Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Waffenfähige Agenzien

Hintergrund. In Deutschland wird in zahlreichen Laboren der Pharmaindustrie und der Bundeswehr mit potentiellen biologischen Kampfstoffen experimentiert. "Biosicherheit" ist der Vorwand für entsprechende Projekte auf dem Gebiet "zivil-militärischer Zusammenarbeit"

Von Peer Heinelt *

BIO Deutschland – die Bezeichnung steht nicht, wie manche/r vielleicht vermuten könnte, für eine nationale Vereinigung von Ökobauern, sondern für die Lobbyorganisation deutscher Biotechnologie-Unternehmen. Zu den Mitgliedern des Branchenverbandes zählen neben etlichen mittelständischen Firmen auch veritable Großkonzerne; das nach der Fusion von Hoechst AG und Rhône-Poulenc (= Aventis) entstandene Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis ist ebenso dabei wie die Deutsche Bank und die Commerzbank. Bei den beiden genannten Geldinstituten versteht man aller Wahrscheinlichkeit nach weniger von Biotechnologie, dafür um so mehr von Maximalprofiten. Erzielt werden diese nicht zuletzt durch die Produktion mit Hilfe gentechnischer Verfahren entwickelter Arzneimittel, für die immer wieder neue Absatzmärkte erschlossen respektive geschaffen werden. Die Grundlage hierfür bildet die Entdeckung immer neuer Gefahren für die »Volksgesundheit« – zwei davon, die noch dazu eng mit einander verwoben sind, haben in letzter Zeit Hochkonjunktur: der »Bioterrorismus« und die »Pandemie«. Rainer Wessel, Vorstandsmitglied von BIO Deutschland, bringt den Zusammenhang auf den Punkt: »Deutschland«, so der Verbandsfunktionär, dürfe »nicht die Augen (davor) verschließen«, daß Krankheitserreger wie Pocken oder Polio sich sowohl »auf natürlichen Wegen verbreiten« als auch »durch bewußten Einsatz« zu einer »erheblichen Bedrohung« werden könnten.

Der unsichtbare Feind

Als Wessel das zitierte Statement von sich gab, wußte er sich mit der überwiegenden Mehrheit seiner Zuhörer einig. Bei diesen handelte es sich um die Teilnehmer des »I. Forums BioSicherheit«, das am 6. Februar 2010 im Kurfürstlichen Schloß zu Mainz stattfand. Geladen hatten die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP und der Reservistenverband der Bundeswehr; bereits in ihrer Veranstaltungsankündigung hatten sie deutlich gemacht, worum es ihnen geht: »In einer Welt zunehmend asymmetrischer Bedrohungslagen stellen Massenvernichtungswaffen nach wie vor eine der größten Bedrohungen für die nationale und internationale Sicherheit dar. Doch während man Atombomben und chemische Gase durch Abrüstung kontrolliert und sie mehr oder weniger sicher in Arsenalen und Silos lagert, lassen sich unsere alten unsichtbaren Feinde – Viren und Bakterien – nicht einfach einsperren. Egal ob sie natürlich entstanden oder als Kampfmittel gezüchtet sind und durch Terroristen verbreitet werden, gefährliche Krankheitserreger sind eine permanente zivile und militärische Bedrohung, der wir besser begegnen müssen.« Auch über ihre Ziele hatten die Veranstalter niemanden im unklaren gelassen: Die Aufgabe bestehe darin, »den unsichtbaren Feind sichtbarer zu machen und Strategien zu seiner Bekämpfung in den öffentlichen Fokus zu setzen«, da es nur auf diese Weise möglich sei, »die Sicherheit in Deutschland und im euro-amerikanischen Raum zu steigern und ausreichende Mittel zum Schutz der Bevölkerung zu entwickeln«.

Ins gleiche Horn stieß der Eröffnungsredner des »Forums BioSicherheit«, der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Reservistenverbandes, Flottenarzt a. D. Walter Altherr (CDU). Angesichts der rasanten wissenschaftlichen Entwicklung auf den Gebieten der Molekularbiologie und der Genetik sowie der zunehmenden »globale (n) Vernetzung« sei es unumgänglich, ein »neues Bewußtsein« für die daraus resultierenden »asymmetrischen Bedrohungslagen« zu schaffen, erklärte Altherr. Die Zeit sei reif, so der Militär weiter, offensiv »an die breite Öffentlichkeit heranzutreten und Flagge zu zeigen«. Insbesondere mit letzterem hat Altherr einschlägige Erfahrung: Schon vor Jahren plädierte er für eine Änderung des Grundgesetzes, um die Bundeswehr gegen Feinde im Innern einsetzen zu können. Sehr zupaß käme es ihm nach eigener Aussage etwa, würden die deutschen Streitkräfte die Atommülltransporte ins niedersächsische Gorleben »sichern« – schließlich handele es sich bei den Protesten gegen das dortige Endlager für radioaktive Abfälle »nicht nur um Parolen«, sondern »um massiven Widerstand«.

