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Mauern gegen Terroristen

Gegen Anschläge mit Flugzeugen sind die deutschen Atomanlagen nicht gesichert

Von Reimar Paul *

Es muss keine Atombombe sein. Auch ein terroristischer Anschlag auf ein Atomkraftwerk oder Atommülllager kann größere Gebiete unbewohnbar machen.

Nahe der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze wird demnächst wieder eine Mauer gebaut. Das 500 Meter lange Bauwerk soll das Zwischenlager für Castorbehälter im Gorlebener Wald umschließen, bestätigte die Betreiberfirma GNS. Die Mauer biete einen besseren Schutz vor terroristischen Angriffen, hieß es. Den Bauantrag will die GNS noch in diesem Jahr stellen. Auch das Atommüllzwischenlager im westfälischen Ahaus soll ummauert werden. Für die dezentralen Zwischenlager an den AKW-Standorten werden ähnliche Maßnahmen erwogen.

Die Mauerbauten sind erste Konsequenzen aus den sogenannten Stresstests, denen die Lager derzeit unterzogen werden. Die Bundesregierung hatte mitgeteilt, dass »alle Einrichtungen für die Aufbewahrung bestrahlter Brennelemente in Transport- und Lagerbehältern« untersucht werden sollen. Unter anderem werde geprüft, was passiert, wenn Flugzeuge auf Lager mit hochradioaktiven Brennelementen stürzen.

Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima hatte die Regierung zunächst für die deutschen Atomkraftwerke solche Stresstests angekündigt. Die beauftragte Reaktorsicherheitskommission (RSK) beschränkte sich allerdings auf schriftliche Befragungen der AKW-Betreiber – und verließ sich auf deren Auskünfte. Bewertet wurden die Antworten durch die betreibernahen TÜVs. Einen tatsächlichen Stresstest für die Meiler hat es also gar nicht gegeben.

Die als neu verkaufte Erkenntnis, dass die AKW nicht gegen zufällige oder von Terroristen herbeigeführte Flugzeugabstürze gesichert sind, ist schon seit mehr als zehn Jahren bekannt. Denn die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hatte dazu bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Studie erstellt. Resultat: Gezielt herbeigeführte Flugzeugabstürze auf deutsche Atomkraftwerke können verheerende Folgen haben und einen »Super-GAU« auslösen. Das seinerzeit von Jürgen Trittin (Grüne) geführte Umweltministerium hielt die Untersuchung unter Verschluss, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland stellte eine Kurzfassung des Reports ins Internet.

Demzufolge sind insbesondere die inzwischen abgeschalteten, gleichwohl aber noch »heißen« Atomkraftwerke Biblis A und B, Brunsbüttel, Unterweser, Neckarwestheim 1, Obrigheim, Isar 1, Philippsburg 1 und Stade stark gefährdet. Bei diesen Meilern könnte schon der Absturz eines kleineren Verkehrsflugzeugs eine Katastrophe auslösen, urteilte die GRS.

Beim Siedewasserreaktor Brunsbüttel zum Beispiel, der gegen Abstürze überhaupt nicht ausgelegt ist, wurden die Folgen eines solchen Crashs als dramatisch beschrieben. Nach Ansicht der Gutachter wäre der weitere Kraftwerksbetrieb nach einem Aufprall hier im günstigsten Szenario »fraglich«, im schlechtesten Fall die Freisetzung großer Mengen Radioaktivität sehr wahrscheinlich.

Die GRS-Wissenschaftler berechneten die Folgen eines Anschlags mit drei unterschiedlich großen Passagierflugzeugen (Boeing 747, Airbus A 300 und Airbus A 320) bei zwei verschiedenen Aufprallgeschwindigkeiten (100 Meter pro Sekunde und 175 Meter pro Sekunde). Beim Abstürzen größerer Maschinen könnten den Gutachtern zufolge auch alle übrigen zehn deutschen Reaktoren außer Kontrolle geraten. »Fraglich« seien die Folgen schon, wenn ein Triebwerk die Gebäudewand eines Reaktors durchschlägt. Mit einer »erheblichen Freisetzung« von Radioaktivität sei unter Umständen zu rechnen, wenn Wrackteile die Reaktorkuppel beschädigen. Umweltschützer sind überzeugt, dass die Folgen eines Super-GAU in Deutschland wegen der großen Bevölkerungsdichte viel katastrophaler wären als beim Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. Mehrere Landesregierungen haben eingeräumt, dass sie auf Reaktorkatastrophen nach Flugzeugabstürzen überhaupt nicht eingestellt sind.

* Aus: neues deutschland, 26. März 2012


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