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Schutzlos in der Strahlung

Atomkatastrophe von Fukushima: Greenpeace fordert, die Evakuierungszone sofort auszudehnen. Japans Regierung täuscht Bevölkerung über den Grad der Verseuchung

Von Josef Oberländer *

Im Umkreis des japanischen Atomkomplexes Fukushima Dai-Ichi hat sich die Lage weiter dramatisch zugespitzt. Im Boden rund um die Anlage wurde Plutonium nachgewiesen. Das radioaktiv verseuchte Wasser kann nicht abgepumpt werden, weil keine Speicherkapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Die Strahlenwerte steigen weit über die Umgebung hinaus weiter. Im Meerwasser wurde ein neuer Höchstwert von radioaktivem Jod 131 gemessen, der um das 3355fache über dem zulässigen Höchstwert liegt. Die japanische Regierung erwägt inzwischen laut einem Medienbericht, drei beschädigte Reaktoren des Atomkraftwerks mit Planen abzudecken, um die Verbreitung von radioaktiven Teilchen zu vermindern.

Die Evakuierungszone blieb trotzdem auf 20 Kilometer begrenzt. Diese müsse umgehend auf 40 Kilometer ausgedehnt werden, forderte die Umweltorganisation Greenpeace am Mittwoch. Die Regierung habe die Bevölkerung nicht über die zunehmende Strahlung informiert. Dabei seien sich die Behörden darüber im klaren, daß sich hohe Radioaktivität weit über diese Zone hinaus feststellen lasse, etwa im Dorf Iitate, 40 Kilometer nordwestlich der havarierten Meiler, sagte der Greenpeace-Strahlenexperte Jan van de Putte in Tokio. Die Organisation hatte eigene Messungen vorgenommen. Dabei wurden in Iitate durchschnittlich acht bis zehn Mikrosievert pro Stunde gemessen. Von den etwa 6000 Menschen, die dort leben, wird die maximal erlaubte Jahresdosis (1000 Mikrosievert pro Jahr) demnach innerhalb weniger Tage aufgenommen.

»Unsere Werte decken sich mit denen der japanischen Regierung«, sagte van de Putte. »Dennoch unterläßt es diese, die Menschen zu schützen, sie aus der Gefahrenzone zu bringen oder auch nur angemessen zu informieren. Die Regierung muß sofort tätig werden und zuerst Kinder und Schwangere aus dem Dorf Iitate evakuieren.« Die Evakuierungszone müsse auf 40 Kilometer ausgedehnt werden. Bereits vor zwei Wochen hatten australische und US-amerikanische Nuklearbehörden ihren im Umkreis von 80 Kilometern der Schrottreaktoren lebenden Staatsbürgern geraten, das Weite zu suchen.

Der Plutoniumfund deutet darauf hin, daß zumindest die Mischoxid-Brennelemente in Reaktor 3 stark beschädigt sind. Sie enthalten das hochgiftige Schwermetall in Form von Plutoniumdioxid. Strahlenexperten hoffen nun, daß das Plutonium nicht durch die Luft wirbelt, sondern im Wasser bleibt.

Noch immer versuchten am Mittwoch etwa 400 Arbeiter unter fürchterlichen Bedingungen, die ausgefallenen Kühlsysteme der Atomanlage wieder in Gang zu setzen. Die »nuklearen Samurai« mußten lange mit Notrationen und anderthalb Liter Wasser pro Tag auskommen. Aus Angst vor der hohen Strahlung wurden nur unregelmäßig Lebensmittel geliefert. Anfangs gab es nur trockenes Brot, inzwischen Instantreis. Seit einer Woche habe sich die Lage etwas verbessert, berichtete Kazuma Yokota von der japanischen Atomaufsicht NISA. Nun könnten die Arbeiter auf Wunsch eine zweite Flasche Wasser bekommen.

Unterdessen wurde Masataka Shimizu, der Chef der Betreibergesellschaft Tokyo Electric Power (Tepco), mit Bluthochdruck und Schwindelgefühl in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Gemüsebauer Hisashi Tarukawa aus der Präfektur Fukushima nahm sich dagegen das Leben, weil sein Land und seine Erzeugnisse radioaktiv verseucht sind.

* Aus: junge Welt, 31. März 2011


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