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Den Krieg ächten – nicht nur die Folter!

Von Peter Strutynski

Die Diskussion um den sog. "Krieg gegen den Terror" nahm in den letzten Wochen des Jahres 2005 bizarre Züge an. Auf der einen Seite haben Enthüllungen über massenhafte CIA-Flüge mit mutmaßlichen Gefangenen den Blick auf die offenbar gängige völkerrechtswidrige Folter-Praxis des US-Geheimdienstes gelenkt und in Europa heftige moralische Reaktionen quer durch alle politischen Lager hervorgerufen. Andererseits ist bisweilen der Krieg selbst, als "Vater" und Heimstatt der Folter, darüber in den Hintergrund getreten. Wenn alle Welt von Folter spricht, bleiben keine Worte mehr für den Krieg.

In der Zeit der Prohibition und der großen Gangster (Al Capone, Lucky Luciano, Benjamin "Bugsy" Siegel, Jack "Legs" Diamond und wie sie alle hießen) kam es des öfteren vor, dass die Bosse großer und einflussreicher Verbrecherorganisationen jahrelang unbehelligt ihrem Handwerk nachgehen konnten, obwohl Justiz, Polizei und Öffentlichkeit über deren Treiben sehr wohl im Bilde waren. Was den Rechtsorganen, sofern sie am Recht wirklich interessiert und nicht selbst Teil des Verbrechens waren, fehlte, waren gerichtsverwertbare Tatsachen oder Indizien und glaubwürdige Zeugen, die auch vor Gericht auszusagen bereit gewesen wären und diese Bereitschaft auch überlebten. Nach allem, was wir über dieses ebenso schillernde wie unrühmliche Kapitel amerikanischer Kriminalgeschichte wissen, wurden die meisten Gangsterbosse nicht wegen ihrer Schwerverbrechen überführt und hinter Gitter gebracht (sofern sie die innermafiosen Rivalitäten überhaupt überlebten), sondern wegen vergleichsweise lächerlicher Verstöße sei’s der Straßenverkehrsordnung sei’s der Steuergesetze.

Die Öffentlichkeit in demokratischen Staaten verhält sich zu ihren Regierenden ähnlich wie die Staatsorgane zu den großen Gangstern. Der ehemalige US-Präsident Clinton hatte nie auch nur den Hauch einer ernst zu nehmenden Kritik an seiner zuweilen kriegerischen Außenpolitik fürchten müssen, während er beinahe wegen der Affäre mit einer seiner Assistentinnen über ein Amtsenthebungsverfahren gestolpert wäre. Manche meinen sogar, dass ihn der veritable Viertagekrieg gegen Irak im Dezember 1998 vor dem Schlimmsten bewahrt habe. Der frühere deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping blieb politisch unbehelligt, solange er die Bundeswehr unter Zuhilfenahme faustdicker Lügen in den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien führte. Gehen musste er erst, nachdem bekannt geworden wurde, dass er von einer geschäftstüchtigen PR-Firma einen satten "Vorschuss" für die Veröffentlichung seiner "Erinnerungen" erhalten hatte. Und eine der martialischsten Figuren der Zeitgeschichte, US-Präsident George W. Bush, hatte in seinem Heimatland solange nichts zu befürchten, als der Krieg gegen Afghanistan flutschte und das Irakabenteuer noch nicht gänzlich den Bach hinunter ging. Selbst eine zweite Amtszeit ist ihm vergönnt – dank eines Wahlerfolgs, den er als oberster Kriegsherr und selbst ernannter globaler Kämpfer für Freiheit und Demokratie erringen konnte. Seine Popularität begann erst zu sinken und schließlich sturzflugähnlichen Charakter anzunehmen, als sich Bush ein paar innenpolitische Blößen gab (z.B. bei der Flutkatastrophe in New Orleans) – im Vergleich zu dem Menschheitsverbrechen Krieg kleine Fische.

