahmen Deutschlands zu Menschenrechtsverletzungen in China und Russland fordert das Forum.

In ihrer Zwischenbilanz heben die Nichtregierungsorganisationen die »offene Zusammenarbeit« staatlicher Stellen und das Engagement des Bundestages für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern hervor. Den lobenswerten Bekenntnissen der Bundesregierung zur Krisenprävention entspräche jedoch die Praxis der Rüstungsexportpolitik nicht. Zugleich wird mit Blick auf berechtigte aktuelle Kritik der Unionsparteien am umstrittenen geplanten Panzerexport in die Türkei auf die Lieferung von Waffen und Munition Anfang der 90er Jahre verwiesen.

Aus: Neues Deutschland, 22. Oktober 2004


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