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„Besser als Menschen“

Nicht nur Kriege werden in Medien vorbereitet. Auch die Akzeptanz von zu ächtenden Waffen muß herbeigeschrieben werden

Dietmar Koschmieder *

Am Montag, dem 23. Juli 2012, killt eine US-Drohne zwölf Pakistani in Dray Nashtar, wie örtliche Behörden mitteilen. Nach bisher unbestrittenen Angaben der Internetseite pakistanbodycount.org wurden bis zu diesem Tag seit 2004 durch US-amerikanische Drohnenangriffe über 2949 Menschen getötet und 1130 verletzt– alleine in Pakistan. Solche Nachrichten erscheinen selten in deutschen Medien, obwohl angeblich US-Präsident Barack Obama Tötungen durch ferngesteuerte bewaffnete Drohnen persönlich anordnet. Durchgeführt werden sie von Militärs, von Geheimdienstleuten und privaten Sicherheitsfirmen. Europa mache sich durch sein Schweigen mitschuldig, schrieb die Journalistin Bettina Vestring in der Frankfurter Rundschau (FR vom 5.6.12) voller Empörung. »Die Obama-Administration sagt ganz offen, daß sie jeden Mann im wehrfähigen Alter, der bei einem Drohnenangriff getroffen wird, als Feind zählt– es sei denn, posthum könne das Gegenteil bewiesen werden.« Es gebe keine EU-Regierung, die diese Menschenjagd laut kritisieren. »Am deutlichsten äußerte sich noch Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, der Anfang Mai von einem ›strategischen Fehler‹ sprach.« Er halte es für unklug, daß gebietsunkundige US-Piloten solche Einsätze von den USA aus durchführten. Nirgendwo außer bei tagesschau.de sei diese Kritik zu finden gewesen. Dieses offizielle Schweigen erinnere auf höchst ungute Weise an die Anfangszeit von Amerikas Krieg gegen den Terror. Es habe Jahre gedauert, bis die Regierungen nur die leiseste Kritik etwa an der Käfighaltung von Häftlingen in Guantánamo geäußert hätten, kommentierte Vestring.

Keine öffentlich Debatte

Die deutsche Medienlandschaft funktioniert leider nicht so, daß nach einem solchen Zeitungsbeitrag eine heftige öffentliche Debatte über den verwerflichen Einsatz ferngesteuerter Tötungsmaschinen und die Rolle der Medien beim Verschweigen solcher Tatsachen einsetzt. Statt dessen tritt der deutsche Kriegsminister auf und erklärt, daß eine Drohne nichts anderes als ein Flugzeug ohne Pilot sei. »Flugzeuge dürfen Waffen tragen. Warum also sollen unbemannte Flugsysteme das nicht dürfen?« sagte de Maizière der Berliner Morgenpost, die unter der Überschrift »Ethisch neutrale Waffe« berichtet (BM, 4.8.12).

Kurz zuvor hat Vestring in der FR (und in der Berliner Zeitung) vom 31.7.2012 dargestellt, daß die Bundeswehr endlich auch solche Waffen haben will, jetzt aber schon ziemlich frei von Empörung. »Ein Wunsch, für den es im Bundestag erstaunlich viel Wohlwollen gibt«, weil Regierung und Opposition sich offen zeigten, wohlwollt nun auch Vestring. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag meint in ihrem Beitrag: »Das ist ein Waffensystem, dem die Zukunft gehört«. Ein Grünen-Politiker ergänzt: »Die Bundeswehr soll Einsatzszenarien, in denen ein solches Waffensystem gebraucht wird, erklären, und dann können wir darüber entscheiden, ob wir Drohnen bewaffneter Art brauchen oder nicht (…) Jede Waffe hat Vor- und Nachteile beim Einsatz (…) Das ist so wie beim Rettungsschuß der Polizei.« Auch eine FDP-Politikerin erklärt, daß sie nicht grundsätzlich gegen die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr sei. Es müsse aber sichergestellt werden, daß diese nicht in die falschen Hände gerieten. Eine Sprecherin der Linken kam in dem FR-Beitrag nicht zu Wort, wohl weil das Wohlwollen fehlt. Laut Berliner Morgenpost sagte die Linke-Bundestagsabgeordnete Inge Höger, daß diese Waffe in der Praxis für kaltblütige Hinrichtungen genutzt würden, ohne völkerrechtliche Grundlage, ohne Prozesse, angeordnet von Geheimdiensten (BM, 3.8.12).

