Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mission Impossible

Ein Kommentar zum Deutschland-Besuch der US-Außenministerin Condolezza Rice

Von Luz María Destéfano de Lenkait*

Der jüngste Besuch von Außenministerin Condolezza Rice in Berlin war offensichtlich eine sehr schwierige Mission, um nicht zu sagen eine Mission impossible: Als höchste Beamtin der US-Regierung mußte sie die demokratischen Werte ihres Landes vertreten, gerade die Werte, die die Administration Bush, der sie untersteht, kontinuierlich verletzt. Nicht nur in Deutschland, wie jetzt bekannt ist, sondern weltweit. Die öffentliche Erklärung von Condolezza Rice, eine entsprechende Korrektur anzukündigen, ist leider unglaubwürdig. Eine Regierung, die sich anmaßt, rücksichtlos ihre eigene unilaterale Interpretation von Recht und Gesetz durchzusetzen, schließt jede Korrektur aus. Solche Macht-Eliten verstehen etwas von Diktat, nicht aber von Kooperation.

Seit dem 11.9.2001 erleben wir so drastisch wie nie zuvor die Eskapaden der Bush-Regierung, als ob der Rechtsstaat in den USA nicht mehr existiere und das Völkerrecht nichts mehr gelte. Bush will das Völkerrecht außer Kraft gesetzt sehen. Vor dieser Wirklichkeit stehen Deutschland und alle andere Staaten. Wie sollen sie mit einem Partner umgehen, der sich nicht an internationale Abmachungen hält? Die internationale Erfahrung mit der völkerrechtsbrechenden Hitler-Regierung darf kein Präzedenzfall für heute sein, allein deswegen, weil die US-Regierung viel gefährlicher ist als es die Hitler-Regierung je war.

Mit China, Iran und anderen Autokratien, wo die Achtung der Menschenrechte zu bedenken war und ist, gab es immer und gibt es Dialog und inoffizielle Verbindungen, um die prekäre Lage dort zu ändern. Gerade das fehlt völlig in bezug auf die USA trotz dringender Erforderlichkeit. Die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Bevölkerung verdienen mehr Aufmerksamkeit und Sorge von einem befreundeten Staat wie Deutschland, weil sie jetzt in Not sind, was Demokratie und universell gültige Menschenrechte betrifft, beides Dinge, die die USA geehrt hat, wo jetzt die Rechtsauffassung der Bush-Administration Einschränkung und Diskriminierung weltweit anwendet. Deutschland ist deshalb verpflichtet, seine Verbindungen zu den US-Institutionen und dem Kapitol zu stärken und zu vervielfachen. Ein anderes Land mit langer demokratischer Tradition wie Chile verfiel durch die kriminelle Intervention einer vorhergehenden skrupellosen amerikanischen Administration, die von Richard Nixon, in die Not eines Unrechtsstaats unter der Diktatur von General Pinochet und hat gerade durch eine gezielte Unterstützung deutscher Politiker mit ihren vielfältigen Verbindungen zur chilenischen Opposition die Demokratie wiedererlangt.

Ein Land wie die Vereinigten Staaten, das mächtigste Land überhaupt, das sich nicht an Recht und Gesetz hält, ist ein Problem und eine Gefahr für die Welt, aber an erster Stelle für sich selbst und für Deutschland, wo es die größte Militärpräsenz der Welt unter eigener Kontrolle unterhält. Hier ist die Souveränität des Landes tangiert. Deutschland muß seine volle Souveränität wieder erlangen. Das hat leider die Regierung Schröder-Fischer versäumt, konsequent zu verfolgen. Der forcierte Rücktritt der damaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin aus der Regierung Schröder unter Druck der US-Botschaft war ein Verlust für diesen notwendigen politischen Schritt. Ein Faux-Pas des damaligen Kanzlers gegen das im Interesse Deutschlands, ein Faux-Pas, der sobald wie möglich im Interesse Deutschlands jetzt korrigiert werden muß.

