"Geheimwaffe Saddams": Von der Ente, die ein dicker Hund ist
Ekkehard Jänicke vermutet Wahlkampfhilfe für Stoiber durch den BND
Unter dem Titel "Von der Ente, die ein dicker Hund ist" kritisierte am 15. September 2002 Ekkehard Jänicke in der Internetzeitung "Telepolis" (sehr empfehlenswert: www.heise.de) einen Bericht in "Bild am Sonntag" vom selben Tag, wonach Saddam Hussein über all jene Massenvernichtungswaffen verfügen soll, derentwegen die USA in den Krieg gegen den Irak ziehen wollen. Jänicke fragt, ob ob diese Bams-Ente nicht eine fingierte Wahlunterstützung für Edmund Stoiber war.
Wir zitieren zunächst aus dem Artikel in "Bild am Sonntag" (die Zeitung gehört gewöhnlich nicht zu unseren Quellengrundlagen) und dokumentieren anschließend den Beitrag in "Telepolis", den uns der Autor mit der Bitte um weitere Verbreitung zugesandt hat.
"Hat Saddam ferngesteuerte Kampfjets?
Es waren neue, beunruhigende Erkenntnisse, die der Chef des Bundesnachrichtendienstes am Mittwoch in einer vertraulichen Unterrichtung von Bundestagsabgeordneten in Berlin erläuterte: Nach Informationen von BND-Chef August Hanning hat Iraks Präsident Saddam Hussein unter Umgehung aller Sanktionen eine neue Waffe entwickelt. Mit ihr kann er Chemie- und Bio-Waffen auf eine Distanz von bis zu 1000 Kilometern einsetzen.
Laut deutschem Geheimdienst haben Ingenieure des Diktators alte russische MiG-23-Kampfflugzeuge so umrüsten lassen, dass sie unbemannt und ferngesteuert ins Ziel fliegen können. Saddam Hussein braucht eine solche Waffe dringend für eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung. Nach Geheimdiensterkenntnissen verfügt der Irak derzeit nur über 14 Raketen mit einer Reichweite von bis zu 170 Kilometern. Für Raketen mit einer Reichweite von bis zu 2000 Kilometern gibt es bislang lediglich Testeinrichtungen.
Beunruhigend auch die Erkenntnisse des BND über Saddams Atomwaffenprogramm. Demnach verfügt der Diktator bereits über alle theoretischen Kenntnisse zum Bau von Atomwaffen. Es fehlen ihm aber noch wichtige Bauteile aus Spezialstahl, die Saddam sich unter Umgehung der Sanktionen auf dem Weltmarkt besorgen müsste. ..."
(Bild am Sonntag, 15. 09. 2002)
Erfanden BILD am Sonntag oder der BND eine "Geheimwaffe Saddams" als
Wahlkampfhilfe für Stoiber?
Von Ekkehard Jänicke
Am letzten Wochenende vor der Bundestagswahl verbreitete [1] dpa
Samstagmittag die Geschichte als Vorabmeldung der "Bild am Sonntag" und
die Medien verbreiteten sie wie ein Lauffeuer weiter: Der Irak habe
Kampfflugzeuge vom Typ [2] MIG-23 zum Einsatz biologischer und
chemischer Waffen mit Fernsteuerungen zum unbemannten Einsatz im
Umkreis von 1.000 Kilometern umgerüstet. Dies sei eine Erkenntnis des
Bundesnachrichtendiensts. BND-Chef [3] August Hanning habe am
vergangenen Mittwoch Bundestagsabgeordnete in Berlin "vertraulich"
darüber informiert.
Wahlkampfeinmischung zu Gunsten Stoibers gegen die Kräfte, die der
US-Kriegspolitik skeptischer bis ablehnend gegenüber stehen? Das
Treffen des BND-Chefs mit Abgeordneten wird nicht dementiert, doch wenn
auch erst nach gut dosierter etwa achtstündiger Wirkungsdauer der
Meldung setzten die Medienprofis beim BND in Pullach das Mittel des
inhaltlichen Dementis ein: Die unter Berufung auf das Blatt
"verbreitete Darstellung über die angebliche Umrüstung von russischen
MIG-23-Kampfflugzeugen durch den Irak zu unbemannten und
ferngesteuerten Maschinen entspricht nicht den Erkenntnissen des
Bundesnachrichtendienstes und wurde auch nicht vom
Bundesnachrichtendienst berichtet", heißt es in einer Erklärung des
[4] BND.
Nach Telepolis-Recherchen über die technischen
Realisierungsmöglichkeiten einer MIG-23-Umrüstung bei Experten,
ehemaligen MIG-23-Piloten oder Wartungstechnikern und Ingenieuren der
[5] DDR-Luftwaffe behielten die Zweifler an der Geschichte die Oberhand.
Doch selbst die Fachleute, die eine Fernsteuerung der MIG-23 zwar für
sehr aufwendig, aber realisierbar halten, da die Maschinen bei besagtem
Zweck nicht wieder landen müssten, äußerten Zweifel, da es billigere
Trägerwaffen gäbe und jede flugfähige MIG-23 für den Irak bemannt noch
in der Abwehr von Angriffen nach den enormen Verlusten der irakischen
Luftwaffe in den Kriegen und jüngsten US- und britischen
Bombenangriffen ihre Funktion im der Luftverteidigung habe.
Alle Befragten fanden überdies den Zeitpunkt der Veröffentlichung der
angeblichen Erkenntnisse "etwas merkwürdig". Die angeblichen
BND-Erkenntnisse nach "Bild am Sonntag" und dpa-Meldung waren noch
zusätzlich mit einem "alten Hut" aufgepeppt worden: Weiter hieß es
nämlich, den BND-Erkenntnissen zufolge verfüge Saddam Hussein bereits
über alle theoretischen Kenntnisse zum Bau von Atomwaffen. Kein Wunder,
da geht es Saddam wie allen Internetnutzern, die Bauanleitungen sind im
Netz zu finden, doch die Bauteile bietet auch keine Online-Auktion.
Nun stellen sich einige Fragen und im Zwielicht steht dabei: BND-Chef
August Hanning, der schon unter Helmut Kohl Geheimdienstarbeit im
Kanzleramt koordinierte. Wenn die Unterredungen mit Abgeordneten
stattfanden, dann mit wem und welchen Inhalten und waren sie mit dem
Bundeskanzleramt abgestimmt? Wer ist Urheber der gezielten
Desinformation über die ferngesteuerten MIG-23-Jets? Der BND, Teile des
BND, oder aber "nur" "Bild am Sonntag"?
Die achtstündige Wartezeit des BND, der rund um die Uhr Medien
beobachtet, bis zu seinem Dementi spricht für eine gezielte Kooperation
mit den Erfindern der Ente, wenn nicht für die Urheberschaft der
Schlapphüte. "Bild am Sonntag" hält die [6] Ente weiter im Internet
aufrecht.
Fußnoten/Links
[1] http://de.news.yahoo.com/020914/3/2yl0l.html
[2] http://www.reserve-info.de/luftwaffe/mig23.htm
[3] http://www.bundesnachrichtendienst.de/ueber/praesident.htm
[4] http://www.bundesnachrichtendienst.de/
[5] http://www.ddr-luftwaffe.de
[6] http://www.bild.t-online.de/service/archiv/2002/sep/15/news/saddam/sadda
m.html
Aus: Telepolis, 15. September 2002
(Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13252/1.html)
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