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UN-Kinderrechtskonvention gültig

Deutschland nimmt Vorbehalte zurück

Die UN-Kinderrechtskonvention ist seit Donnerstag (15. Juli 2010) uneingeschränkt in Deutschland gültig. Die Bundesregierung übergab den Vereinten Nationen ein Schreiben, in dem sie die Rücknahme ihrer Vorbehalte erklärte. Das hatte das Kabinett im Mai beschlossen [siehe Kasten!]. Damit ändert sich der Status von Kindern in Asylverfahren. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte die Länder auf, ihre Praxis und die Gesetzesanwendung kritisch zu überprüfen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und die Grünen forderten auch gesetzliche Änderungen auf Bundesebene.

Bei der Ratifizierung der Konvention 1992 hatte Deutschland Vorbehalte geltend gemacht, so dass unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bislang kein besonderes Schutzrecht zuerkannt wurde. Ab 16 Jahren werden sie im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. In einigen Bundesländern werden minderjährige Flüchtlinge in Unterkünften für Erwachsene untergebracht. Einige wurden in Abschiebehaft genommen.

Kinder und minderjährige Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr benötigten einen ganz besonderen Schutz und humanitäre Hilfe, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Es gehe vor allem um Kinder und Jugendliche in Abschiebehaft. Die Abschiebehaft müsse auf die kürzeste, noch angemessene Zeit reduziert werden.

Auch bei der Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes, vor allem bei der medizinischen Versorgung, sollten die Sozialbehörden auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen Rücksicht nehmen, forderte die Ministerin. In Asylverfahren bräuchten nicht nur Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum 18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand. "Die Länder sollten jetzt ihre Chance nutzen, die Rechte von minderjährigen Flüchtlingen weiter zu verbessern."

* Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2010


Trotzdem Abschiebehaft für Kinder?

Nach formaler Erklärung gegenüber der UNO gilt die Kinderrechtskonvention in Deutschland nun uneingeschränkt

Von Uwe Kalbe *


In einer sogenannten Verbalnote an den UNO-Generalsekretär hat Deutschland formal vollzogen, was das Kabinett im Mai beschlossen hatte: Deutschland zieht seinen Vorbehalt zur Kinderrechtskonvention zurück, diese ist hierzulande damit uneingeschränkt gültig.

Seit 18 Jahren währt das Unrecht. Ebenso lange währt der Widerspruch von Kinderhilfsorganisationen und Flüchtlingsvereinen dagegen. Damals ratifizierte Deutschland die Kinderrechtskonvention unter dem Vorbehalt, dass deren Forderungen nicht für Kinder gelten, die asyl- oder ausländerrechtlichen Verfahren unterworfen sind. So werden Jugendliche ab 16 im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Minderjährige werden in Erwachsenenunterkünften untergebracht, immer wieder geschieht es, dass auch Kinder in Abschiebehaft gesteckt werden. Kinder dürfen nicht ins Gefängnis gesteckt werden, sondern brauchen besonderen Schutz, vor allem, wenn sie von Gewalt- und Trennungserfahrungen gezeichnet sind.

Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wies auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern hin. Und ergänzte: Die Abschiebehaft müsse auf die kürzeste, noch angemessenste Zeit reduziert werden. Sie forderte die Bundesländer auf, ihre Gesetzespraxis kritisch zu überprüfen.

Welche Haftzeit ist für Kinder angemessen? Die Opposition im Bundestag hält mit Kritik und Skepsis nicht hinter dem Berg. Denn schon bei einer Anhörung im Mai machte die Ministerin namens der Bundesregierung deutlich, dass diese keinen juristischen Handlungsbedarf erkennt, der sich aus der Rücknahme des Vorbehalts ergäbe. SPD und Grüne werden stattdessen auf ihre eigene, ungenutzte Regierungszeit hingewiesen. Pro Asyl interveniert hingegen schon seit 18 Jahren.

