Medien: Gift für den Krieg?
Bericht über eine spannende Podiumsdiskussion während der Sommerakademie 2003 auf Burg Schlaining
Während der Sommerakademie auf Burg Schlaining Anfang Juli 2003 fand eine Podiumsdiskussion über die Roll der Medien vor dem Krieg, im Krieg und nach einem Krieg statt. Titel: "Der ´permanente Krieg` in den Medien". Es nahmen auf dem Podium teil: Walter Feichtinger, Offizier und Konfliktforscher des Landesverteidigungsakademie Wien, Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Wien, Livia Klingl (vom Wiener "Kurier") und Cornelia Krebs (vom ORF). Die Leitung hatte Wolfgang Machreich, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Die Furche"). Über eine weitere Veranstaltung zum Thema "Medien und Krieg" haben wir mit einem Referat von Heinz Loquai: "Medien als Weichensteller zum Krieg" berichtet.
Für die "Furche" fasste Wolfgang Machreich wichtige Teile der Diskussion in einem Gespräch zusammen, das wir im Folgenden dokumentieren.
Über die Rolle der Medien im Krieg debattieren Konfliktforscher Walter Feichtinger, Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell und die Journalistin Livia Klingl*.
Die Furche: Herr Feichtinger, wie gestaltet sich aus der Sicht eines
Militärs die Zusammenarbeit zwischen Medien und Streitkräften im Krieg?
Walter Feichtinger (Landesverteidigungsakademie Wien): Im Prinzip passen
Kriegsführung und Berichterstattung nicht zusammen. Denn Medien sind
Gift für die Kriegsführung. Medien müssen berichten. Streitkräften
hingegen ist ? schon aus Gründen der eigenen Sicherheit ? sehr viel an
Geheimhaltung gelegen. Aus Erfahrung weiß aber die militärische Seite,
dass Medien im Krieg aus politischen Gründen nicht zu verhindern sind.
Gegen die Medien ist heute kein Krieg mehr zu führen. Daher versucht die
jeweilige Militärführung die Medien bestmöglich zu nutzen, sich ihrer zu
bedienen und sie in die Kriegsführung und vor allem die eigene Strategie
einzubinden. Das geschieht, indem eine gewisse, nicht zu große und vor
allem nicht kriegsentscheidende Dosis an Information zugelassen wird.
Livia Klingl (Kurier): Die Meinung, dass man einen Krieg nicht gegen die
Medien führen kann, halte ich für vollkommen falsch. Als amerikanischer
Präsident kann man möglicherweise keinen Krieg gegen die amerikanischen
Medien führen. Aber das ist noch nicht getestet worden, weil die
amerikanischen Medien äußerst patriotisch agieren ? spätestens im Krieg.
Aber die Fernsehstationen und Zeitungen in Europa waren im Fall des
Irak-Kriegs keineswegs kriegsgeil ? und dieser Krieg ist trotzdem
geführt worden.
Fritz Hausjell (Universität Wien): Ich glaube nicht, dass Medien von
Seiten des Militär generell als Gift klassifiziert werden. Da würde man
die ganze Kriegsberichterstattung auf den Kopf stellen. Bei einer
solchen Analyse haben wir zu sehr Vietnam in Erinnerung. Im letzten
Irak-Krieg ? aber nicht nur dort? hatte das amerikanische Militär großes
Interesse an Kriegsberichterstattung. Gerade durch die em -phatischen
Berichte der "embedded journalists", der eingebetteten Journalisten,
versuchten die Amerikaner, den Gegner zu beeindrucken. Auf der anderen
Seite brauchen Militär und Politik die Medien, um Rückhalt in der
eigenen Bevölkerung zu bekommen. Das Militär ist deshalb an einer
bestimmten Medienberichterstattung sehr interessiert. Dass es zwischen
Militär und Medien aber nicht immer nur ein harmonisches Verhältnis
gibt, liegt hoffentlich an der Qualität des Journalismus.
Livia Klingl: Die amerikanischen Medien haben etwas gemacht, was ich für
verboten halte. Sie haben die "eingebetteten Journalisten" erfunden.