Nun sind natürlich Folter, Gefangenenmisshandlung, Verschwindenlassen und andere grobe Menschenrechtsverletzungen keine „kleinen Fische“ und die öffentliche Debatte darüber ist notwendig. Zumal sie in diesem Fall zeigt, wie tief auch deutsche Politik und Behörden in den weltweiten US-Krieg gegen den Terror verstrickt sind. Was der investigative Journalismus bisher in der CIA-Folteraffäre zutage gefördert hat, ist vermutlich zwar nur die Spitze eines Eisbergs, doch die reicht auch schon, um ein paar verallgemeinernde Erkenntnisse zu formulieren.
  • So zeigt etwa der Fall des verschleppten deutschen Staatsbürgers Khaled El-Masri, dass US-amerikanische Geheimdienste unter dem Mantel der Terrorbekämpfung Menschen willkürlich gefangen nehmen, von Flughäfen in Deutschland aus in andere Länder verfrachten und dort foltern lassen können, ohne dass deutsche Behörden, die zumindest nachträglich davon unterrichtet wurden, in Washington deswegen vorstellig geworden sind. So wird also die Vertretung der Interessen deutscher Staatsbürger im Ausland – eine wesentliche Aufgabe des Außenministeriums – der außerlegalen Antiterror-Strategie der USA untergeordnet.
  • Die Fälle des seit vier Jahren in Syrien inhaftierten deutschen Staatsbürgers Mohammed Haydar Zammar, des früher in Bremen lebenden und nach Guántanamo verschleppten türkischstämmigen Murat Kurnaz und des aus Mauretanien stammenden und längere Zeit in Duisburg lebenden Ould Slahi belegen die aktive Komplizenschaft deutscher Behörden mit den US-Geheimdiensten. Alle drei Männer wurden von deutschen Geheimdienstlern in den Foltergefängnissen aufgesucht und "befragt", wobei sie sich den Umstand zunutze machten, dass die Gefangenen durch die "Behandlung", die ihnen von Seiten der syrischen bzw. US-amerikanischen Wärter erfahren hatten, gefügig gemacht wurden. Dies zu leugnen, indem darauf aufmerksam gemacht wird, dass sich aus den "Akten" eine Misshandlung im Falle Zammars nicht ablesen lasse, wie Innenminister Schäuble zu Protokoll gab, disqualifiziert einzig und allein den Minister: Welche Folterknechte dieser Welt machen ihre Verbrechen schon aktenkundig?!
  • Des weiteren wird deutlich, dass deutsche Regierungsstellen bei Menschenrechtsverletzungen, die von den verbündeten USA begangen werden, nie von sich aus tätig werden, sondern erst reagieren, wenn die Öffentlichkeit bzw. die Medien oder wenn andere Regierungen solche Fälle publik machen und entsprechend skandalisieren. Die Wahrheit über den wahren Umfang des Mitwissens und der Komplizenschaft kommt immer nur scheibchenweise ans Licht. Und da in diese delikaten Fällen deutsche Geheimdienste involviert sind, stößt jede Aufklärung an eine „natürliche“ Grenze: Sachdienliche Informationen können jederzeit verweigert werden, da die erfolgreiche Arbeit der verdeckt arbeitenden Dienste ansonsten auf dem Spiel steht. Lediglich die „Parlamentarische Kontrollkommission“ des Bundestags könne weiter gehende Auskünfte verlangen und auch erhalten. Da sie selbst aber auch der Geheimhaltungspflicht unterworfen ist, bleibt sie eine stumpfe Waffe.
Über all diesen Verdachtsmomenten, die in der hiesigen Publizistik heiß diskutiert werden, darf nicht vergessen werden, dass die Foltervorwürfe deswegen heute Konjunktur haben, weil der Boden für wirkliche Folterhandlungen gründlich bereitet wurde. Spätestens mit dem 11. September 2001, als der Straftatbestand des "Terrorismus" in den Stand des "Krieges" erhoben wurde, gegen den nun der "Antiterrorkrieg" weltweit zu führen sei, wurden die politischen Weichen dafür gestellt, Kriminelle (und was sind Terroristen anderes als Kriminelle?!) nicht mehr wie Kriminelle, sondern wie illegale Krieger, mithin nicht einmal wie „Kombattanten“ zu behandeln. Außerlegale Krieger oder Kämpfer, wie sie von der US-Administration seit den ersten Gefangennahmen in Afghanistan genannt werden, werden nun auch außerhalb jeden Rechts gestellt. Guántanamo ist das Synonym für eine Behandlungen von Menschen, die ihren Status als Menschen verloren haben. Sie haben alle Rechte, die seit der Magna Charta, seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung oder seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Bestandteil des internationalen und nationalen Rechts sind, verwirkt.

So wenig die Menschenrechte auf diese Gefangenen Anwendung finden, so wenig findet auch das Völkerrecht Beachtung in den von den USA und ihren Verbündeten gestalteten internationalen Beziehungen. Was 1928 mit dem Briand-Kellogg-Pakt eingeläutet worden war und 1945 in der Charta der vereinten Nationen verankert wurde: die Ächtung des Krieges als Mittel der Politik, feiert unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung wieder fröhliche Urstände. Das Gewaltverbot, das für alle Staaten Geltung hat, wird zunehmend von wenigen Staaten, die sich dazu berufen fühlen, in ein Gewaltgebot uminterpretiert. Dies war der Sinn der Worte George W. Bushs 2001, als er ausrief: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." D.h. wer nicht an unserer Seite das Gewaltmittel des Krieges gegen den internationalen Terrorismus einzusetzen bereit ist, macht sich zum Fürsprecher und Komplizen der Terroristen.

Die Bundesregierung rot-grüner und jetzt schwarz-roter Provenienz ist längst auf diese Spur eingeschwenkt. Schon der Jugoslawienkrieg, der noch vor der angeblichen Zeitenwende des 11.9. stattfand, hatte deutlich gemacht, dass das Völkerrecht nichts gilt, wenn politisches Kalkül – damals unter dem Mantel der "humanitären Nothilfe" – einen Angriffskrieg verlangt. Beim Afghanistankrieg drängte sich der damalige Verteidigungsminister Scharping den USA geradezu auf, doch bitte teilnehmen zu dürfen am ersten "Feldzug gegen den Terror". Und auch die Ablehnung des Irakkriegs durch die Bundesregierung geschah nie aus Gründen des Völkerrechts, sondern ausschließlich aus politischen Erwägungen. Schließlich wird auch die Bundeswehr seit Jahr und Tag zu einer reinen Interventionsarmee umgebaut – zu einem ständigen Instrument des potenziellen Völkerrechtsbruchs also.

Hier sind wir beim Kern des Problems: Ob die Abgeordneten der Bundestagsfraktionen, ob Regierungsmitglieder, ob das Europäische Parlament, die Brüsseler Kommission oder der Beauftrage für die Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, ihre Stimme noch so sehr erheben gegen mutmaßliche Menschenrechts- (und Flugraum-) –verletzungen durch die USA, diese Proteste bleiben letztlich scheinheilig oder wirkungslos, wenn sie nicht auch den dahinter stehenden Krieg ins Visier nehmen. So richtig es ist, die Verstöße gegen das Folterverbot, die Genfer Konvention, und andere Regelungen des humanitären Kriegsvölkerrechts beim Namen zu nennen und zu brandmarken, so falsch wäre es, dabei stehen zu bleiben und das größte Übel der Menschheit, den völkerrechtswidrigen Krieg, davon auszunehmen. Wer von Folter spricht, darf vom Krieg nicht schweigen.

Condoleezza Rice und Angela Merkel

FRAGE: Vielen Dank. Nicholas Kralev von der Washington Times. ... Und Frau Außenministerin, sie haben gestern über die Verantwortung jeder Regierung gesprochen, ihre Bürger zu schützen. Denken Sie, dass in Europa zu viel mit dem Finger auf Washington gezeigt wurde und dass die Regierungen hier eigentlich einige der Antworten auf die Fragen liefern sollten, die in den letzten Wochen aufgeworfen wurden?

BUNDESKANZLERIN DR. MERKEL: Ich glaube erstens, dass es nicht nur um die Frage der inneramerikanischen Rechte, sondern auch der internationalen Konventionen gegen Folter geht. Das ist eine wichtige Angelegenheit. Insofern ist das schon ein sehr wichtiges Statement. Ich glaube auch, dass, soweit das auf der Basis der jeweiligen Gesetzmäßigkeiten in den Ländern möglich ist, unsere Dienste auch kooperieren sollten. Das ist wichtig. Wenn wir uns einer gemeinsamen Wertegemeinschaft verpflichtet fühlen, dann müssen auch die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen in einem schwierigen Kampf gegen neue Bedrohungen gemeinschaftlich genutzt werden. Insofern glaube ich, dass das möglich ist; natürlich immer auf der Basis von Recht und Gesetz des jeweiligen Partnerlandes.

US-AUSSENMINISTERIN CONDOLEEZZA RICE: Ich möchte besonders betonen, dass es sich um einen Rechtsstaat handelt. Wir sind ein Rechtsstaat. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um im Rahmen der Gesetze vorzugehen. Wir haben gemeinsame Werte und gehen nach rechtsstaatlichen Prinzipien vor. Was unser Vorgehen betrifft, werden wir die US-Gesetze und unsere internationalen Verpflichtungen einhalten. Wir werden alles tun, was wir im Rahmen der Gesetzeslage tun können, um die Menschen zu schützen.
Es ist auch notwendig, dass unsere Nachrichtendienste erfolgreich zusammenarbeiten können, wenn es sich um die gleiche Zielsetzung handelt. Ich möchte nur daran erinnern, dass bei dieser Art von Krieg die nachrichtendienstlichen Informationen von ausschlaggebender Bedeutung sind, um den Erfolg herbeizuführen. Es geht darum, dass man Pläne aufdeckt, ehe Verbrechen begangen werden. Das ist natürlich eine Arbeit der Nachrichtendienste, und zwar in einem größeren Umfang, als das bei den Strafverfolgungsbehörden der Fall gewesen ist. Man darf nicht vergessen, dass diese Terroristen Massenmorde gegen unschuldige Zivilisten verüben wollen. Das ist das Ziel. (Die Anschläge) betrafen eine Hochzeit in Amman und Schulkinder in Beslan. Es handelte sich um Pendler in U-Bahn-Stationen in Madrid und auch London, die zu ihren Arbeitsstellen fahren wollten. Man darf nicht vergessen, dass (die Terroristen) gegen unschuldige Bürger und Zivilisten vorgehen. Es gibt natürlich bei solchen Gefahren eine Pflicht, an solche Verbrecher heranzukommen, ehe diese Taten begangen werden.

Auszug aus einer Pressekonferenz am 6. Dezember 2005 in Berlin;
Hier geht es zum gesamten Manuskript:
"Das ist ein guter Anfang für zukünftige intensive Beziehungen"
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