Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Handel mit Tod und Unterdrückung

Kleinwaffen und Menschenrechtsverletzungen - Ein Positionspapier von amnesty international

Das folgende Positionspapier von ai stammt aus dem November 2000, hat aber bis heute nichts an Gültigkeit und Brisanz verloren. Wir haben es der Hompage von ai (www. amnesty.de) entnommen.

Weltweit wütet eine Vielzahl bewaffneter Konflikte - Konflikte, die Gewalt, Tod und Leid vor allem über die Zivilbevölkerung bringen. Die Opfer leiden dabei vor allem unter den Auswirkungen von kleinen und leichten Waffen, angefangen bei Pistolen und Maschinenpistolen über Schnellfeuergewehre bis zu Minen, Maschinengewehren und Mörsern. Solche Rüstungsgüter kommen jedoch nicht erst in Kriegen zum Einsatz - gerade Kleinwaffen tragen in vielen Staaten tagtäglich zu Gewalt, Repression und Menschenrechtsverletzungen bei. Alljährlich zählt der Jahresbericht von amnesty international die Vielzahl der Staaten auf, in denen Menschen ermordet, gefoltert oder inhaftiert werden oder einfach "verschwinden" - unter Zuhilfenahme und Einsatz von Kleinwaffen. Zunehmend kommen auch moderne sogenannte "nicht-tödliche" Waffen als Werkzeuge für Folter und Misshandlung zum Einsatz: Elektroschockwaffen, Fesselwerkzeuge, Tränengas.

Fast problemlos erhalten menschenrechtsverletzende Staaten Kleinwaffen samt Munition, Lizenzen zur Produktion oder Ausbildung zur deren Handhabung von Staaten wie den USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien, der Volksrepublik China und auch der Bundesrepublik Deutschland. Unzureichende Kontrollen und mangelhafte Transparenz tragen zur weiteren Verbreitung von Kleinwaffen in Konfliktregionen bei. Private Waffenmakler verdienen an den Geschäften mit dem Tod. Auf internationalen "Sicherheits-Messen" werden Elektroschockwaffen und andere Zwangsmittel für die internationale Kundschaft angeboten.

Die Exportstaaten ein hohes Maß an Mitverantwortung für die Menschenrechtsverletzungen, wenn sie weiterhin Waffen, Munition und sonstiges Rüstungsmaterial an die Täter liefern und den Unterdrückern finanzielle Hilfen oder "know how" zukommen lassen.

Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland hat eine besondere Verantwortung, den internationalen Strömen von Kleinwaffen und Repressionstechnologie entgegenzuwirken. Als ein Beispiel für die Hypothek der Vergangenheit, die abzutragen ist, soll hier der Kleinwaffenproduzent Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar stehen, eine Firma, die mittlerweile Bestandteil des britischen Rüstungskonzerns British Aerospace ist. Dank der über viele Jahre hinweg großzügigen Genehmigungspraxis der jeweiligen Bundesregierungen ist nach Angaben der Fachliteratur zum Beispiel das Schnellfeuergewehr G3 in weit über 50 Staaten im Gebrauch - und taucht auch in Berichten von amnesty international über Menschenrechtsverletzungen auf. Gefördert wurde die weite Verbreitung nicht zuletzt durch die Vergabe von Lizenzen und den Aufbau ganzer Waffenfabriken zur Produktion des G3. So zählten zu den Kooperationspartnern von Heckler & Koch. unter anderem die Türkei, Myanmar, der Sudan, Mexiko, Pakistan, Iran und Saudi Arabien. Über 40 Staaten verwenden Maschinenpistolen vom Typ Heckler & Koch MP5. Zusätzlich sind weltweit in vielen Ländern Pistolen und Maschinengewehre von Heckler & Koch im Einsatz.