Diese Kollegen sitzen in einem Panzer mit einer Handvoll Soldaten. Sie
spüren dieselbe Angst, sie schwitzen, sie langweilen sich genauso ? die
Journalisten teilen alle Gefühle, die auch die Soldaten haben. Das führt
natürlich zu einer unglaublichen Distanzlosigkeit ? und das ist das
Gegenteil von Journalismus.
Hausjell: Ich gehöre als Kommunikationswissenschafter einer Disziplin
an, die wesentlich mit Krieg zu tun hat. Denn die meisten
zeitungswissenschaftlichen Institute im deutschsprachigen Raum sind
Kinder des Krieges. Nach dem Ersten Weltkrieg war eine Vielzahl
deutscher Politiker und Militärs der Meinung, dieser Krieg sei an der
Heimatfront verloren gegangen. Die Propaganda der Alliierten hätte
besser funktioniert als die eigene. Die Folge war eine Gründungswelle
von zeitungswissenschaftlichen Instituten. Diese Institute haben
wiederum dazu beigetragen, dass eine Frühform der eingebetteten
Journalisten im Zweiten Weltkrieg an der Front eingesetzt wurde.
Feichtinger: Der in die kämpfende Truppe eingebettete Journalist erhält
eine genau definierte Informationsdosis vermittelt. Damit kann die
Militärführung nicht nur die schädigende Wirkung von Journalisten
ausschließen. Ganz im Gegenteil, durch die Einbettung der
Berichterstatter lässt sich sogar ein positiver Effekt erzielen: Wenn
der Journalist mit den Soldaten um sein Leben zittert, wenn er die
gleiche Unbill erleiden muss, wenn er das gleiche Informationsdefizit
hat wie der Soldat ? dann berichten sie ausschließlich darüber. Das sind
genau die Puzzlesteine, die sie sehen und fühlen.
Klingl: Und dann bekommen drei Panzer, die im Sandsturm feststecken,
eine Scheinbedeutung, die sie natürlich nie haben.
Hausjell: Die eingebetteten Journalisten basieren auf dem PR-Prinzip:
schaffe Nähe, schaffe Vertrauen, schaffe Vorteile für Journalisten. Die
danken es mit einer loyalen Berichterstattung. Schauen Sie sich den
Reise- oder Motorjournalismus an: Der ist ja fast klinisch frei von
jeglicher Kritik.
Feichtinger: Journalistische Schemata werden ohne Differenzierung über
die unterschiedlichsten Ereignisse drüber gestülpt. Vom Krieg wird
berichtet wie von der Formel 1, einem Schirennen oder dem Grubenunglück
in Lassing. Medien tragen dazu bei, dass Krieg mehr und mehr zur
alltäglichen Realität in den Köpfen der Zuseher und Leser wird.
Hausjell: Krieg findet ja auch in Medien nahezu täglich statt.
Außenpolitische Berichterstattung ist zu 40 bis 60 Prozent
Kriegsberichterstattung. Und Krieg hat eine unglaublich hohe Affinität
zu Medien. Krieg ist heute ein Event, das man entsprechend leicht
journalistisch begleiten kann und das zu teilweise unglaublichen Quoten
führt. Das US-amerikanische Magazin Newsweek hatte beim Golfkrieg 1991
bis zu 90 Prozent Auflagensteigerung gehabt. Und CNN hat sich überhaupt
saniert. Insofern ist Krieg ein Geschäft für die Medien.
Klingl: Dass Krieg ein Geschäft ist, das mag für amerikanische
Fernsehstationen und Nachrichtenmagazine richtig sein. Für
österreichische Zeitungen ist Krieg kein Geschäft. Krieg hat eine
Faszination für ein paar Tage. Da steigt die Auflage massiv. Und dann
muss man weiterhin intensiv berichten, um zu verhindern, dass die
Auflage stark absackt. Aber es ist nicht mehr so wie vor ein paar
Jahren, dass ein Krieg Zehntausende dazu bringt, die Zeitung zu lesen.