Eine parlamentarische Untersuchung, um ein Delikt amerikanischer Behörden aufzuklären und die Verantwortlichkeiten von deutschen Regierungsbeamten festzustellen, wie Innenminister Otto Schily und Außenminister Joschka Fischer, wäre bestimmt ein Vorbild und ein unmißverständliches Signal für Washington. Das Schweigen eines Regierungsbeamten in bezug auf ein potentielles Verbrechen aufgrund einer angeblichen Freundschaft mit dem amerikanischen Botschafter steht am Rand des Gesetzes. Als Jurist ist sich Otto Schily dessen besser bewußt als jeder andere. Er ist den Gesetzen, der Verfassung und allen Institutionen des deutschen Rechtsstaats verpflichtet. Durch sein Schweigen macht er sich, wenn nicht zum Komplizen so doch mindestens zum Begünstigenden eines Verbrechens genauso wie Joschka Fischer, der bisher auch schweigt.

Ein folgerichtiger Schritt wäre, den US-amerikanischen Botschafter, Daniel Coats, vor einen Ausschuß des Bundestages offiziell zu zitieren, um ihn zu verhören. Eine erforderliche Protest-Note bleibt bisher aus ebenso wie die Einbestellung des US-Botschafters zum Auswärtigen Amt. Ein Außenminister und seine Spitzenbeamte, die diese elementaren Instrumente ihres Ressorts nicht einzusetzen wissen, gehören verabschiedet und durch kompetente Personen ersetzt. Der letzte Schritt bleibt offen und Sache der Regierungsentscheidung eines souveränen Rechtsstaates: die Erklärung des amerikanischen Botschafters als Persona non grata. Die Bush-Regierung hätte schon längst ihre Vertretung in Berlin durch einen anderen Diplomaten ersetzen müssen. Dies entspräche der demokratischen Würde einer Administration, wie sie die US-Außenministerin Condolezza Rice auch bei ihrem letzten Europa-Besuch am besten zu vertreten versucht.

Ausgerechnet aus einem bis jetzt unaufgeklärten Verbrechen in den USA heraus, der 11.9.2001, wurde die Bush-Regierung Richter, Gesetzgeber und Exekutive zugleich für weitere Angriffe und Attentate in der Welt. Auffällig ist das Desinteresse der Bush-Regierung, den 11.9. gründlich untersuchen zu lassen und aufzuklären. Diese seltsame Zurückhaltung auf höchster Ebene, die ohne jegliche Untersuchung einen Sündenbock schon 48 Stunden nach dem Attentat durch eine maßlose propagandistische Orchestrierung weltweit öffentlich präsentierte, erinnert nur zu gut an den kläglichen Mord von Präsidenten John F. Kennedy, ein Verbrechen, das auch unaufgeklärt blieb. Allerdings folgten auf beide Attentate, sowohl auf den Mord von Kennedy wie auf den 11.9. weltweite kriegerische Konsequenzen, Aggressionen, die nicht möglich gewesen wären ohne solche Attentate.

In Anbetracht dieser Tatsachen und Umstände ist es völlig unangebracht, von Wertegemeinschaft zu sprechen. Schon seit langem gibt es sie nicht mehr. Seit dem Mord an Präsident John F. Kennedy sind die USA in einen Zustand politischer Verwahrlosung verfallen. Sie befinden sich an einem Abgrund der Gesetzlosigkeit, der Barbarei, was die Distanzierung zur US-Regierung verlangt. Von Bündnispflichten zu sprechen ist deshalb heute so stark wie nie zuvor völlig deplaziert. Entsprechende Verträge sind nach offenen und ehrlichen Gesprächen mit der US-Seite zu revidieren.

* Luz María Destéfano de Lenkait, Meerbusch; Juristin und Diplomatin a.D.


Zurück zur Seite "Menschenrechte"

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage