"Einsatz in Afghanistan beenden"
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Buro, Friedensforscher
Am 30. September 2004 wird der Bundestag die Afghanistan-Mission der Bundeswehr verlängern. Aus diesem Anlass veröffentlichten verschiedene Friedensorganisationen eine gemeinsame Erklärung, in welcher der Militäreinsatz abgelehnt wird. Prof. Andreas Buro (Grävenwiesbach) wurde in der "jungen Welt" über die Gründe der Ablehnung befragt.
Wir dokumentieren im Folgenden das Interview mit Andreas Buro sowie die Erklärung aus der Friedensbewegung. Beide stehen in Widerspruch zu einer Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats vom , worin die Bedeutung der "zivil-militärischen Zusammenarbeit
bei der Krisenbewältigung" betont wird. Wir dokumentieren diese Erklärung als pdf-Datei an anderer Stelle:
»Einsatz in Afghanistan beenden«
Militärische Befriedung ist fehlgeschlagen, Deutschland soll sich statt dessen zivil engagieren. Ein Gespräch mit Andreas Buro
Frage: Ihre Organisation, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, sowie die Ärzteorganisation IPPNW und Initiativen der Friedensbewegung appellieren an den Bundestag, das Mandat für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan nicht zu verlängern. Der Bundestag wird voraussichtlich morgen eine Verlängerung des Mandats beschließen. Ist der bisherige Einsatz so erfolgreich, wie die Bundesregierung behauptet?
Andreas Buro: Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Erstens wird in Afghanistan auch heute noch gebombt und geschossen. Große Teile des Landes werden von Taliban und den Mohnanbau kontrollierenden Warlords beherrscht, mit denen die USA militärisch zusammenarbeiten. Die von der Bundeswehr angestrebte internationale Kooperation ist gescheitert. Zweitens reicht das vom Westen unterstützte Regime nicht weit über die Tore Kabuls hinaus. Während für Stationierung und Aktionen des Militärs riesige Summen ausgegeben werden, fehlt Geld für die Überwindung von Armut und den Wiederaufbau des Landes. Die militärische Befriedung des Landes ist fehlgeschlagen.
F: Offiziell ist die Rede von einer militärisch notwendigen Befriedung – die sehen Sie nicht?
Der Blick in die Geschichte zeigt, daß gerade Militärinterventionen Ursache für die Zerstörung der afghanischen Gesellschaft waren: Drei koloniale Feldzüge des britischen Empires. Ein Stellvertreterkrieg zwischen der Sowjetunion und den USA, wobei islamisch-fundamentalistische Kräfte von den USA aufgebaut und unterstützt wurden. Schließlich die Intervention durch die USA und Verbündete, einschließlich afghanischer War-Lords, nach dem 11. September 2001.
F: Die Bundesregierung stellt ihr Engagement in Afghanistan gerne als Kompensation dafür dar, daß keine deutschen Soldaten für den Irak-Krieg abgestellt wurden. Darüber hinaus würden die USA im »Kampf gegen den Terrorismus« entlastet.
Die Teilnahme am Irak-Krieg war und ist grundsätzlich abzulehnen. Es bedarf keiner Kompensationen.
F: Ist Ihr Appell angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nicht aussichtslos?
Selbstverständlich werden Bundestag und Bundesregierung nicht die Positionen der Friedensbewegung übernehmen.
F: Warum wenden Sie sich trotzdem an das Parlament?
Schon deshalb, um die ständige Behauptung, es gebe keine Alternative zur herrschenden Politik, Lügen zu strafen und Alternativen aufzuzeigen. Wir fordern ja nicht nur den Abzug des deutschen Militärs. Wir wollen auch, daß Deutschland sich in Afghanistan im Sinne ziviler Konfliktbearbeitung engagiert, und zwar in der Höhe der eingesparten militärischen Mittel.
F: Bedarf zivile Kooperation nicht des militärischen Schutzes?