Ziel: »Robuste Gesellschaft«

Ein großer Kämpfer für den »ganzheitlichen Heimatschutz« ist auch Altherrs Kamerad Oberst Hans-Peter Weinheimer, zuletzt Gruppenleiter der Abteilung »ABC-Abwehr und Schutzaufgaben« im Streitkräfteunterstützungskommando der Bundeswehr. In seinem Koreferat erklärte Weinheimer den Teilnehmern des »Forums BioSicherheit«, daß die allgegenwärtige Bedrohung durch »Terroristen« und andere Übeltäter ganz »neue Reaktionsfähigkeiten« notwendig mache; insbesondere Angriffe mit biologischen Waffen seien nur durch eine »noch deutlichere und zügigere Weiterentwicklung« des »Schutzniveau (s) in Deutschland« zu kontern. Um eine »Katastrophe staatlichen Handelns« zu vermeiden, so Weinheimer weiter, gelte es, die deutsche Gesellschaft in eine »robuste Gesellschaft« zu transformieren, die sowohl auf Angriffe aller Art vorbereitet ist als auch »durch Ernstfälle nicht destabilisiert werden kann«.

Daß dabei auf einen »signifikanten Eingriff« in die deutsche Verfassung nicht verzichtet werden kann, ist dem Oberst ebenfalls schon seit längerem klar: Sowohl bei einer Attacke mit chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Waffen im Inland (»CBRN-Gefahren«) als auch im Falle der Ausbreitung »weltumspannender Pandemien« müsse die Bundesregierung »uneingeschränkte« Befugnisse erhalten, schreibt Weinheimer in einem 2009 erschienenen Beitrag für die Zeitschrift Europäische Sicherheit. Die im Grundgesetz getroffene Regelung, daß nur ein Angriff von außen und der damit eintretende »Verteidigungsfall« solche Befugnisse legitimiert, verhindere die Sicherstellung des »staatlichen Schutzauftrags«, meint der Militär – zumal »in Zeiten asymmetrischer Konfliktaustragung« gegen die »existentielle Gefahr« des »islamistischen Terrorismus«.

Toxische Manöver

Für den Fall, daß sich die Feinde Deutschlands biologischer Waffen respektive Seuchenerregern bemächtigen, wird bei der Bundeswehr schon seit längerem vorgesorgt. So fungiert das in München beheimatete Institut für Mikrobiologie der deutschen Streitkräfte nach eigenen Angaben als »wissenschaftliches Kompetenzzentrum«, das die politisch-militärische Führung »in allen Fragen des medizinischen B-Schutzes« berät, um auf diese Weise deren »unmittelbare Urteils- und Handlungsfähigkeit« zu gewährleisten. Die hier betriebene »angewandte Forschung zur Epidemiologie, Pathogenese, Erkennung, Vorbeugung und Behandlung von durch B-Kampfstoffe und vergleichbare Biostoffe verursachten Gesundheitsstörungen« befaßt sich unter anderem mit den Erregern von Tularämie (Hasenpest), Pest, Orthopocken und Milzbrand, wie einer Selbstdarstellung zu entnehmen ist.

