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Gut für die Konzerne

Jahresrückblick 2013: "Energiewende". Kein wirklicher Neustart bei der Endlagersuche, Ausbremsen der Energiewende und Attacken auf den Atomausstieg

Von Reimar Paul *

Nach dem – allerdings nur halbherzigen – Atomausstiegsbeschluß infolge der Fukushima-Katastrophe hatte sich die Politik für dieses Jahr vorgenommen, einen weiteren gesellschaftlichen Großkonflikt zu befrieden: Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle sollte neu aufgenommen, der Suchprozeß transparent und ohne Vorfestlegungen gestaltet werden. Allerdings hat der vermeintliche Neustart einen Makel: Der Salzstock Gorleben bleibt – trotz jahrzehntelanger Mauscheleien – nicht nur im Rennen, sondern gar auf führender Position.

Das Jahr begann bereits mit dem Bruch eines Wahlversprechens. SPD und Grüne hatten vor der Niedersachsen-Wahl im Januar angekündigt, nur dann einem Endlagersuchgesetz zuzustimmen, wenn Gorleben aus dem Verfahren gestrichen wird. Das ließ sich aber nicht durchsetzen, Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) begnügten sich mit einem Baustopp im Gorleben. Im Gesetz heißt es: »Die bergmännische Erkundung des Salzstocks Gorleben wird mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes beendet.« In der Hoffnung, die weitere Erkundung zumindest zu erschweren, wies Wenzel im Spätsommer die ihm unterstellten Landesbergbehörden an, den Rahmenbetriebsplan für das Endlagerbergwerk nicht zu verlängern. Der Plan stammt aus dem Jahr 1983. Er regelt den Umfang der untertägigen Erkundung und legt die Erkundungsbereiche fest. Dieser mußte alle zehn Jahre verlängert werden, zuletzt geschah das 2010 mit der Aufhebung des zehnjährigen Moratoriums.

Energiewende abgewürgt

Doch das Bundesumweltministerium konterkarierte den beschworenen Neuanfang bei der Endlagersuche. Es kündigte an, die Aufhebung des Rahmenbetriebsplans für die Untersuchung des Salzstocks Gorleben durch das Land Niedersachsen gerichtlich anzufechten. Während ein Ministeriumssprecher erklärte, die Klageeinreichung diene »ausschließlich der Rechts- und Fristwahrung«, sprechen Atomkraftgegner von einem massiven Vertrauensbruch. »Wenn da noch ein Funken Glaubwürdigkeit war, daß die Endlagersuche neu gestartet würde, dann wurde dieser jetzt erstickt«, urteilte Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Und Jochen Stay von der Antiatomorganisation »Ausgestrahlt« kommentierte: »Jetzt zeigt Altmaier, was er wirklich will: Das Endlagersuchgesetz ist als Gorleben-Durchsetzungs-Gesetz gedacht.«

»Die Energiewende ist ein richtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg in eine Industriegesellschaft, die dem Gedanken der Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet ist.« So steht es ganz vorn im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Auch wird behauptet, am Klimaschutzziel für dieses Jahrzehnt, das auch frühere Bundesregierungen angepeilt hatten, werde festgehalten: Bis 2020 soll der Ausstoß an Kohlendioxid um 40 Prozent gesenkt sein – gemessen am Jahr 1990. Doch in Wirklichkeit treten CDU/CSU und SPD bei dem Thema voll auf die Bremse.

So sind die neuen Ausbauziele beim Ökostrom sogar schlechter als diejenigen, die die noch amtierende Bundesregierung vertrat. Der SPD-Unions-Vertrag verschleiert das zwar, indem er die Zieljahre verschiebt. Statt für 2020 und 2030 nennt er Werte für 2025 und 2035. Doch eine Analyse der Frankfurter Rundschau ergab, daß das Ausbautempo für Wind-, Solar- und Biomasse-Energie um etwa ein Drittel gegenüber dem bisherigen Fahrplan gesenkt wird. Noch festzulegende »Korridore« sollen verhindern, daß der Ökostromanteil zu schnell wächst.