Nein, er behindert die zivile Kooperation, da das Militär die Glaubwürdigkeit der Neutralität der Kooperationsorganisationen beschädigt. Darüber hinaus gefährdet die Verquickung humanitärer und militärischer Interessen die Arbeit der zivilen Helfer. Auch kann das Militär keineswegs die zivilen Mitarbeiter vor Entführungen und sonstigen Bedrohungen schützen. Das wird nicht nur im Irak deutlich. Neben humanitären Aufgaben, die sich auf die Sicherung von Grundbedürfnissen – Wasser, Gesundheit, Elementarbildung, Energie – richten sollten, halten wir Qualifikationsprogramme für vordringlich, um kommunale Arbeit zu verbessern. Wichtig ist auch die Förderung von Bauern, die nach Alternativen zum Mohnanbau suchen. Wer zum Frieden beitragen will und Konflikte deeskalieren möchte, darf die perspektivlose Militärpolitik nicht weiterführen.
(Interview: Thomas Klein)
* Andreas Buro, in den 60er Jahren Mitinitiator der Ostermarsch-Bewegung, später Professor für Politikwissenschaft an der Uni in Frankfurt/M., ist friedenspolitischer Sprecher im Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Aus: junge Welt, 28.09.2004
Friedensverbände fordern von Bundesregierung und Bundestag, das ISAF-Mandat für die Bundeswehr nicht zu verlängern.
Nur zivile Kooperation kann in Afghanistan helfen
Afghanistan kann nicht über militärische Interventionskräfte wieder
aufgebaut werden und einen eigenen Entwicklungsweg aufnehmen. Die
Ursache für die Zerstörung der afghanischen Gesellschaft waren die
Militärinterventionen, die sie erleiden musste: Drei koloniale
Feldzüge des britischen Empires, einen Stellvertreterkrieg zwischen
der Sowjetunion und den USA, wobei islamisch-fundamentalistische
Kräfte von den USA als Kampfpotentiale aufgebaut und unterstützt
wurden, schließlich die Intervention durch die USA und weitere
Willige, einschliesslich afghanischer War-Lords, nach dem 11. 9.
2001.
Heute wird noch immer gebombt und geschossen. Große Teile des Landes
werden von den Taliban und den den Mohnanbau kontrollierenden War-
Lords beherrscht, mit denen die USA militärisch kooperieren. Das vom
Westen unterstützte Regime reicht nicht weit über die Tore von Kabul
hinaus. Während für Stationierung und Aktionen des Militärs riesige
Summen ausgegeben werden, fehlt es für die Überwindung von bitterer
Armut und den Wiederaufbau des Landes an allen Ecken und Enden. Die
militärische Befriedung des Landes ist fehlgeschlagen. Zivile
Kooperation tut Not! Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.
1. Wir fordern den Bundestag auf, die Verlängerung des
Bundeswehrmandates für eine weitere Stationierung abzulehnen und den
Abzug der deutschen Militärkontingente zu beschließen. Das
inoffizielle Argument, die deutschen Truppen seien nur in
Afghanistan, um die USA für ihren Krieg in Irak zu entlasten, da
Deutschland aus politischen Gründen keine Militäreinheiten in den
Irak entsenden könne, ist für uns nicht annehmbar. Die Teilnahme am
Irak-Krieg war und ist grundsätzlich abzulehnen. Es bedarf keiner
Kompensationen.
2. Eine Konsolidierung der afghanischen Gesellschaft und die
Rekonstruktion eines Staatswesens bedarf nicht der Bevormundung von
außen. Sie wird nur möglich sein, wenn auch die traditionellen
Elemente dieser Gesellschaft und der verschiedenen Völker
Afghanistans sich darin aufgehoben fühlen können. Modernisierung
kann daher nur ein von innen geleiteter Prozess sein, der Tradition
und Moderne miteinander verbindet. Westliche Vorstellungen von
parlamentarischer Demokratie, angeführt von US-gesteuerten Auslands-
Afghanen und War-Lords, müssen wie ein weiterer Angriff auf die
Identität der afghanischen Völker empfunden werden.
3. Erforderlich ist deshalb die Unterstützung der Kräfte in
Afghanistan, die am Aufbau einer friedlichen Gesellschaft
interessiert sind. Das kann nicht durch Besatzungsarmeen erfolgen,
sondern nur durch gezielte Kooperationen und Unterstützungen, die im
Konsens mit den jeweilig Betroffenen betrieben werden. Bei
unüberwindbaren Rivalitäten afghanischer Gruppierungen muss
eventuell auf die Durchführung von Projekten so lange verzichtet
werden, bis ein Konsens erreicht ist.