Zukunftstechnologie

Erneut meldete sich Vestring dann am 2.August in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau zu Wort und berichtete von einem bundeswehrfreundlichen Gutachten. Jetzt scheint ihre Zurückhaltung in Zustimmung umzuschlagen. Darauf weisen schon Überschrift und Zwischentitel des Beitrags hin: »Bundeswehr plant für das Drohnen-Zeitalter– Exporthilfen zugesagt– Zu Luft, am Boden und im Wasser– Besser als Menschen«.

Enthüllt wird im Bericht, daß die Planung der Bundeswehr zur Anschaffung und zum Einsatz von Drohnen »deutlich weiter vorangeschritten« seien als bisher bekannt. Und dann gehen die Pferde mit der Journalistin durch, sie zitiert kommentarlos, macht sich zum Sprachrohr von Studie und Bundeswehr: Es werde die »Fähigkeit zum Einsatz von Wirkmitteln angestrebt«. Gemeint sind Mittel zur mehr oder weniger gezielten Tötung. Besonders die Luftwaffe wolle eine »kontinuierliche Fähigkeitsausweitung von unbemannten fliegenden Systemen« anstreben, die »u.a. Lufttransport, Luftbeladung und Luftkampf einschließt.« Unbemannte Systeme würden als Waffenträger (besser: Wirkmittelträger) eine größere Rolle spielen, hier sei »z.B. die Bekämpfung von hochpriorisierten und zeitkritischen Zielen am Boden zu nennen.«

Revolutionäre Kriegsführung

Wie immer geht es bei der Entwicklung von Waffentechnologie um Arbeitsplätze, Märkte, die Beherrschung von Zukunftstechnologien. Deshalb müsse man eigene Drohnenysteme entwickeln, »das Bundesverteidigungsministerium habe der deutschen Rüstungsindustrie bereits Hilfe für den Export zugesagt.« Vestring wundert sich nicht und fragt nicht nach, wie solche Hilfe konkret aussieht. Wenn sie in ihren früheren Beiträgen auf starke völkerrechtliche Bedenken hingewiesen hat, läßt sie nun abwiegeln: »Der Einsatz von Drohnen verstößt nach Einschätzung der Wissenschaftler nicht grundsätzlich gegen das Völkerrecht«. Also nur ein bißchen? Nein, viel besser: »US-Fachleute seien der Meinung, daß unbemannte Systeme den völkerrechtlichen Anforderungen besonders gut gerecht würden, weil sie zielgenauer seien: Ihre Sensoren seien den menschlichen Sinnen in vielen Fällen deutlich überlegen.« Besser als Menschen halt, wie es in der Zwischenüberschrift heißt. Kein Wunder also, daß auch die Bundeswehr schon ab 2013 »Wabep« einsetzen will, das »Wirkmittel zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen«, wie Vestring ihren Lesern erklärt. Eine ethisch neutrale Waffe halt.

Und das geht dann so: »Durch eine israelische Drohne sind nach Angaben von Ärzten und palästinensischen Augenzeugen am vergangenen Sonntag im Gazastreifen ein Palästinenser getötet und ein weiterer verletzt worden. Den Angaben zufolge waren die beiden Männer in Rafah auf dem Motorrad unterwegs, als sich der Angriff ereignete. Der getötete 23jährige gehörte demnach den radikalen palästinensischen Komitees des Volkswiderstands an. Das israelische Militär bestätigte den Angriff, äußerte sich aber nicht dazu, ob eine Drohne eingesetzt wurde«, meldete die Nachrichtenagentur AFP am 5. August 2012. Diese Information über den praktischen Einsatz eines »Wirkmittels zur abstandsfähigen Bekämpfung von Einzel- und Punktzielen« war in kaum einer Zeitung zu finden.

Stattdessen übernimmt Vestring am 03. August den Leitartikel von Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung. Unter der Überschrift »Revolution in der Kriegsführung« schließt sie ihren Zyklus von der wachsenden Einsicht in die Notwendigkeit vorläufig ab: »Drohnen führen dazu, dass der Krieg weiter entpersonalisiert wird. Das könnte auch ein Fortschritt sein, wenn es uns gelingt, durch kluge Regeln die neue Technologie zu bändigen.«

* Aus: medien, Beilage der jungen Welt, Mittwoch, 15. August 2012


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