Gleich ihren Kameraden der ebenfalls in München untergebrachten Bundeswehr-Institute für Radiobiologie und Pharmakologie/Toxikologie, sind auch die Mikrobiologen Teil der »Task Force medizinischer ABC-Schutz« der deutschen Streitkräfte. Ihre Fähigkeiten stellt die Expertentruppe regelmäßig bei entsprechenden Manövern unter Beweis; zuletzt Ende Juli 2009 im Rahmen der NATO-Übung »Precise Response« nahe dem kanadischen Suffield. Laut einem Bericht der Bundeswehr-Wochenzeitung Aktuell stand hier folgendes Szenario auf dem Programm: In den »Hinterräumen eines Geschäfts« entdecken die »Spezialisten der Task Force« ein »terroristisches Labor« mit »selbstgebauten Brutschränken« und »verdächtigen Nährböden«; auch »Behälter mit weißem Pulver« werden gefunden. Sofort nehmen Mitarbeiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr Proben und bringen diese in ein eigens dafür vorgesehenes »Feldlabor«. Dieses ermöglicht den Nachweis der »Erbsubstanz aller bekannten Biokampfstoffe« mittels »Schnelltests«, weshalb das Ergebnis der nun durchgeführten Untersuchungen bereits nach kurzer Zeit feststeht – man hat tatsächlich Milzbranderreger (Anthrax) aufgespürt! Daß somit bei Manövern »scharfe Kampfstoffe« zum Einsatz kommen, ist für die Bundeswehr nach eigenen Angaben kein Problem, im Gegenteil: »Das ist unersetzlich für uns, nur so können wir realistisch den Einsatz unserer Meßgeräte üben«, erklärt der Leiter der »Task Force«, Oberstarzt Dirk Densow.

Neben dem Institut für Mikrobiologie unterhält die Bundeswehr noch eine weitere Einrichtung, die sich mit der Erforschung biologischer Waffen befaßt. Auf dem Gelände der 1935 von der Nazi-Wehrmacht eingerichteten »Heeresversuchsstelle« für chemische Kampfstoffe im niedersächsischen Munster liegt das »Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologien – ABC-Schutz« (WIS). 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich hier einer Selbstdarstellung zufolge um die »Sicherstellung des Schutzes und der Überlebensfähigkeit des einzelnen Bundeswehrangehörigen im Einsatz gegen die Wirkungen von ABC-Kampfmitteln«, wobei das übergeordnete Ziel in der »Gewährleistung der nationalen Urteilsfähigkeit auf dem Gebiet der ABC-Waffen« besteht. Zu diesem Zweck unterhält das WIS nach eigenen Angaben »zahlreiche biologische, chemische und physikalische Laboratorien«, »Technikumseinrichtungen« und »Großversuchsanlagen«; »in enger Zusammenarbeit mit der Industrie«, so heißt es, würden ebenso »ABC-Detektionssysteme« entwickelt wie Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung für den Einsatz »in verseuchter Umgebung« und Geräte zur Dekontamination.

Kooperation mit Hochschulen

Bereits 2005 teilte das WIS mit, daß heutzutage »keine Berührungsängste mehr zwischen Bundeswehr und zivilen Forschungseinrichtungen« bestünden, was es ermögliche, die eigenen Aktivitäten »wirkungsvoll« durch externe, auftragsfinanzierte »Grundlagenarbeiten« zu »ergänzen«. Aktuell entwickelt das WIS in Kooperation mit dem Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) sowie den Biotechnologie-Unternehmen Zenteris (Jena) und Miprolab (Göttingen) einen neuartigen »Biosensor zur Detektion von bioterroristisch relevanten Toxinen«, wie dem Forschungsplan des RKI zu entnehmen ist. Umgekehrt vertreibt Miprolab nach eigenen Angaben einen im Auftrag des WIS hergestellten »Schnelltest für biologische Kampfstoffe«. Mit dessen Hilfe könne »innerhalb von wenigen Minuten geklärt werden, ob ein biologisches Agens in einer Verdachtsprobe vorliegt«, heißt es – doch damit nicht genug: »Durch seine Größe (110 mm x 30 mm) und die seitlich angebrachten Griffmulden ist der Miprolab-Schnelltest für die Anwendung von Personen in Schutzkleidung (Militär, Katastrophenschutz, Feuerwehr, Bundespolizei etc.) besonders geeignet.«

Auch beim Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr wird »zivil-militärische Zusammenarbeit« großgeschrieben. Wie die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Oktober letzten Jahres mitteilte, kooperiert die militärische Forschungseinrichtung kontinuierlich mit insgesamt zwanzig deutschen Hochschulen – die Liste der Standorte der akademischen Institutionen reicht von B wie Bonn bis U wie Ulm. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts erforschen die Mikrobiologen der deutschen Streitkräfte unter anderem gemeinsam mit der Universität Stuttgart-Hohenheim Bakterien, die bei Menschenaffen an der Elfenbeinküste und in Kamerun zu einer »Anthrax-ähnlichen Erkrankung« mit tödlichem Ausgang geführt haben. Derselben Quelle zufolge arbeitet das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr gemeinsam mit anderen nicht näher bezeichneten »Fachinstituten« aus dem »zivilen Bereich« an einem Projekt mit dem Titel »Erregerneubewertung«. Geplant ist, »erstmals die bei Sicherheits- und Gesundheitsbehörden vorhandenen Informationen zu bioterroristisch relevanten Agenzien in einer dafür geschaffenen eingestuften Datenbank zusammen (zufassen)«. Auf dieser Grundlage wolle man, so heißt es weiter, zu einer »einheitliche (n) nationale (n) Bewertung biologischer Agenzien nach deren Gefährdungs- und Risikopotential« gelangen, die dann »als Handlungsgrundlage für Entscheidungsträger im Falle einer bioterroristischen Bedrohungslage« fungieren könne.

