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Geschenk für die Atomkonzerne

ARD-Bericht: Bundesregierung ebnete RWE und E.ON den Weg für Schadenersatzklagen gegen Ausstieg aus der Kernenergie *

Hat die Politik den deutschen Atomkonzernen im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie bewusst den Weg zu millionenschweren Schadenersatzklagen geebnet? Darauf deuten Recherchen des ARD-Magazins »Monitor« hin. Aus einer Vielzahl interner Mails und bisher unveröffentlichter Dokumente gehe hervor, dass Warnungen von Fachabteilungen, die auf die Schadenersatzrisiken hingewiesen hatten, ignoriert wurden. Ein internes Schreiben des Fachreferats für die Bundesaufsicht bei Atomkraftwerken im Bundesumweltministerium (BMU) belegt demnach, dass der damalige Ressortchef Norbert Röttgen schon frühzeitig darauf hingewiesen wurde, »welche rechtlichen und finanziellen Risiken mit der Durchsetzung der dreimonatigen Betriebseinstellung verbunden sind«. Allerdings seien entsprechende Warnungen nicht berücksichtigt oder sogar ignoriert worden, heißt es in dem »Monitor«-Bericht, der heute abend (21.45 Uhr, Das Erste) ausgestrahlt werden soll.

Den Recherchen zufolge hatte der damalige Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im BMU, Gerald Hennenhöfer, bei der Begründung des Moratoriums darauf verzichtet, sicherheitstechnische Mängel der Altreaktoren aufzuführen. Für den Vorgänger Hennenhöfers im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, wurde damit der Grundstein für die heutigen Schadensersatzklagen der Atomkonzerne gelegt. »Man wollte keine sicherheitstechnischen Mängel in die Begründung der Anordnung reinschreiben, um das zu ermöglichen, was jetzt passiert, nämlich Schadenersatzforderungen für die Betreiber zu ermöglichen«, vermutet er Absicht.

Auch bei der damaligen Analyse der Sicherheitsmängel der deutschen Atomkraftwerke wurde das Fachreferat des BMU absichtlich außen vor gelassen. Aus einem internen Vermerk Hennenhöfers selbst geht hervor, dass man bei den entsprechenden Sachverständigensitzungen der Reaktorsicherheitskommission (RSK) »ohne Aufpasser« diskutieren wollte. Die Ursache für den Ausschluss seines eigenen Fachreferats sei ein »massiv gestörtes Vertrauensverhältnis«.

Deutliche Kritik am damaligen Verhalten des Abteilungsleiters kommt von der atompolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl. Es sei die »oberste Aufgabe des Bundesumweltministeriums und der Abteilung Reaktorsicherheit, die Aufsicht über die Kernkraftwerke« auszuüben. »Dieser Abteilungsleiter pervertiert diese originäre Aufgabe seiner Abteilung, wenn er dieses Aufpassen sozusagen als lästig empfindet und ausschaltet.«

Die Haltung des Bundesumweltministeriums deckt sich mit Vorgängen in Hessen, wo es um die Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis A ging. Dort war die Hessische Atomaufsicht durch die damalige Umweltministerin Lucia Puttrich von ihren Aufgaben entbunden worden, nachdem sie frühzeitig davor gewarnt hatte, dass die vom Bundesumweltministerium formulierte Stilllegungsbegründung rechtlich nicht haltbar sei und mögliche Schadenersatzforderungen begründen könne.

»Monitor« hatte bereits am 15. Januar darüber berichtet, dass ein vom damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann ausdrücklich bestellter und vom damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla zugesagter Brief des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier den deutschen Atomkonzernen zu Schadenersatzklagen verholfen haben könnte. Die hessische Landesregierung bestreitet, dass der Brief juristisch relevant sei, obwohl der Energiekonzern RWE seine Klage unter anderem damit begründet. Die Atomkonzerne RWE, E.ON und EnBW fordern von Bund und Ländern insgesamt 882 Millionen Euro wegen der vorübergehenden Stilllegung der ältesten Atomkraftwerke nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Ursprünglich hatten allein RWE und E.ON rund zehn Milliarden Euro gefordert.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Februar 2015


D o k u m e n t i e r t :

Millionenklage des Atomkonzerns RWE: Bouffiers Schwarze-Peter-Spiel ist zum Scheitern verurteilt

Donnerstag, 05.02. 2015 **

Zur Meldung, dass Bundesumweltministerin Hendricks (SPD) das Verhalten von Ministerpräsident Volker Bouffier, in Sachen Atomausstieg und Klagen der Stromkonzerne missbilligt und eine Aussagegenehmigung für einen Mitarbeiter des Ministeriums erteilt hat, erklärt Janine Wissler, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag:

„Der Versuch von Volker Bouffier, in einem Schwarze-Peter-Spiel dem Bund alle Verantwortung für die Schadensersatzklagen der Atomkonzerne zuzuschieben, ist zum Scheitern verurteilt.

Auch werden CDU und Grüne in Hessen nicht mit der abenteuerlichen These durchkommen, der Brief von Bouffier an den ehemaligen RWE-Chef Jürgen Großmann sei in juristischer Hinsicht belanglos. Diese Darstellung ist nachweislich falsch.“


Kumpanei zwischen CDU und RWE kann die Steuerzahler teuer zu stehen kommen

Mittwoch, 04.02.2015 **

Anlässlich der heutigen Landtagsdebatte zum ‚Atom-Moratorium‘ im Jahr 2011 und zu Presseberichten über Briefe von RWE-Chef Großmann an das Bundeskanzleramt erklärt Janine Wissler, Vorsitzende und energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag:

„Die CDU ist viele Jahrzehnte der Atomwirtschaft treu zu Diensten gewesen. Die AKWs waren vom Steuerzahler hochsubventionierte Profitmaschinen. Nun, nach dem beschlossenen Atomausstieg, droht das fahrlässige Agieren führender CDU-Politiker, darunter Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Volker Bouffier, die Steuerzahler teuer zu stehen zu kommen. Das Vorgehen von Merkel, Bouffier und Co. war eine freundliche Einladung an die Konzerne zu klagen. “

Der nun bekannt gewordene weitere Brief von Großmann an den damaligen Kanzleramtsminister Pofalla (CDU), mit der Aufforderung, das AKW Biblis wieder ans Netz gehen zu lassen, sei nur ein weiterer Beleg für das enge Verhältnis zwischen Politik und Atomwirtschaft, so Wissler.

„Wenn eine Abfolge von Versäumnissen und merkwürdigen Pannen in CDU-Ministerien in Land und Bund dafür sorgt, dass der Steuerzahler den Konzernen auch noch den Atomausstieg mit hunderten Millionen Euro versilbert, dann muss das persönliche Konsequenzen für die Beteiligten haben. Angesicht der Juristendichte in den Ministerien fällt es schwer, an Versäumnisse zu glauben. Die Vorgänge riechen vielmehr nach Kumpanei. Da das Kanzleramt hier eine zentrale Rolle spielt, fordert DIE LINKE. im Hessischen Landtag, dass die Kanzlerin im Biblis-Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen muss.

Die Grünen müssen sich fragen, ob sie mithelfen wollen, den Sumpf aus Atomwirtschaft und Politik trocken legen oder mit darin versumpfen wollen. Dass sie sich in Hessen schützend vor Volker Bouffier stellen, ist enttäuschend.“

** Beide Presseerklärungen befinden sich auf der Website der LINKS-Fraktion im Hessischen Landtag: http://linksfraktion-hessen.de


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