Attacke auf Atomausstieg

Nachdem sich Union und SPD auf weitreichende Einschnitte bei der Energiewende verständigt hatten, folgte eine Attacke auf deren Herzstück – den Atomausstieg. Der Vorstoß kommt aus Bayern. Dort soll das AKW Grafenrheinfeld bei Schweinfurt laut Ausstiegsgesetz Ende 2015 als erstes abgeschaltet werden. Die Wirtschaft des Freistaates warnt mit Blick auf diesen Termin schon jetzt vor Stromengpässen. Die Lage habe sich im vergangenen Jahr nicht verbessert, sondern im Gegenteil weiter verschärft, sagte der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Alfred Gaffal.

Die frisch ins Landeskabinett berufene Wirtschaftsministerin Ilse Aigner sekundierte Gaffal und kündigte einen Neustart für die Energiewende im Freistaat an. »Wir werden auf alle Fälle das Energiekonzept überarbeiten«, erklärte die CSU-Politikerin. So müsse Bayern unter anderem klären, ob die Grundannahmen im mehr als zwei Jahre alten Programm für den Atomausstieg noch realistisch seien.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sieht derzeit keinen Grund zur Aufregung: Die bayerischen Atomkraftwerke würden »wie geplant abgeschaltet«, beschwichtigt er. Die beiden noch betriebenen Blöcke des AKW Grundremmingen wären nach dem Ausstiegsbeschluß 2017 bzw. 2021 an der Reihe, das AKW Isar 2 bei Ohu würde 2022 als einer der letzten Meiler in Deutschland vom Netz genommen. Allerdings haben die Stromkonzerne RWE und E.on für die Grundremminger Reaktoren gerade eine Leistungserhöhung beantragt. Statt wie bislang 3860 Megawatt, sollen sie künftig 4000 Megawatt elektrische Leistung bringen.

Die Ausstiegsverzögerungen erscheinen unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit absurd. Denn der Stromexport aus Deutschland ist weiterhin auf Rekordniveau. Rechnerisch laufen drei der neun Atomkraftwerke in diesem Jahr allein für das Ausland. So hat die Bundesrepublik nach Analysen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) vom Jahresbeginn bis Mitte November 23 Milliarden Kilowattstunden mehr exportiert als importiert. Damit ist bereits der Exportsaldo des gesamten Jahres 2012 überschritten, der bis dahin der höchste der deutschen Stromgeschichte war. Bis zum Jahreswechsel dürfte die Summe auf 30 Milliarden Kilowattstunden ansteigen.

Atomtransporte allerorten

Am 1. Mai schrammte Hamburg knapp an einer Katastrophe vorbei. Im Hafengebiet geriet der Frachter »Atlantic Cartier« in Brand, an Bord waren – neben Munition – auch mehr als 20 Tonnen radioaktive Stoffe, darunter neun Tonnen hochgefährliches Uranhexafluorid. Während wenige hundert Meter weiter 35000 Menschen dem Eröffnungsgottesdienst des Evangelischen Kirchentages beiwohnten, holten Feuerwehrleute unter widrigsten Umständen und unter Lebensgefahr die Urancontainer von dem brennenden Schiff.

Knapp ein halbes Jahr später ereignete sich ein weiterer Unfall mit einem Atomfrachter. Auf dem Weg in den Hamburger Hafen rammte das unter anderem mit Uranhexafluorid und Uranoxid beladene russische Schiff »Mikhail Lomonosow« vor der Küste der Insel Rügen die Yacht eines britischen Skippers. Das Segelboot wird schwer beschädigt. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie ermittelt inzwischen wegen des Vorfalls.

Zwei von mehreren hundert Atomtransporten, die im laufenden Jahr in deutschen Häfen anlandeten und über Straßen und Schienen rollten. Ziele vieler Fuhren sind die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen und die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau. Beide Betriebe versorgen Atomkraftwerke in aller Welt mit »Brennstoff« und wurden vom Atomausstieg ausgenommen. Die Anlage in Gronau ist zuletzt sogar noch ausgebaut worden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 12. Dezember 2013


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