Vorstand Heiko Kauffmann fordert nun die Verankerung des Kindeswohls auch im Bundesrecht – etwa in der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialgesetzgebung oder im Aufenthaltsgesetz, beim Asylverfahren oder bei der Grundversorgung von minderjährigen Flüchtlingen.

** Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2010

Von Worten und Taten

Rechtliche Konsequenzen aus der Anerkennung der Kinderrechtskonvention ungewiss

Von Regina Stötzel ***


Vielleicht ist die Abschiebung von 16-jährigen künftig trotz der Anerkennung der UN-Kinderrechtskonvention möglich. Der verkündete »große Tag für Kinderrechte« wäre dann eine große Farce gewesen.

Politiker sprechen gern von »Signalen«, wahlweise kombiniert mit »klar«, »wichtig«, »kraftvoll«, »positiv«, »stark« oder »mutig«, denn das klingt prima, ist aber äußerst unkonkret. »Auch wenn deutsche Gesetze Kinderrechte schon in der Vergangenheit respektiert haben, erwarte ich für die Rechtsanwendung ein klares Signal, dass dem Kindeswohl Vorrang gebührt«, sagte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Montag zum Beschluss der Bundesregierung, die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen. Diese Entscheidung begrüßten auch zahlreiche Initiativen und Verbände, die sich für die Rechte von Kindern und Flüchtlingen einsetzen.

Zwei Tage nach dem »großen Tag für die Kinderrechte« (Leutheusser-Schnarrenberger), meldete die Nachrichtenagentur epd, die Justizministerin habe im Bundestag gesagt, die Entscheidung ziehe nicht zwingend gesetzliche Änderungen nach sich. Sie solle »den Ländern Anlass sein, ihre legislative Praxis und Gesetzesanwendung kritisch zu überprüfen«. Auch aus dem Innenministerium hieß es laut epd, Änderungen im Asylverfahrensrecht seien nicht zu erwarten. Die »Verfahrensfähigkeit« von 16- und 17-jährigen entspreche der Kinderrechtskonvention.

Dort steht im Artikel 1: »Im Sinne dieses Übereinkommens ist ein Kind jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt.« Der Nachsatz scheint verschiedene Interpretationen möglich zu machen -- bei dem entsprechenden politischen Willen.

Heiko Kauffmann von Pro Asyl kann sich nicht vorstellen, dass Leutheusser-Schnarrenberger sich und den Bund aus der Verantwortung stehlen will. Gerade die FDP habe sich für die Rücknahme des Vorbehalts eingesetzt. Er kann nicht glauben, dass sich die Partei nun von den eigenen Positionen distanziere. »Wenn doch, so wäre das wohl der Koalitionsräson geschuldet«, mutmaßt er.

Für »zwingend notwendig« hält Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der LINKEN, gesetzliche Anpassungen der Bestimmungen zum Asyl-, Asylbewerberleistungs- und Aufenthaltsrecht. Im November hatte Jelpke selbst zusammen mit ihrer Fraktion einen Antrag im Parlament gestellt, die UN-Kinderrechtskonvention endlich umzusetzen. »Wir werden unsere Forderungen konkretisieren, welche gesetzlichen Änderungen folgen müssen.« Zentral sei, dass bei Minderjährigen künftig das Kindeswohl im Vordergrund stehe, nicht mehr der Aufenthaltstatus. Sie müssten kindgerecht untergebracht und behandelt werden, Abschiebehaft und Abschiebung dürften nicht mehr erlaubt sein.

Eine Nachfrage beim Bundesjustizministerin blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Bis auf Weiteres muss man davon ausgehen, dass »Zeichen« keineswegs besser sind als »Signale«: »Mit der Rücknahme der Vorbehaltserklärungen setzt Deutschland auch ein Zeichen auf internationaler Ebene. Ich hoffe, dass wir auch für andere Länder zum Vorbild werden«, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.

*** Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2010




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