Produktion und Einsatz von Sturmgewehren 1945 bis 1990

WaffenartKalaschnikow M16 G3 FN-FAL
Herkunft UdSSR USA BRD Belgien
Produktionszahl [Mio] 35 - 50 8 7 5 - 7
Produktionsstandorte mehr als 14 8 18 15
Benutzer [Staaten] 78 67 mehr als 64 94


Auch Repressionstechnologie wie Elekroschlagstöcke konnten lange Jahre unkontrolliert aus Deutschland exportiert werden. Erst auf nachdrückliche Forderungen von amnesty international hin wurden solche Waffen 1997 in die entsprechenden Exportlisten der Ausfuhrverordnungen aufgenommen.

amnesty international ist weiterhin besorgt über die Praxis der deutschen Rüstungsexporte. Im Jahr 1999 wurden insgesamt wurden 3284 Anträge für den Export von Kleinwaffen im Gesamtumfang von rund 461 Millionen DM genehmigt, dazu 1138 Anträge für Munitionsexporte im Umfang von rund 285 Millionen DM. Im Jahr 1999 erteilte die Bundesregierung Genehmigungen für Rüstungsexporte an fast 100 sogenannte Drittländer.

Die Lieferung von Kleinwaffen und/oder Munition wurde für eine Anzahl von sogenannten "Drittstaaten" genehmigt , in denen eine unbefriedigende Menschenrechtssituation oder innere Konflikte bestehen - so u.a. Ägypten, Georgien, Nepal, Philippinen, Sambia, Senegal. Das ist besonders bedenklich, weil gerade Kleinwaffen und Munition schon in geringen Mengen zur Eskalation von Konflikten und zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können. Genauere Informationen fehlen weiterhin, da die Bundesregierung Rüstungsexporte nicht im notwendigen Maß transparent macht.

Dabei zeigen Beispiele aus der Vergangenheit, dass auch deutsche Kleinwaffen bei Menschenrechtsverletzungen zum Einsatz kamen.

z.B.: Türkei
Die Standardwaffe des türkischen Militärs und anderer "Sicherheits"kräfte ist das Schnellfeuergewehr G3, das die Türkei mit deutscher Lizenz produziert. Zusätzlich wurden der Türkei durch die Bundesregierung Anfang der 90er Jahre über 300000 Kalaschnikow-Sturmgewehre samt Munition aus Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR überlassen, die sich dann in den Händen von Militär, Jandarma und auch der paramilitärischen Dorfschützer wiederfanden - alle für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Trotz der anhaltend unbefriedigenden Menschenrechtssituation bewilligte die letzte Bundesregierung unter Kanzler Kohl 1998 die Lizenzproduktion neuer Schnellfeuergewehr deutscher Konstruktion in der Türkei. Trotz der konkreten Gefahren gerade von Kleinwaffen und der dazugehörigen Munition für die Menschenrechte genehmigte die Bundesregierung im Jahr 2000 den Export einer Munitionsfabrik, mit der nunmehr die Geschosse für die neuen Schnellfeuergewehre in der Türkei produziert werden können.

z.B.: Thailand
Der stellvertretende Generaldirektor des "Corrections Department" (für Gefängnisse und Hinrichtungen zuständige Stelle des thailändischen Innenministeriums) bestätigte Mitte der 80er Jahre, daß zur Vollstreckung der Todesurteile im Hochsicherheitsgefängnis von Bang Khwang (nahe Bangkok) zwei MP5 SD2-Maschinenpistolen der Firma Heckler & Koch aus Deutschland erworben und am 16. April 1984 installiert wurden. Bis zum Oktober 1985 sind diese Maschinenpistolen nach seinen Angaben für die Hinrichtung von fünf Gefangenen benutzt worden.

z.B.: Brasilien
Im Oktober 1992 ermordeten Angehörige der brasilianischen Militärpolizei in Săo Paulo 111 Gefangene bei der Niederschlagung einer Häftlingsrevolte. Die Militärpolizisten verwendeten dabei unter anderem Heckler & Koch MP5-Maschinenpistolen. Anhand der Seriennummern gelang der deutschen Sektion von amnesty international der Nachweis, daß diese Maschinenpistolen aus Deutschland nach Brasilien geliefert worden waren. Auch in der jüngsten Vergangenheit hat amnesty international eine Vielzahl von Berichten über die Rolle der Militärpolizei in Brasilien erhalten, unter anderem bei Landkonflikten, bei denen Militärpolizisten, die Zwangsräumungen durchführten, mit exzessiver Gewalt vorgingen, Menschen mißhandelten und folterten und staatliche Morde begingen.

