Bilder des Krieges - Krieg der Bilder
Rezension des gleichnamigen Buches von Gerhard Paul.
Von Heidi Mehrkens, Braunschweig*
Paul, Gerhard: Bilder des Krieges - Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2004. ISBN 3-506-71739-1; 526 S.; EUR 49,90.
"Wer aber Frieden will, der rede vom Krieg": Diese Forderung Walter
Benjamins erfüllt der Flensburger Historiker und Sozialwissenschaftler
Gerhard Paul ebenso ambitioniert wie kompetent. Er legt ein Buch vor,
das mit klarer Argumentation und großer Materialfülle zu fortgesetzter
interdisziplinärer Forschungsarbeit anregt. Die Bedeutung der
Wechselbeziehung von Medien und Krieg kann für die Neuzeit sicherlich
gar nicht überschätzt werden, dennoch ist hier die Forschungsliteratur
bislang dünn gesät. Eine umfassende Untersuchung des Bildes vom Krieg
anhand einer Analyse der Bilder vom Krieg, wie sie Pauls Buch bietet,
war längst überfällig.
Das Buch besticht vor allem durch seine neun in die Darstellung
integrierten "Visual Essays". Die 205 zum Teil farbigen Abbildungen
veranschaulichen den Forschungsgegenstand und informieren den Leser über
die individuelle "ästhetische Kennung" (S. 22) jedes Konfliktes. Mit
welchen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen wird der moderne Krieg
in Bilder umgesetzt? Wie und durch wen wird ein Bild dabei selbst zu
einer propagandistischen Waffe umfunktioniert? Gerhard Paul geht für die
Beantwortung dieser Fragen von den ersten fotografisch dokumentierten
Kriegen des 19. Jahrhunderts aus und analysiert den Krimkrieg, den
Amerikanischen Sezessionskrieg, die deutschen Kriege gegen Dänemark und
Frankreich und den Spanisch-Amerikanischen Krieg auf der Grundlage
zugehöriger bildlicher Quellen. Bereits hier wird der enge Bezug der
frühen Kriegsfotografie zu Darstellungsformen und Zeichen in Malerei und
Grafik von der Renaissance bis ins frühe 19. Jahrhundert offensichtlich.
Die bildliche Darstellung dieser vormodernen Epoche europäischer
Konfliktaustragung wird als einführendes Kapitel vorangestellt. Die
Visualisierung des modernen Krieges im 20. Jahrhundert - gezeigt an den
Beispielen Erster Weltkrieg, Spanischer Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg
und Vietnamkrieg - folgt darüber hinaus tradierten Vorstellungen vom
"Krieg an sich". Mit der Untersuchung postmoderner Kriege der Gegenwart
anhand des Golf-Krieges 1991, des Kosovo-Krieges, des Anschlags auf das
World Trade Centre und des Krieges in Afghanistan endet der
sprichwörtliche Bilderbogen.
Im Zentrum der Darstellung stehen die Medien Fotografie, Film und
Fernsehen. Der Leser erhält neben einem detaillierten Überblick über den
Umgang mit Krieg in der gedruckten Tages- und illustrierten Presse auch
Einblick in die Besonderheiten der Umsetzung im Spiel- und
Dokumentarfilm sowie in Nachrichtensendungen. Für die postmodernen
Kriege werden die Darstellungen auf Internetseiten sowie in Video- und
Computerspielen in die Untersuchung einbezogen. Gerhard Paul vertritt
die These, dass die immer stärkere Visualisierung des Krieges Hand in
Hand geht mit dem Unsichtbarwerden seiner Realität. Der moderne Krieg
entziehe sich letztlich jeder bildlichen Darstellung. Die Bildmedien
versuchten den Krieg in visuelle Rahmen einzufassen und ihn "zu einem
zivilisatorischen Akt umzuformen". Der Krieg sei aber als
antizivilisatorische Katastrophe per se in solcherlei Ordnungsstrukturen
nicht festzuhalten. Im Gegenteil: Die modernen Bildmedien, so Gerhard
Paul, trügen zur immer neuen Illusion einer Plan- und Kalkulierbarkeit
von Kriegen bei (S. 11). Diese Illusion sei umfassend durch die ständige
Präsenz der Bilder. Fotografien von Kriegen hätten sich, so Paul, oft zu
Ikonen des 20. Jahrhunderts entwickelt, sie seien eingebrannt in die
"Festplatte der kollektiven Erinnerung" (S. 483). Beispielhaft stehen
die Bilder der Kriegszermalmten des Ersten Weltkrieges, das Foto des
nackten Mädchens Kim Phúc aus Südvietnam auf der Straße nach einem
Napalm-Angriff oder die Aufnahmen von Folterszenen aus dem Irak-Konflikt
2003.
In den modernen Kriegen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr
vom Feldherrenhügel aus gelenkt wurden, war der Überblick über die
Gesamtsituation endgültig unmöglich geworden. Der Krieg zerfiel in
Einzelschlachten und Einzelszenen, die mit traditionellen
Visualisierungsstrategien und Ikonografien nicht mehr einzufangen waren:
Den Atomtod, das Sterben auf große Entfernung konnte niemand abbilden.