Maßgeblich beteiligt am Projekt »Erregerneubewertung« ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Das vormalige »Bundesamt für Zivilschutz« befaßt sich seit etlichen Jahren mit den staatlichen Handlungsoptionen im Falle einer »Pandemie«, die – wie wir mittlerweile wissen – ebenso natürliche wie »bioterroristische« Ursachen haben kann. Als 2009 nicht nur die sogenannte Schweinegrippe, sondern vor allem die medial geschürte Panik davor in Deutschland grassierte, befürchtete der Leiter des BBK, Christoph Unger, bereits gravierende Konsequenzen für die industrielle Produktion, das Transportgewerbe und die Arbeit der Repressionsorgane. Auf die Frage des Deutschlandfunks, was »das eigentliche Problem einer großen Pandemie« sei, antwortete Unger, er wolle »nicht über Tote« sprechen, schließlich gehe es vor allem um die massenhafte Erkrankung von Arbeitskräften, die in der Industrie und in »sicherheitsrelevanten« Sektoren beschäftigt seien. »Es werden möglicherweise«, so Unger, »in vielen Bereichen die notwendigen Arbeitskräfte nicht zur Verfügung stehen, und das ist das Problem.«

Ruhe im Betrieb

Um genau dieses Problem geht es bereits in dem Ende 2007 unter dem Eindruck der »Vogelgrippe« entstandenen »Handbuch Betriebliche Pandemieplanung« des BBK, in dessen Ausarbeitung Manager der Unternehmen Daimler, Voith, Tengelmann und IBM maßgeblich involviert waren. Die primären Ziele bei »Prävention und Abwehr« massenhafter Infektionserkrankungen bestünden, so heißt es hier, in der »Beschränkung des Schadens für die Volkswirtschaft« und in der Aufrechterhaltung von »Ruhe und Ordnung«. Integraler Bestandteil eines jeden »betrieblichen Pandemieplans« müsse daher eine von den Firmenleitungen vorzunehmende Festlegung derjenigen »Bereiche und Prozesse« sein, die »ohne Unterbrechung weitergehen müssen oder höchstens für kurze Zeit unterbrochen werden können«. Wie das »Handbuch« weiter ausführt, erlebten die Beschäftigten eines Unternehmens eine Pandemie zwar »subjektiv als gefährlich«, da verbunden »mit der Gefahr einer schweren Erkrankung und des Todes«, jedoch sei die Geschäftsleitung gleichzeitig zur »Fortführung der Betriebsprozesse (business continuity)« auf die »Leistungsbereitschaft« der Belegschaft angewiesen. Empfohlen wird deshalb, die Mitarbeiter so zu motivieren, daß sie »sich an ihren Arbeitsplätzen auch in Gefahrensituationen für die Belange des Betriebs einsetzen« – am besten befeuert durch das »Bewußtsein, einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Firma und – darüber hinaus – auch etwas für die Gesellschaft zu leisten«.

Spätestens wenn die Möglichkeit hiesiger Unternehmer, aus ihren Beschäftigten Mehrwert herauszupressen, gefährdet ist, also die »nationale Sicherheit« auf dem Spiel steht, ist das Militär wieder mit von der Partie. Schon im 2006 von der schwarz-roten Bundesregierung verabschiedeten »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr« heißt es, »Pandemien und Seuchen« würden durch »zunehmende Migration, weltweite Mobilität und de (n) globale (n) Welthandel« gefördert und stellten eine »ernsthafte Gefahr für Stabilität und Frieden« dar. Folgerichtig waren die deutschen Streitkräfte denn auch maßgeblich an der vom BBK ein Jahr später veranstalteten »Stabsrahmenübung« LüKEx 07 beteiligt. »Ex« steht dabei für »Exercise«, »LüK« für »Länderübergreifendes Krisenmanagement«, und ein ebensolches, so die Bundeswehr, wollte man nun angesichts einer angenommenen »Influenza-Pandemie mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft« etablieren.