Forderungen von amnesty international

amnesty international fordert den Stopp von Rüstungstransfers, wenn die Gefahr besteht, dass diese zu Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland beitragen. Dabei betrachtet ai als "Rüstung" über Waffen, Munition und sonstige Militärgüter hinaus auch sogenannte "nicht-tödliche" Waffen und Folterwerkzeuge wie Elektroschockwaffen, Hand-/Fußfesseln, Tränengas sowie Ausbildung, "know how" und logistische / finanzielle Unterstützung.

amnesty international fordert von Regierungen weltweit verschärfte gesetzliche Regelungen für Rüstungstransfers unter Berücksichtigung der Menschenrechte als verbindlichem Genehmigungskriterium sowie mehr Transparenz.

Im Sinne des präventiven Menschenrechtsschutzes erwartet amnesty international von der Bundesregierung als Teil einer konsequenten Rüstungsexportkontrollpolitik mindestens die Verwirklichung der folgenden Punkte:
  • Die Genehmigung und Durchführung von Rüstungstransfers - auch von staatlicher Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe - soll gesetzlich verboten sein, wenn die Regierung nicht mit hinreichender Sicherheit ausschliessen kann, dass solche Transfers zu Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland beitragen [Menschenrechtsklausel].
  • Die Produktion von Gütern, die allein zu Menschenrechtsverletzungen verwendet werden können (z.B. Hinrichtungswerkzeuge oder Antipersonenminen), muss verboten werden.
  • Die Bundesregierung hat die Verantwortung für die Verwendung von Rüstungstransfers zu tragen, die von ihr initiiert, genehmigt oder geduldet werden, und sie muss eine angemessene Kontrolle des Endverbleibs gewährleisten.
  • Rüstungstransfers sollen innerhalb angemessener Frist nach der Antragstellung und vor der Entscheidung über die Exportgenehmigung öffentlich bekannt gemacht werden. Ferner muss offengelegt werden, welche Einschätzung der Menschenrechtssituation im Empfängerland der Entscheidung zugrunde gelegt wurde.
  • Der Entscheidung über die Exportgenehmigung muss eine parlamentarische Kontrolle vorangehen.
  • Die Bundesregierung soll im Rahmen anderer Maßnahmen zur Transparenz genehmigter Rüstungstransfers auch regelmäßig über die Menschenrechtssituation in den Empfängerländern berichten.
  • Bundesregierung und Bundestag sind aufgefordert, sich im Rahmen der EU für rechtlich verbindliche einheitliche europäische Regelungen von Rüstungstransfers, insbesondere des Exports sogenannter "nicht-tödlicher" Waffen, sowie der Tätigkeit privater Vermittler von Rüstungsgeschäften unter Einbeziehung der obigen Grundsätze einzusetzen.
amnesty international spielt als internationale Menschenrechtsorganisation eine wichtige Rolle im internationalen Menschenrechtsschutz und fördert die Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderer internationaler Menschenrechtsübereinkommen. Ziel ist die Förderung des Bewusstseins für die Unteilbarkeit und gegenseitige Abhängigkeit aller Menschenrechte und Grundfreiheiten.

amnesty international wendet sich gegen schwerwiegende Verletzungen der Rechte eines jeden Menschen auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, auf Freiheit von Diskriminierung sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit; amnesty international arbeitet insbesondere mit allen geeigneten Mitteln und unabhängig von politischen Erwägungen
  • für die Freilassung von gewaltlosen politischen Gefangenen, d.h. von Frauen und Männern, die irgendwo auf der Welt wegen ihrer Überzeugung, Hautfarbe, ethnischen Herkunft, Sprache, wegen ihres Glaubens oder ihres Geschlechts inhaftiert sind und Gewalt weder angewandt noch zu ihrer Anwendung aufgerufen haben;
  • für faire und zügige Gerichtsverfahren für alle politischen Gefangenen;
  • gegen Folter und Todesstrafe, das "Verschwindenlassen" von Menschen, extralegale Hinrichtungen sowie wahllose und willkürliche Tötungen;
  • gegen den Transfer von Waffen, Ausrüstung und Know-how für Militär, Polizei und Sicherheitskräfte, wenn nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass solche Transfers zu Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland beitragen;
  • gegen die Abschiebung, Zurückweisung und Auslieferung von Flüchtlingen in ein Land, in dem sie von Menschenrechtsverletzungen, gegen die sich amnesty international einsetzt, bedroht sind.
Zur "Kleinwaffen"-Seite

Zu anderen "Themen"

Zurück zur Homepage