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Tödlicher Job für 60 Journalisten

Reporter ohne Grenzen mit Bilanz 2008

Paris (AFP/ND). Die Zahl der getöteten Journalisten ist in diesem Jahr nach den Erhebungen der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) zurückgegangen. 2008 seien weltweit mindestens 60 Journalisten und ein Medienmitarbeiter in Ausübung ihres Berufs getötet worden, teilte die Organisation am Dienstag mit. Dies seien 26 Journalisten und 19 Medienmitarbeiter weniger als 2007. Auch wenn die Lage »nicht so alarmierend wie in den Vorjahren sei«, bliebe sie »insgesamt schlecht«, erklärte die Organisation, die ein verstärktes Vorgehen gegen Vertreter von Onlinemedien und gegen Blogger beklagte.

Irak bleibt demnach mit 15 getöteten Journalisten das unsicherste Land für Medienmitarbeiter. Es folgten Pakistan (sieben Tote) und die Philippinen (sechs Tote). In Afrika wurden drei Journalisten getötet - nach zwölf 2007. Reporter ohne Grenzen sieht in dem Rückgang auch eine Folge des Verzichts vieler Berichterstatter, ihren Beruf angesichts der gefährlichen Lage noch auszuüben.

»Fast nie« würden Morde an Journalisten durch die Justiz der betroffenen Länder aufgeklärt, hieß es in der ROG-Jahresbilanz. In vielen Ländern seien Journalisten zudem weiter in Gefahr, bei unliebsamer Berichterstattung ins Gefängnis geworfen zu werden. 673 Journalisten seien 2008 verhaftet oder festgenommen worden -- nach 887 im Vorjahr. »Das traurige Schauspiel von Journalisten in Handschellen« bleibe damit »auf fast allen Kontinenten alltäglich«, hieß es. Die »größten Gefängnisse für Journalisten« seien auch in diesem Jahr wieder China (30 Inhaftiere) und Kuba (23 Inhaftierte).

Der Rückgang der Todesfälle unter Journalisten heiße nicht, »dass sich die Lage der Pressefreiheit verbessert hätte», erklärte die deutsche Vertretung.

»Mit der wachsenden Bedeutung von Onlinemedien und Blogs konzentrieren viele Regierungen ihre repressiven Maßnahmen stärker auf das Internet.« So sei Anfang 2008 in China erstmals ein Mann getötet worden, der sich als »Bürgerjournalist« im Internet engagiert habe: Kommunale Polizeibeamte hätten den chinesischen Unternehmer Wei Wenhua erschlagen, als er Auseinandersetzungen mit Demonstranten gefilmt habe. Fälle von Online-Zensur wurden in 37 Ländern dokumentiert, allen voran Syrien mit 162 zensierten Webseiten, China mit 93 Seiten sowie der Iran mit 38 Seiten, wie ROG aufzählte.

Dagegen stellte die Organisation insgesamt einen Rückgang der Zensur fest: Nach 528 Fällen wurden 2008 noch 353 bekannt. In ihrer Bilanz dokumentiert Reporter ohne Grenzen nur Fälle, die eindeutig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Berufsausübung in Verbindung stehen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2008


Dokumentiert: Auszüge aus dem Jahresbericht

ROG-Bilanz 2008:

Bessere Zahlen trotz feindlichen Klimas und mehr Repression im Internet

Asiatisch-pazifische Staaten, Länder in Nordafrika und im Nahen Osten sind weiterhin die gefährlichsten Regionen für Journalisten. Der Irak bleibt mit 15 getöteten Journalisten das unsicherste Land für Medienmitarbeiter. Danach folgen Pakistan (7) und die Philippinen (6). In Mexiko, genauso wie in Georgien, wurden vier Journalisten während oder wegen ihrer Arbeit getötet.

In Afrika ist die Todesrate unter den Journalisten zwar gesunken – von zwölf im Jahr 2007 auf drei in diesem Jahr. Doch der Grund für diese Entwicklung liegt nicht im besseren Schutz von Journalisten. Vielmehr verschwinden Nachrichtenmedien in Kriegszonen wie Somalia zunehmend. Viele Journalisten geben auch ihren Beruf auf oder flüchten ins Exil - als Folge von Drohungen und Gewalterfahrungen.

