Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein derartiger Krieg darf sich niemals wiederholen

Stellungnahme des Präsidiums der deutschen Sektion von pax christi zum Jahrestag des Kriegsbeginns im Irak

Unter Führung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika griffen die Streitkräfte der Verbündeten am 20. März 2003 den Irak an. Nach wenigen Wochen hatte die Allianz das irakische Militär besiegt. Das Unrechtssystem des Diktators Saddam Hussein wurde gestürzt und eine unter amerikanischer Führung stehende Zivilverwaltung installiert. Der gestürzte Diktator befindet sich nach Monaten der Flucht inzwischen in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.

Die Befreiung von der jahrelangen Terrorherrschaft Saddam Husseins wird von den meisten Irakern positiv erlebt. Eine nachträgliche Rechtfertigung dieses Angriffs verbietet sich, nicht nur wegen der schrecklichen Bilanz dieses Krieges. Er hat unzählige Menschen das Leben gekostet und Zerstörungen verursacht, die bis heute nachwirken. Der Krieg war völkerrechtswidrig. Er hat den Frieden in der Welt nicht sicherer gemacht und die legitimen Institutionen einer internationalen Ordnungspolitik in fundamentaler Weise geschwächt.

Heute ist Gewissheit: Die Weltöffentlichkeit wurde von der US-amerikanischen Regierung vorsätzlich getäuscht. Der Irak war nicht im Besitz der Massenvernichtungswaffen, die ihm zur Last gelegt wurden. Die US-Administration beanspruchte einseitig ein Recht auf Präventivkrieg und setzte dieses im Dienste ihrer strategischen Interessen durch. Dabei wurden in unerträglicher Weise religiöse Vorstellungen und Begriffe zur Rechtfertigung dieses Krieges missbraucht.

Militärische Macht dominierte über die Stärke des Rechts und die Stimme der Weltöffentlichkeit, die sich zuvor in bisher nicht gekannter Weise artikuliert hatte. Weltweit demonstrierten zu Beginn des vergangenen Jahres Millionen Menschen gegen den drohenden Irakkrieg. Papst Johannes Paul II. und die Deutsche Bischofskonferenz warnten in ebenso deutlichen wie eindeutigen Stellungnahmen vor diesem Krieg. Der Papst bezeichnete ihn als „eine Bedrohung für das Schicksal der Menschheit“. Unablässige diplomatische Aktivitäten der Vereinten Nationen eröffneten Wege zu einer politischen Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Trotz dieses ethisch und politisch begründeten breiten Widerstandes wurde der Krieg gegen den Irak begonnen.

Der Jahrestag des Krieges ist deshalb Grund zu einer kritischen Bilanz. Ein derartiger Krieg darf sich nicht wiederholen. Der Krieg hat Tausenden von Zivilisten den Tod gebracht. Die Zahl der gefallenen irakischen Soldaten ist bis heute unbekannt. Mehr als Tausend Soldaten der Alliierten bezahlten den Einsatz mit ihrem Leben. Wichtige Versorgungssysteme, Industrieanlagen und die gesamte Infrastruktur des Landes sind nachhaltig zerstört. Der Aufbau von Institutionen der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit gestaltet sich schwierig. Die Alliierten sind Besatzungsmacht in einem nach Selbstbestimmung strebenden Land. Ihre Akzeptanz in der Bevölkerung ist gefährlich schwach. Je langwieriger sich der Prozess der Überführung der politischen Verant-wortung in die Hände der irakischen Bevölkerung gestaltet, um so mehr verschärft sich die Sicherheitslage im Lande. Attentate und Bombenterror erschüttern nahezu täglich das Land und führen es derzeit an den Rand eines Bürgerkrieges. Das US-amerikanische Militär ist dabei offenbar weder in der Lage, antidemokratische und extremistische gewalttätige Gruppierungen zu entwaffnen noch die eigenen und die kooperierenden Sicherheitskräfte zu schützen.

Die militärische Dominanz der Besatzungstruppen wird von der großen Mehrheit der irakischen Bevölkerung als Demütigung empfunden. Es droht ein Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt.

Der Sturz des Diktators Saddam Hussein führte zu einem Machtvakuum, auf das die Alliierten keine überzeugende politische Antwort geben konnten. Militärische Stärke vermochte den Diktator zu stürzen; den Aufbau demokratischer Strukturen befördert sie nicht. Hilfe suchend muss sich heute die US-amerikanische Regierung an die internationale Staatengemeinschaft wenden, der sie zu Kriegsbeginn mit machtpolitischer Arroganz begegnete. Die Vereinten Nationen, die Europäische Union und andere Institutionen sollen jetzt mithelfen, eine geordnete Machtübergabe zu organisieren und den Schaden zu begrenzen, den die militärische Invasion angerichtet hat. Solche problematischen Folgen wurden von den Kriegsgegnern vorhergesehen und waren Teil ihrer Warnungen, ebenso wie die grundsätzliche Kritik an der US-Strategie.

