Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ironie ist eine Waffe"

Diese Kunst wird nur der verstehen, der sie braucht: Die Münchner Ausstellung "Frieden undsoweiter". Ein Gespräch mit Günter Wangerin *


Günter Wangerin ist 67, Lektor in einem medizinischen Verlag und seit 1965 als Künstler tätig. 1980 hat er für ein Praktikum die Kaschierabteilung des Berliner Ensembles besucht. 2011 hat er die internationale Straßenaktion »Klassenkampf statt Weltkrieg« mitgestaltet.

Herr Wangerin, in Ihrer Ausstellung »Frieden und­soweiter« im Münchner DGB-Haus finden sich Bilder, Skulpturen, Masken und Cartoons. Was ist der rote Faden in Ihrer Werkschau?

Es ist der Blick auf das, was die Berliner Republik heute alles so unternimmt. Innerhalb der eigenen Grenzen und nach außen hin.

Daß der Faden auch im politischen Sinn rot ist, dürfte unschwer zu erkennen sein. Ich glaube nicht, daß die Verhältnisse wirklich zu ändern sind, ohne eine radikale Veränderung des Gesellschaftssystems, in dem wir leben.

Wie ich sehe, geht es Ihnen auch darum zu zeigen, daß die deutsche Politik heutzutage ihre Bundeswehr mit Argumenten der Friedensbewegung um den Erdball schickt.

Richtig! Thomas de Maizière meinte dieser Tage ja wörtlich: »Die Bundeswehr ist Teil der Friedensbewegung« und der DGB-Chef Sommer steht ihm dabei noch zur Seite. Das ist schlimm. Und es betrifft nicht nur den Marsch der Bundeswehr in die Welt, sondern auch die Militarisierung hier im eigenen Land. Voltaire hat im 18. Jahrhundert gesagt: »Das größte, das unheilvollste aller Verbrechen, der Krieg, wird von keinem Angreifer unternommen, ohne daß er seine Untat mit dem Vorwand der Gerechtigkeit rechtfertigte.« In unserem Land ging das soweit, daß einer seiner Außenminister – in der Ausstellung ist seine Maske nebst Turnschuhen in oliv zu sehen – die Bombardierung Belgrads mit Auschwitz rechtfertigte. Deutschland – die verfolgte Unschuld, das Friedensengelchen mit Stahlhelm!

Wie wichtig ist für Ihre Kunst Ironie?

Ohne sie wäre Kunst, die Stellung bezieht, ja wirklich ein trauriges Geschäft. Ironie ist natürlich auch heute noch eine der schärfsten Waffen der Kunst.

Sie kritisieren also die Zustände eher ironisch als moralisch?

Mit der Moral ist das so eine Sache. Aus meiner Sicht sitzen die wahren Verantwortlichen für Krieg und Faschismus ja in den Etagen der Industrie. Diesen Leuten sind »moralische« Argumente völlig egal. Nicht, weil sie so schlecht sind, so unmenschlich, sondern weil sie aus ihrem Selbstverständnis heraus als Unternehmer gar nicht anders handeln können, als sie es tun. Von ihnen zu verlangen, sie sollten nicht so sein, wie sie sind, käme dem gleich, vom Regen zu fordern, doch bitte nicht naß zu sein.

Diesen Leuten gegenüber gibt es in meinen Augen nur ein Argument: sie mit der Macht der Millionen davon zu »überzeugen«, daß sie an ihrem Platz überflüssig sind, weil sie diese Welt in Schutt und Asche legen.

Moral spielt in der Kunst dort eine Rolle, wo es darum geht, vorgebliche Absichten und die Realität unter die Lupe zu nehmen, also Lügen aufzudecken. Da ist Ironie das beste Mittel.

Wen und was zählen Sie weiter zu Ihren künstlerischen Einflüssen?

Wie alle Künstler bin ich – um das abgedroschene Wort zu gebrauchen – ein Kind meiner Zeit. Die künstlerischen Einflüsse sind vor allem die Realität, in der ich lebe, die ich wahrnehme und auf meine Weise in Bilder, Plastiken, Masken usw. umsetze. Dazu gehören vor allem Menschen, mit denen ich es täglich zu tun habe. Der Anteil an eigener Leistung an dem, was da entsteht, ist wahrscheinlich gar nicht so groß wie allgemein angenommen. Es sind gewisse Fertigkeiten, Auge-Hand-Koordination usw., eine gewisse Sensibilität für Geschehnisse um einen herum. Entscheidend ist vor allem die Fähigkeit und der Wille, selber die Augen zu öffnen.

Und welche Vorbilder haben Sie?

Die größten sind für mich Goya, Daumier, George Grosz und Otto Dix, aber auch Alfred Hrdlicka oder Hanns Haake. Im übrigen bin ich ein Verehrer von Wilhelm Busch und Karl Valentin, aber auch von Künstlern, die sich nicht erklärtermaßen als »politisch« verstehen, deren Malweise ich aber schätze.

Sie haben viele Masken und Transparente für politische Straßenaktionen gefertigt. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Vor allem das Maskenmachen war für mich eine Art Schlüsselerlebnis, was die Kunst auf der Straße betrifft. Masken hatten auf der Straße ja eine direkte Wirkung. Die Leute lachten, wenn sie einen der Dargestellten erkannten, manche fluchten auch.

Ich habe die Technik der Latex-Masken in der Kaschierabteilung des Berliner Ensembles bei Eddi Fischer gelernt. Der hat schon für Brecht Masken gemacht. Das größte Projekt war 1980 die szenische Inszenierung des Brechtgedichtes »Der Anachronistische Zug« gegen den Kanzler-Kandidaten Franz Josef Strauß. Da saßen alle bekannten Alt-Nazis auf Bundeswehr-LKWs, sie alle mit Masken, angefangen von Heinrich Lübke bis Carstens und Filbinger. Einen kleinen Teil der Masken von diesen Leuten sehen Sie auch in meiner Ausstellung.

Welche Funktion hat Ihrer Meinung nach politische Kunst heutzutage?

Kunst war und ist immer politisch. Auch ein Stilleben, gemalt in einer Zeit furchtbarer Verbrechen in der Welt, ist politische Kunst in dem Sinne, daß es diese Verbrechen verschweigt – aus welchem Grund auch immer. Ich bin ein Anhänger der Kunst, die nichts verschweigt, wobei mir daran gelegen ist, mich der Realität mit Mitteln des Witzes und der Ironie zu nähern. Da ist es leichter, Gehör zu finden als die Realität so grau abzubilden wie sie ist. Klar ist dabei aber auch eines: diese Art von Kunst wird am Ende nur der verstehen und genießen können, der sie braucht.

Als Marxist haben Sie bereits mehrere Erfahrungen mit der Justiz gemacht und stehen auch bald wieder vor Gericht, weil Sie bei einer Kundgebung ein Plakat aus Griechenland (Aufschrift: »Athen 2012«) getragen hatten, das Angela Merkel mit einer Hakenkreuzbinde zeigt. Mit welcher Begründung wird Ihnen der Prozeß gemacht, und wie hoch ist die geforderte Strafe?

Über einen Mangel an Erfahrungen mit der Justiz kann ich in der Tat nicht klagen. Ich war z.B. bereits wegen eines Tomatenwurfs auf Nazis angeklagt. Die Begründung für den Prozeß am 21. März lautet: Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen mit einer Strafandrohung von 5000 Euro. Natürlich war für jedermann klar ersichtlich, daß ich das Plakat nicht als Nazi getragen habe, sondern als einer, der damit sagt: So sehen uns die Griechen heute! Wir – die Deutschen – sind dafür mitverantwortlich, daß eine wie Merkel darüber bestimmt, wie es den griechischen Rentnern heute geht, denen, die als Kinder die Deutsche Okkupation Griechenlands miterleben mußten.

Wollten Sie damit Merkel mit Hitler gleichsetzen?

Mitnichten. Daß die Griechen das heutige Deutschland ihnen gegenüber in der Tradition Nazideutschlands sehen, braucht niemanden zu wundern. Die Älteren unter ihnen haben noch in Erinnerung, was dort in der Zeit von 1941 bis 1944 geschah: An die 100000 Griechen wurden ermordet, ebenso viele verschleppt und in Zwangsarbeit gequält. Die Opfer und deren Angehörige forderten Entschädigung. Aber der deutsche Staat wurde eben nicht zur Rechenschaft gezogen. Auf einem der Bilder in meiner Ausstellung – ich habe es nach einem Foto aus Griechenland gemalt – ist ein griechischer Rentner dargestellt. Er trägt eine Schlinge um den Hals und das bewußte Merkel-Plakat in einer Hand. Titel des Bildes: »201 Euro Rente, geboren während der deutschen Okkupation.«

Gleichzeitig werden Nazidemonstrationen von der Polizei mit einem hohem Aufwand geschützt. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Klar sehe ich den. Sie können es nicht nur am direkten Polizeischutz für Nazidemonstrationen, sondern an zig Urteilen gegen Antifaschisten sehen. Schlimmstes Beispiel ist ja der Prozeß gegen einen 36jährigen Berliner Antifaschisten, der nach einer Antinaziaktion in Dresden wegen schweren Landfriedensbruchs zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde.

Interview: Reinhard Jellen

Ausstellung »Frieden undsoweiter« von Günter Wangerin im DGB-Haus München, Schwanthalerstr. 64, geht noch bis 2. März

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Februar 2013


Zurück zur Medien-Seite

Zurück zur Homepage