Die Zahl der Festnahmen über 48 Stunden hinaus ist besonders hoch auf dem afrikanischen Kontinent: Für Journalisten ist es dort fast schon zur Routine geworden, eine Weile im Gefängnis zu verbringen. Haftstrafen drohen, wenn sich höherrangige Beamte oder Angehörige der Regierung durch Kritik von Journalisten beleidigt oder „gestört“ fühlen oder Medien politische oder gesellschaftliche Tabu-Themen aufgreifen.

Aufgrund der Sicherheitslage im Irak nimmt die US-amerikanische Armee immer wieder irakische Journalisten (31) fest, die für lokale und internationale Medien arbeiten.

Viele der insgesamt 38 Verhaftungen in China standen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen.

In Birma wurden im Jahr 2008 insgesamt 17 Journalisten festgenommen.

Regionale Verteilung 2008

Regionen Getötet Festgenommen Körperlich angegriffen oder bedroht Zensierte Medien Entführt
Afrika3263117419
Asien/Pazifik2660106700
Amerika71274147216
Europa/GUS-Staaten886168790
Nordafrika/Naher Osten16137124914
Gesamt6067392935329


Reporter ohne Grenzen:
Die Zahlen sind niedriger als im vergangenen Jahr. Aber diese Entwicklung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass sich Einschüchterung und Zensur ausgeweitet haben, auch in westlichen Staaten. Die autoritärsten Regierungen haben den Druck auf unabhängige Medien und Journalisten erhöht. Zahlenmäßige Verbesserungen in der Jahresbilanz hängen auch damit zusammen, dass Journalisten entmutigt wurden: Sie suchen sich weniger gefährliche Tätigkeitsfelder oder gehen ins Exil. 60 Todesfälle, Hunderte von Festnahmen und systematische Zensur bieten keinen Grund für Optimismus.



Blogger und Internet zunehmend im Visier

Im Jahr 2008 gab es weniger Todesfälle oder Verhaftungen unter Journalisten, die für traditionelle Medien arbeiten. Daraus lässt sich allerdings nicht schließen, dass sich die Lage der Pressefreiheit verbessert hätte. Mit der wachsenden Bedeutung von Onlinemedien und Blogs konzentrieren viele Regierungen ihre repressiven Maßnahmen stärker auf das Internet.

So wurde im Jahr 2008 in China erstmals ein Mann getötet, der sich als „Bürgerjournalist“ engagierte: Kommunale Polizeibeamte („chengguan“) erschlugen den chinesischen Unternehmer Wei Wenhua, als er am 7. Januar einen Zusammenstoß mit Demonstranten in Tianmen in der Provinz Hubei filmte.

Fälle von Online-Zensur wurden in 37 Ländern dokumentiert: Allen voran Syrien mit 162 zensierten Webseiten, China mit 93 Seiten sowie der Iran mit 38 Seiten.

Eine Reihe von Staaten mit demokratischen Strukturen steht diesen autoritären Ländern in punkto Online-Überwachung und Repression wenig nach. In Thailand und in der Türkei müssen Internetnutzer sehr vorsichtig sein, um nicht von der Polizei überwacht und bestraft zu werden. Eine Reihe von Themen gilt für die thailändische Monarchie sowie das türkische Militär als Tabu. Webseiten mit Videos wie YouTube und Dailymotion sind bevorzugte Ziele für die Zensoren der Regierungen. Sperrungen von Seiten oder das Filtern von Inhalten sind Normalität, wenn Behörden sie als „beleidigend“ einstufen.

Allergisch reagieren mittlerweile einige Regierungen bei interaktiven Internetseiten. Vor allem bei Seiten zum Aufbau sozialer Netzwerke sind bereits Ansätze von „Massenzensur“ zu beobachten: Die Zensur von Twitter in Syrien oder Facebook in Syrien, Tunesien, in der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten führt zu erheblichen Einschränkungen von Inhalten.