Der Strategiewechsel, den die US-amerikanische Regierung mit dem Irakkrieg eingeleitet hat, stellt nicht nur eine Rückkehr zum Krieg als Mittel der Politik dar. Besonders verhängnisvoll ist die Abkehr vom völkerrechtlichen Verbot eines Angriffskrieges. Trotz der großen Schwierigkeiten, die Sicherheit im Irak garantieren zu können, haben die USA die Strategie des Präventivkrieges bisher in keiner Weise relativiert und bekräftigen ihre Option, derartige Kriege künftig sogar mit atomaren Gefechtsfeldwaffen, sogenannten Mini-Nukes, zu führen. Eine derartige Strategie droht einen neuen Rüstungswettlauf auszulösen mit der Folge einer verschärften Militarisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen.

Der Krieg gegen den Irak hat keinen Fortschritt in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus gebracht. Im Gegenteil. Wiederholt ist es im zurückliegenden Jahr zu menschenverachtenden Anschlägen mit hunderten von Toten gekommen. Und das, obwohl in den USA und anderen Staaten besondere Schutzmaßnahmen gegen drohende Attentate eingeleitet wurden. Außer ihrer Wirksamkeit muss aber vor allem ihre Verhältnismäßigkeit bezweifelt werden. Von der Zerschlagung der Netzwerke des Terrorismus kann nicht die Rede sein. Die Sicherheitslage im Nahen und Mittleren Osten hat sich nicht verbessert. Der militärische Erfolg im Irak reicht nicht an die Ursachen von Gewalt und Terror heran, um diese nachhaltig zu überwinden.

Die Einheit der Staaten der Europäischen Union erwies sich unter dem Druck des militärischen Alleingangs der USA als zerbrechliches Gebilde. Die unterschiedlichen Positionen, die die Mitgliedsstaaten der EU zum Irakkrieg bezogen, verhinderten ein gemeinschaftliches Vorgehen, weil die Staaten gefangen blieben in ihren gegensätzlichen Standpunkten zwi-schen transatlantischer Bindung und Selbstbehauptung Europas. Die Antwort auf diese Erfahrung kann nicht der Aufbau einer eigenen militärischen Gegenmacht zu der der USA sein. Die Stärke der Europäischen Union liegt in der Ermöglichung von Kooperation und umfassender Sicherheit bei Achtung des Völkerrechts und Stärkung der Vereinten Nationen. Diese gilt es zu fördern.

Ein Jahr nach dem Beginn des Irakkrieges fordert pax christi:
  • Schnellstmögliche internationale Hilfe für das irakische Volk, das nach drei Kriegen und einem langen Embargo ein Recht auf Selbstbestimmung und zivilen Aufbau mit weltweiter Unterstützung hat. Deutschland soll sich am zivilen Wiederaufbau des Irak beteiligen.
  • Die Übergabe der Macht an eine unter Aufsicht der Vereinten Nationen frei gewählte irakische Regierung und den vollständigen Abzug der Alliierten aus dem Irak, so schnell wie möglich. Dies schließt auch alle weiteren Überlegungen zum Einsatz von NATO-Kontingenten im Irak aus.
  • Der Irakkrieg darf nicht zum Exempel für ein Machtstreben werden, das unter dem Deckmantel des „Kriegs gegen den Terror“ internationales Recht bricht. Die Verletzung von Menschenrechten und die Unterdrückung von Minderheiten müssen anders geahndet werden als durch Kriege, die immer auch der Durchsetzung einseitiger Interessen dienen.
  • Die Vereinten Nationen dürfen nicht für kriegerische Ziele vereinnahmt werden, wie dies im Vorfeld des Irakkrieges versucht wurde. Sie sind als Aufsichtsgremium für Menschen- und Völkerrecht und als Kraft des friedensstiftenden Dialogs so zu stärken, dass sie ihrem Auftrag aus der Charta noch nachhaltiger als bisher nachkommen können, nämlich Krisen im Einklang mit dem Völkerrecht zu lösen und gewaltsame Konfliktaustragung ebenso wie Hegemonialstreben zu verhindern.
  • Die Europäische Union muss sich allen Versuchen widersetzen, Krieg zum Mittel der Politik werden zu lassen, und im Dialog mit den USA sowie anderen Staaten für langfristige Strategien der Friedenssicherung eintreten. Es darf nicht dazu kommen, dass die stärkste Militärmacht Krieg führt, dessen Folgen dann die Staatengemeinschaft zusammen mit den internationalen Hilfsorganisationen lindern muss.
Fulda / Bad Vilbel, den 18. März 2004

Quelle: Homepage von pax christi: www.paxchristi.de


Zurück zur Seite "Kirchen und Friedensbewegung"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage