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"Atoms for Peace" war auch Machtpolitik

Der Historiker Joachim Radkau über das Verhältnis von "ziviler" und nicht-friedlicher Nutzung der Atomenergie *


Joachim Radkau (Jahrgang 1943) ist Professor für Geschichte in Bielefeld. Er verfasste zahlreiche Bücher u.a. zur Technik- und Umweltgeschichte und ist Autor des 2013 komplett überarbeiteten Standardwerks »Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft«. Mit ihm sprach Reimar Paul.


US-Präsident Dwight D. Eisenhower präsentierte am 8. Dezember 1953 vor der UNO unter dem Titel »Atoms for Peace« seine Vorstellungen von der friedlichen Nutzung der Kernenergie. War die Ankündigung ernst gemeint oder sollte sie den Schock der Atombombenwürfe abmildern?

Eisenhowers »Atoms-for-Peace«-Rede vom 8. Dezember 1953 war wohl in dem Sinne ernst gemeint, dass er bereit war, andere Länder beim Aufbau einer zivilen Kerntechnik mit technischer Hilfe zu unterstützen. Gewiss war das zugleich US-amerikanische Machtpolitik: Zu einer Zeit, da die Sowjetunion bereits über Atomwaffen verfügte, konnten die USA auf solche Weise ihre noch immer bestehende hohe Überlegenheit an Kapazitäten zur Spaltstoffproduktion ausspielen und zugleich hoffen, auf solche Weise ein internationales Regime durchzusetzen, das die Weiterverbreitung von Kernwaffen verhinderte. »Atoms for Peace« lenkte überdies davon ab, dass die USA ihr atomares Waffenpotenzial weiter vergrößerten. Dennoch war diese Rede ein Signal, das eine grundlegende Wende ankündigte. Noch am 19. Juni 1953 war das Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg wegen behaupteter Atomspionage hingerichtet worden – ein »Höhepunkt« der McCarthy-Ära. »Atoms for Peace« bedeutete demgegenüber mit der partiellen Offenlegung nuklearer Geheimnisse eine – gewiss nicht selbstlose – Hinwendung zu einer Globalpolitik in einem stärker kooperativen Stil. Dabei kann man vermutlich voraussetzen, dass Eisenhower zu jener Zeit nicht durchschaute, ob sich das »friedliche« vom Bomben-Atom abkoppeln lässt.

Spielten bei der »friedlichen Nutzung der Kernenergie« in der Bundesrepublik militärische Interessen eine Rolle?

Adenauer beabsichtigte ab Ende 1956 den Bau bundesdeutscher Atomwaffen, da er dem US-amerikanischen Atomschirm nicht mehr traute; in der Folge ging er zu einer Kooperation mit Frankreich bei der Entwicklung von A-Waffen über. Dies wurde jedoch von Charles de Gaulle, der die »Force de frappe« für Frankreich allein haben wollte, nach dessen Regierungsantritt 1958 sogleich unterbunden. Eine deutsch-französische Kooperation bei der Plutoniumproduktion gab es jedoch weiterhin. Wieweit von bundesdeutscher Seite obendrein noch zumindest die »Option« zum Bau von A-Waffen technisch vorbereitet wurde, ist bis heute nicht ganz durchsichtig.

Welche Ambitionen hatten Wissenschaft und Wirtschaft?

Es scheint eindeutig, dass das Gros der beteiligten Industrie und der deutschen Atomphysiker schon aus Image-Gründen von einer Mitwirkung am Bau atomarer Waffen nichts wissen wollte und ein atomarer »Militärisch-Industrieller Komplex« wie bei den Atommächten in der Bundesrepublik nicht entstand. Dennoch gab es erhebliche Bedenken gegen den Atomwaffensperrvertrag, da große Hoffnungen auf deutsche Nuklearexporte gesetzt wurden. Insider wussten, dass die Kerntechnik bei führenden Staaten Lateinamerikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens – und gerade da witterte man weit übertriebene Chancen – nicht zuletzt durch ihr militärisches Potenzial attraktiv wurde. Erst als der Atomwaffensperrvertrag unter Bonner Mitwirkung eine Form bekommen hatte, in der er mehr oder weniger zur Farce wurde, hat ihn die Bundesregierung unterzeichnet. Das haben diejenigen, die sich von der Großen Wende im Zuge von Willy Brandts »neuer Ostpolitik« übertriebene Vorstellungen machten, bis heute nicht begriffen. Noch Helmut Schmidt war Gegner der Nichtverbreitungspolitik.

Welche »Stationen« des nuklearen Brennstoffkreislaufs ermöglichen die Weichenstellungen in Richtung Atomwaffen?

Waffenfähiger Spaltstoff lässt sich durch Urananreicherung, also Trennung des spaltbaren Uran-Isotops U-235 von dem U-238, aus dem Natururan ganz überwiegend besteht, und Wiederaufarbeitung – der Herauslösung des erbrüteten Plutoniums aus den abgebrannten Brennelementen – gewinnen. Beide Technologien sind bislang sehr aufwendig. Für solche Staaten, die mit relativ geringem Aufwand an Spaltstoff herankommen wollen, ist der mit schwerem Wasser moderierte Reaktor besonders attraktiv; denn er lässt sich auf Natururan-Basis betreiben, also ohne Urananreicherung, und die Plutoniumausbeute ist relativ hoch, der Aufwand der Wiederaufarbeitung daher geringer als bei anderen Reaktortypen. Daher verfolgte das Gros der im Zweiten Weltkrieg an der Entwicklung einer deutschen A-Bombe beteiligten Wissenschaftler die Schwerwasser-Reaktorlinie. Der Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor dagegen, der in deutschen Ingenieurkreisen lange als Geheimtipp galt, ist zumindest in seiner ursprünglich in der Kernforschungsanlage Jülich konzipierten Form als Weg zur Bombe relativ wenig geeignet; denn er sollte nicht auf Uran-, sondern auf Thoriumbasis arbeiten.

Wie haben die jüngeren Atommächte ihre Waffen entwickelt?

Israel und Pakistan haben ebenfalls aus den genannten Gründen bombenfähigen Spaltstoff durch Schwerwasserreaktoren gewonnen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Dezember 2013

Atom-Unfälle

Dezember 1952: In einem Reaktor in Chalk River nahe der kanadischen Hauptstadt Ottawa kommt es zu einer schweren Explosion. Der Reaktorkern wird bei einer partiellen Kernschmelze zerstört.

September 1957: In einer Wiederaufbereitungsanlage im russischen Kyschtym explodiert ein Tank mit nuklearen Abfällen. Dabei werden große Mengen radioaktiver Substanzen freigesetzt.

Oktober 1957: Im Kernreaktor im britischen Windscale – ab 1983 Sellafield genannt – wird nach einem Brand eine radioaktive Wolke freigesetzt, die sich über Europa verteilt.

Juli 1973: Bei einer schweren Explosion in der Wiederaufarbeitungsanlage Windscale wird ein großer Teil der Anlage kontaminiert.

28. März 1979: Im Atomkraftwerk Three Mile Island im US-Bundesstaat Pennsylvania kommt es zu einer teilweisen Kernschmelze, durch den im Reaktor Radioaktivität freigesetzt wird. 140 000 Menschen werden vorübergehend in Sicherheit gebracht.

August 1979: Aus einer geheimen Atomanlage nahe Erwin im US-Bundesstaat Tennessee tritt Uran aus. Etwa 1000 Menschen werden verstrahlt.

26. April 1986: Im ukrainischen Tschernobyl ereignet sich die bis dahin schwerste Katastrophe: Nach einer Explosion im Reaktor Nummer 4 wird eine riesige radioaktive Wolke freigesetzt. Der Unfall wird erst öffentlich, als in Nordeuropa erhöhte Strahlungswerte gemessen werden. Hunderttausende Menschen wurden nach Schätzungen verseucht, vor allem in den damaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Weißrussland und Russland.

April 1993: Durch eine Explosion in der geheimen Wiederaufbereitungsanlage Tomsk-7 in Westsibirien wird radioaktives Material freigesetzt, darunter Uran-235, Plutonium-237 und verschiedene andere Spaltmaterialien. Das Ausmaß der Schäden ist unbekannt.

11. März 1997: Nach einem Brand und einer Explosion in der japanischen Aufbereitungsanlage in Tokaimura nordöstlich von Tokio sind 37 Menschen erhöhter Strahlung ausgesetzt. Teilweise werden die Arbeiten deshalb vorübergehend eingestellt.

30. September 1997: Um Zeit zu sparen, geben Angestellte in Tokaimura zu viel Uran in einen Fülltank. Mehr als 600 Menschen werden verstrahlt. Knapp 320 000 Menschen werden aus ihren Häusern in Sicherheit gebracht. Zwei verantwortliche Mitarbeiter sterben einige Monate nach dem Unglück.

11. März 2011: Mit einem Erdbeben beginnt im AKW Fukushima Daaichi (Fukushima 1) eine beispiellose Unfallserie. In den Reaktorblöcken 1 bis 3 kommt es zu Kernschmelzen. Große Mengen an radioaktivem Material werden freigesetzt und kontaminieren Land, Wasser und Nahrungsmittel in der land- und meerseitigen Umgebung. 100 000 bis 150 000 Einwohner müssen das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen. Hunderttausende in landwirtschaftlichen Betrieben zurückgelassene Tiere verenden. R.P.




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