Was auch logisch ist: Man hat Internet, man hat 36 oder mehr
Fernsehkanäle…
Hausjell: Kriege sind zum Teil auch immer eine Niederlage für den
Journalismus. Ein ökonomischer Sieg für wenige, aber für den
Journalismus, der bemüht ist, aufzuklären, sind Kriege sehr häufig eine
Niederlage.
Feichtinger: Westliche Gesellschaften leiden unter Realitätsverzerrung,
Ungeduld, Reizüberflutung und Sensationslüsternheit. Im Zusammenhang mit
dem Kosovo-Krieg 1999 habe ich einen Artikel in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung mit dem Titel gelesen: "Ist heute Krieg oder
Fußball?" Man muss sich das verinnerlichen, dass hier für den
Medienkonsumenten der Krieg mit dem Fußball gleichgestellt wird.
Die Furche: Es gibt genug Journalisten, die in der Innenpolitik zu
Zynikern werden. Wie verändern Kriege die Sichtweise von Journalisten,
die mitten drin im Kriegsgeschehen sind?
Klingl: Ich kenne keine österreichischen Journalisten, die permanent im
Krieg sind. Ich bin fast immer die einzige gewesen, die irgendwo in
Kriegsgebieten aufgetaucht ist. Die Medienlandschaft in Österreich kann
es sich gar nicht leisten, Menschen vor Ort zu schicken. Das hat zur
Folge, dass Kriegsjournalismus in Österreich darin besteht, dass Leute
den ganzen Tag die Erlebnisse und Informationen Dritter weitergeben.
Hausjell: Es stellt sich ja auch die Frage, ob sich
Kriegsberichterstattung lohnt? Meine Antwort: Es bringt überhaupt nichts
außer hohem Risiko. Und man macht es wahrscheinlich, wenn man jung und
naiv ist. All das, was man sonst im Journalismus leisten möchte
? z.B. Hintergründe aufdecken ? kann man nicht. Man kennt diese
Gesellschaft nicht. Man kommt kurzfristig hin. Man hat keine
Gewährsleute, kennt keine Informanten. Andererseits hat
Kriegsberichterstattung auch einen Sinn: Die inszenierte Befreiung einer
amerikanischen Soldatin aus einem irakischen Krankenhaus, wäre nicht
aufgedeckt worden, wären nicht Journalisten dort gewesen. Wir wüssten
nichts davon.
Die Furche: Wäre diese aufdeckende Art von Kriegsberichterstattung der
erste Schritt zu Friedensjournalismus?
Hausjell: Jede Kriegsberichterstattung könnte, auch wenn nach einem
Krieg umfangreich berichtet wird, ein Stück Friedensjournalismus sein.
Wieder an die Orte der Kriege hinfahren und zeigen, was Kriege
langfristig an Katastrophe bedeuten.
Klingl: Kriegsberichterstattung besteht für mich keineswegs
ausschließlich darin, dass man militärischen Ereignissen breiten Raum
gibt. Sonst bräuchte man sich ja nur die Pressekonferenzen der
Militärsprecher anhören. Kriegsberichterstatter können aber sagen,
schreiben, melden, dass sich die Leute im Kriegsgebiet fürchten. Als
Kriegsberichterstatterin kann ich verschiedene Varianten dieser
begründeten Angst beschreiben. Dann ist man weg von der Propaganda, die
das Regime oder das Militär mit einer vorhat. Dann ist man aber im
wirklichen Kern jedes Krieges: bei den Opfern. Ich weiß zwar nicht, was
Friedensjournalismus ist. Ich weiß nur, dass Journalismus informieren
soll. Für mich wäre Friedensjournalismus das Augenmerk auf jene zu
legen, auf deren Rücken jeder Krieg geführt wird. Dazu muss man aber
dort sein.
Das Gespräch in Schlaining moderierte Wolfgang Machreich.
* Buchtipp:
Menschen zwischen den Fronten. Erlebnisse einer Kriegsberichterstatterin. Von Livia Klingl.
NP Buchverlag St. Pölten 2002, 256 Seiten, EUR 21,90
Zum Thema "Medien und Krieg" vgl. auch:
Medien als Weichensteller zum Krieg
Von Heinz Loquai (Vortragsmanuskript Sommerakademie 2003 auf Burg Schlaining (Österreich)
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