4. Eine solche zivile Konfliktbearbeitung kann von der
Bundesrepublik Deutschland einseitig und punktuell eingeleitet
werden, selbst wenn die USA und andere Mächte noch in dem Land
Besatzungsarmeen unterhalten.
5. Eine zivile Kooperation bedarf nicht des militärischen Schutzes.
Er behindert nur die zivile Kooperation, da das Militär die
Glaubwürdigkeit der Neutralität der Kooperationsorganisationen
beschädigt. Darüber hinaus gefährdet die Verquickung humanitärer und
militärischer Interessen die Arbeit der zivilen Helfer. Auch kann
das Militär keineswegs die zivilen MitarbeiterInnen vor Entführungen
und sonstigen Bedrohungen schützen, wie im Irak nur allzu deutlich
wird. Darauf verweist jüngst noch einmal die Direktorin der Diakonie
Katastrophenhilfe, Frau Cornelia Füllkrug-Weitzel (FR 13.9.2004).
Das Militär selbst ist für zivile Friedensarbeit weder ausgebildet
noch psychisch geeignet und außerdem viel zu kostspielig.
6. Die Mittel, die bisher für den Bundeswehreinsatz ausgegeben
wurden, sollen deshalb der zivilen Konfliktbearbeitung für geeignete
Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt werden. Die Federführung
könnte das Bundesministerium für Zusammenarbeit übernehmen. Damit
würde deutlich gemacht, dass die Zusammenarbeit in Afghanistan mit
der Entwicklungshilfe in anderen Ländern gleichgestellt ist und
nicht mit der militärischen Besetzung des Landes in Verbindung
steht. Das BMZ hat ebenso wie zivile Organisationen bereits wichtige
Erfahrungen aus der Arbeit in Afghanistan, die für eine verstärkte
Kooperation genutzt werden können.
7. Neben humanitären Aufgaben, die sich auf die Sicherung von
Grundbedürfnissen (Wasser, Gesundheit, Elementarbildung, Energie)
richten sollten, halten wir Qualifikationsprogramme für besonders
vordringlich, um kommunale Arbeit zu verbessern. Vordringlich ist
auch die Förderung von Bauern, die nach Alternativen zum Mohnanbau
suchen. Bisher scheinen die versprochenen Hilfen gerade in diesem
Bereich nicht angekommen zu sein.
8. Zweifellos ist eine Neuorientierung der Politik gegenüber
Afghanistan und seinen geschundenen Völkern eine große
Herausforderung für die deutsche Politik. Wer jedoch zum Frieden
beitragen will und Konflikte deeskalieren möchte, darf die
perspektivlose Miitärpolitik nicht weiter führen, sondern muss sich
den wirklichen Herausforderungen innovativ stellen.
9. Deshalb fordern wir vom Bundestag eine Entscheidung zugunsten
einer Neuorientierung der deutschen Afghanistan-Politik, die auf der
Höhe der Zeit ist. Wir sind sicher, dass manche EU-Staaten sich
einer solchen zukunftsorientierten Politik der zivilen Bearbeitung
anschließen werden. So könnte ein neuer Trend gesetzt und die
Interessen der Völker auch am Hindukusch in neuer Weise in Einklang
gebracht werden.
Folgende Friedensverbände haben die Erklärung unterschrieben:
Bund für soziale Verteidigung (BSV), Graswurzelwerkstatt, Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-VK), DFG-VK LV Baden-Württemberg, Internationaler Versöhnungsbund Deutscher Zweig, Bundesausschuss Friedensratschlag, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Menschen für den Frieden Düsseldorf, Mönchengladbacher Friedensforum, NaturwissenschaftlerInnen Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit, Netzwerk Friedenssteuer e.V., Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christinnen & Christen, Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen (GAAA), Darmstädter Friedensforum, Rüstungsinformationsbüro Baden-Württemberg (RIB), Gesellschaft Kultur des Friedens, Friedensplenum Tübingen/Anti-Kriegs-Bündnis
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