Gerhard Paul deutet die Fotografie als ein "Medium der
Ungleichzeitigkeit", das aufgrund der Natur des Krieges von vornherein
auf "ikonografische Ersatzhandlungen und vormoderne Sujets" angewiesen
gewesen sei. [1]
Die Entwicklung dieser speziellen Ikonografie, so Paul, war zum einen
abhängig von den technischen Möglichkeiten. Zum anderen waren es vor
allem die Kriegsfotografen selbst, die den Rahmen der Darstellung durch
ihre eigene kulturelle und ästhetische Vorprägung mitbestimmten.
Untersuchungen über den Vietnamkrieg zeigten etwa, dass Reporter durch
"unreflektierte Annahmen über den Wert des 'Krieges an sich'" sowie
durch verinnerlichte Kriegsbilder und eine Sprache geprägt waren, die
ihnen vorgaben, wie und was über den Krieg zu berichten war (S. 320).
Diese Annahmen wurzelten unter anderem in der Erfahrung früherer Kriege
und in der Rezeption ihrer Bilder. Die daraus entstehenden mentalen
Motive werden von Gerhard Paul in großem Umfang in seine Analyse
einbezogen. [2] Diese verinnerlichten Bilder seien von den äußeren
Bildern mit ihrem "physischen Bildkörper" zu unterscheiden (S. 12).
Beide Bildarten, so Paul, blieben aber häufig direkt aufeinander bezogen
und trugen jeweils zur Visualisierung eines Krieges bei.
Gerhard Paul spricht jedem industrialisierten Krieg seine eigene
Bildsprache zu, betont jedoch auch die wiederkehrenden, überzeitlichen
Muster. Dazu gehören die weitgehende Ausblendung von Leid, Elend, Chaos,
Tod und unmittelbarer Gewalt. Von Beginn der Bildberichterstattung an
wurden hingegen, auch unter dem Druck der Zensurbestimmungen,
bürgerliche und christliche Wertvorstellungen von Heldenhaftigkeit und
Karitas, Sauberkeit und Ordnung in der Kriegsfotografie transportiert.
Dazu kam im 20. Jahrhundert eine "Entertainisierung des Krieges als
Sport, Event und Reise" (S. 472), sowie immer stärker die Darstellung
von Krieg als Möglichkeit zum kulturellen Erlebnis. Die Rezeption der
Medien hatte zum Teil unkalkulierbare und unbeabsichtigte Folgen: Wo der
Krieg durch das Bild nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig Einzug in die
Wohnzimmer hielt, konnte es einerseits zu einer Normalisierung des
Kriegsereignisses kommen. Andererseits wurden die Bilder aufgrund eines
großen anonymen Marktes immer spektakulärer. Fotografen brachen
kalkuliert mit Tabus, um ihren Verkaufswert zu steigern. Diese
Nahdistanz zwischen Krieg und Wohnzimmer führte etwa bei den Aufnahmen
aus Vietnam oder dem Somaliakonflikt zum sogenannten "body-bag-Syndrom"
(S. 475). Die Bilder konnten in ihrer Direktheit und Gewalthaftigkeit
nicht ertragen werden und unterminierten auf diese Weise die
Kriegsbereitschaft der Heimatfront.
Zwei kleine Kritikpunkte, die im Grunde Geschmacksfragen darstellen,
zielen dahin, dass der Autor notwendigerweise eine Auswahl treffen
musste. Gerhard Paul lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers erstens bewusst
auf diejenigen europäischen und amerikanischen Kriege mit massiver
medialer Präsenz. Dadurch spart er zu einem Großteil die Konflikte aus,
die einer Visualisierung aus politischen oder militärischen Gründen
entzogen waren. Diese medial kaum präsenten "bilderlosen" Konflikte
dürften als Kontrastfolien ruhig stärker in die Untersuchung integriert
sein: Dem Falkland Krieg und den US-amerikanischen Interventionen in
Grenada und Panama sowie dem Afghanistan-Konflikt sind im Buch nur
sporadische Aussagen innerhalb größerer Kapitel gewidmet, die aber
durchaus Appetit auf mehr machen. Zweitens sucht der Leser vergebens
nach den besonderen Umständen der medialen Präsentation sogenannter
"Kolonialkriege". Der Burenkrieg, der Boxeraufstand in China oder auch
der Konfliktherd Algerien werden nicht behandelt, würden sich aber für
eine Analyse im Rahmen der Untersuchung durchaus anbieten.
Das Buch leistet, dies sei zum Abschluss deutlich hervorgehoben, einen
bereichernden Beitrag zum vielfach geforderten ävisual turnô in den
Geisteswissenschaften. Es wird durch seine Materialfülle sowie durch
seinen übersichtlichen Handbuchcharakter dem Sozial- und
Medienwissenschaftler ebenso wie dem Historiker und dem Didaktiker ein
informatives Nachschlagewerk sein. Es bietet Anregungen für
weitergehende Forschungen ebenso wie Grundlagen für die Vermittlung von
Medienkompetenz im Unterricht.
Fußnoten-
In seinem Vortrag auf dem Kieler Historikertag im September 2004.
Paul sprach in der Sektion "Geschichte der Kriegsberichterstattung" von
Ute Daniel, Braunschweig, über die Kriegsfotografie des 20.
Jahrhunderts.
-
Methodisch folgt Gerhard Paul dem Werk von Belting, Hans:
Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001.
* Heidi Mehrkens, Historisches Seminar, Technische Universität Braunschweig. E-Mail: h.mehrkens@tu-bs.de
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedensforschung. (Redaktionelle Betreuung: Benjamin Ziemann). www.afk-web.de
Quelle: H-Soz-u-Kult, 18.02.2005, hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
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