Blogger, die kritisch ihre Meinung äußern, müssen mittlerweile in vielen Ländern mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Allein in China wurden 2008 zehn Internetdissidenten festgenommen, 31 wurden attackiert oder bedroht und mindestens drei wurden durch Gerichte verurteilt. Im Iran hat ROG 18 Festnahmen, 31 physische Übergriffe und zehn Verurteilungen dokumentiert. Auch in Syrien (acht Festnahmen, drei Verurteilungen), in Ägypten (sechs Festnahmen) sowie in Marokko (zwei Festnahmen und zwei Verurteilungen) wird das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet stark beschnitten.

Zu den größten Feinden der Internetfreiheit gehört Birma: Der Kampf der Militärregierung gegen Cyberdissidenten hat absurde Ausmaße angenommen. So wurde der Blogger Zarganar zu 59 Jahren Haft und der Internetdissident Nay Phone Latt zu 20 Jahren Haft verurteilt. Weitere 16 Journalisten befinden sich in Birma in Haft.

Schlechtes Klima, bessere Zahlen

Der Anstieg von Online-Repression kommt in einer Zeit, in der traditionelle Medien – sogar in führenden westlichen Demokratien – erneut unter Druck geraten. Gesetze zur Abwehr des Terrorismus nach dem 11. September bringen investigativ recherchierende Journalisten in heikle Situationen. Auslandskorrespondenten erleben wachsende Feindschaft, wenn sie aus Ländern kommen, die Teil der von den USA geführten „Anti-Terror-Koalition“ oder mit dieser verbunden sind.

Die Zahlen sind weniger alarmierend als in den Vorjahren. Doch die weltweite Situation der Pressefreiheit bleibt weiterhin katastrophal. Repression hat sich verschoben und vervielfältigt. Weltweit sind Verhaftungen um 24 Prozent zurückgegangen. Doch Polizei-Razzien in Redaktionen, in Häusern und Wohnungen von Reportern sind in vielen Ländern, einschließlich Frankreich, weiter an der Tagesordnung. Vorreiter für einen engagierten Journalismus und für das Recht auf freie Meinung wie der chinesische Dissident Hu Jia verbringen den Jahreswechsel im Gefängnis und bleiben weiter inhaftiert.

Auch die Zahlen getöteter Journalisten geben keinen Anlass für Optimismus, auch wenn sie gefallen sind (von 86 in 2007 auf 60 in 2008). Die Todesfälle konzentrieren sich in 2008 auf die Brennpunkte wie den Irak, Pakistans Stammesgebiete, die Philippinen und Mexiko: Länder in denen Zivilisten generell Opfer von Krieg, politischer und krimineller Gewalt oder Terrorismus werden. Politisch oder kriminell motivierte Entführungen (29) kommen immer noch regelmäßig vor in Afghanistan (7), Somalia (5), Mexiko (5) und dem Irak (4).

Mit 353 Vorfällen (2007: 528) ist Zensur noch immer ein regelmäßig eingesetztes Mittel gegen unliebsame Berichterstattung so im Sudan (4 zensierte Medien), Guinea (5), Somalia (5), Venezuela (7), Ägypten (10), Mexiko (10), Syrien (11), Türkei (13), Brasilien (14), Russland (15), Weißrussland (18), Pakistan (19), Bolivien (20), Malaysia (25), Iran (27), Birma (85) und China (132).

Reporter ohne Grenzen:
Von einem Rückgang bei den Zahlen sollte man nicht leichtfertig auf eine Verbesserung der Situation schließen. Das Bild eines Journalisten in Handschellen ist ein trauriges und in vielen Ländern alltägliches Schauspiel. Werden Regierungen hinterfragt, so reagieren sie am häufigsten mit Verhaftungen. Bei einer Reihe von Morden an Journalisten kann von einer Verwicklung der Sicherheitskräfte ausgegangen werden. In diesen Fällen gibt es allerdings selten Gerichtsverfahren, ob in Sri Lanka oder in Burkina Faso.



Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de


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