Im einzelnen sah das von BBK, Militär und Privatwirtschaft für LüKEx 07 entworfene Szenario folgendermaßen aus: »Cirka 30 Prozent der Bevölkerung, also etwa 18 Millionen Einwohner, werden in Deutschland mit dem Virus infiziert und sind für etwa vier Wochen nicht arbeitsfähig. Etwa 100000 Bundesbürger überleben die Seuche nicht.« Hamburg, so hieß es, werde besonders »schwer gebeutelt«; die hier auftretenden »massiven Erkrankungen und Personalverluste« machten sich nicht nur durch »Gedränge vor den Apotheken« und »Plünderungen von Geschäften« bemerkbar, sondern ebenso durch »ungelöschte Ladungen im Hafen«; es gebe »stapelweise Container, die nicht abgeholt werden können«. Der heutige Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BakS), Generalleutnant Kersten Lahl, fungierte bei LüKEx 07 als »oberster territorialer Befehlshaber« und wollte nach eigener Aussage das zivil-militärische Manöver dazu nutzen, »auf allen Ebenen« die »Handlungssicherheit« der deutschen Streitkräfte zu erhöhen – »gerade auch in extrem schwierigen Lagen«. Dazu gehörte seiner Dienststelle zufolge nicht zuletzt, »grundsätzliche Entscheidungen« über die Pandemiebekämpfung »zu treffen und zu verantworten«.

Doppelter Nutzen

Fassen wir zusammen: Bundeswehr, Katastrophenschutzbehörden, staatliche Repressionsdienste, Privatwirtschaft und Wissenschaftsbetrieb kämpfen gemeinsam gegen einen »unsichtbaren Feind« und für das, was sie »Biosicherheit« nennen. Das Spektrum der von ihnen in diesem Zusammenhang entwickelten Aktivitäten reicht von der Forschung an biologischen Kampfstoffen über die Herstellung von allerlei Detektions- und Dekontaminationsgerät bis hin zur Organisation von Manövern mit bürgerkriegsähnlichem Szenario. Dies alles gibt vielen Menschen Lohn und Brot und läßt die Profite der Pharma- und Bioindustrie sprudeln – nicht nur, wenn, wie unlängst geschehen, deutsche Landesregierungen in Erwartung einer Grippewelle zweistellige Millionensummen für den Erwerb unwirksamer Medikamente ausgeben (Stichwort »Tamiflu«).

Gleichzeitig müssen diejenigen, die gegen den »unsichtbaren Feind« und für »Biosicherheit« kämpfen, jederzeit über (potentielle) biologische Kampfstoffe verfügen können – die Bundeswehr schon allein, um nicht der Möglichkeit beraubt zu sein, unter »realistischen Bedingungen« zu trainieren. Aber auch in zahlreichen Laboren der Pharma- und Bioindustrie wird mit (potentiellen) biologischen Kampfstoffen experimentiert, wie der Branchenverband BIO Deutschland unumwunden einräumt. In einem »Positionspapier« der Organisation zur »Dual-Use-Problematik« heißt es wörtlich, Forschungsarbeiten mit »hochpathogene (n) Mikroorganismen und von ihnen produzierte (n) Stoffwechselgifte (n)« könnten sowohl für wissenschaftliche Zwecke als auch »für die Herstellung von Biowaffen verwendet werden«. Deshalb auf »Experimente zur Erhöhung der ›Biowaffenfähigkeit‹ (›Weaponisation‹) von biologischen Agenzien oder Toxinen« zu verzichten, kommt für BIO Deutschland jedoch nicht in die Tüte, vielmehr sollten derartige Versuche »so wenig Einschränkung wie möglich erfahren« – schließlich stellten sie »die Grundlage dar, um die Gesellschaft gegen natürliche Infektionen mit gefährlichen Erregern und gegen mögliche bioterroristische Attacken zu schützen«. Ein Schuft, wer denkt, es könne anders sein.

*Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in Frankfurt/Main.

Aus: junge Welt, 3. März 2011



Zurück zur Seite "Massenvernichtungswaffen"

Zur Seite "Bundeswehr an Schulen und Hochschulen"

Zur Wissenschafts-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage