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Gewerkschaft für Ausstieg

Beschäftigtenorganisationen: Atomenergie nicht beherrschbar. Ver.di fordert Schutz der Kraftwerksangestellten vor Entlassungen. IG BCE will forcierte Kohleverstromung

Von Herbert Wulff *

Ver.di und IG Metall haben sich nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima deutlich für ein baldiges Ende der Atomkraftnutzung in Deutschland ausgesprochen. Die Landesbezirkskonferenz der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Nordrhein-Westfalen verabschiedete am Sonnabend (26. März) einstimmig eine Resolution, in der es heißt: »Wir halten die Atomenergie nicht für beherrschbar. Die Gefahr des unkalkulierbaren Risikos apokalyptischer Atomkatastrophen mit Toten bewußt in Kauf zu nehmen, ist aufgrund einer aufgeklärten demokratischen Werte­orientierung gegenüber den Menschen heute und den Generationen der Zukunft unverantwortlich.«

Zuvor hatte sich bereits ver.di-Chef Frank Bsirske vor den mehr als 200 Delegierten in Dortmund für einen schnellen Ausstieg aus der Atomkraft bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigungsgarantie für die Belegschaften ausgesprochen. Die Atomkraft tauge nicht als Brückentechnologie, betonte Bsirske, zumal die Frage der Endlagerung nicht gelöst sei. »Den Part der Brückentechnologie müssen insbesondere Gas- und die in Planung befindlichen Kohlekraftwerke übernehmen«, erklärte der ver.di-Vorsitzende. Gleichzeitig gelte es, eine Arbeitsplatzgarantie für die Beschäftigten in den Atomkraftwerken durchzusetzen und »sozialverträgliche« Lösungen zu schaffen.

Dementsprechend forderte die Konferenz den zuständigen ver.di-Fachbereich Ver- und Entsorgung auf, Tarifverhandlungen mit den Energiekonzernen über Maßnahmen zur Sicherung der Arbeitsplätze aufzunehmen. So müsse auch der gesamte Rückbau der Anlagen mit Eigenpersonal durchgeführt werden. Das Einbetonieren abgeschalteter Kraftwerke lehnten die Delegierten ab, da dies keine dauerhafte Sicherheit biete. Zu den Argumenten der Atomlobby erklärten die Gewerkschafter, Atomkraft sei »nur scheinbar eine kostengünstige Energie«. Zwar flössen die Gewinne des Stromgeschäfts den Energiekonzernen zu, sämtliche Risiken aus Nuklearunfällen und Katastrophen sowie der ungeklärten Endlagerung trage hingegen die Allgemeinheit.

Auch für IG-Metall-Chef Berthold Huber waren die Konsequenzen aus dem GAU in Japan bei einer Rede auf der am Samstag zu Ende gegangenen Bundesjugendkonferenz seiner Organisation in Sprockhövel ein Thema. Laut Manuskript sprach er vom »Entsetzen über das von Menschen gemachte atomare Unglück, dessen Verheerungen und langfristige Auswirkungen noch gar nicht überschaubar sind«. »Es ist klargeworden, daß nicht nur außer Rand und Band geratene Finanzmärkte die Welt an den Rand des Abgrunds treiben können, auch die industrielle Basis der hochentwickelten Welt ist durch den drohenden Atom-GAU schwer erschüttert.« Huber verwies zudem auf die ökonomischen Folgen der Katastrophe. Aktuell belaufe sich der Schuldenstand Japans auf 200 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP). »Wie soll die drittgrößte Industrienation der Welt die dreistelligen Milliardenkosten der Erdbeben- und Atomkatastrophe allein finanziell bewältigen?«, fragte der Gewerkschaftsvorsitzende. Auch mit negativen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft müsse man rechnen, warnte er. So werde in zahlreichen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie bereits über Krisenszenarien nachgedacht.

Klare Worte fand Hartmut Meine am Samstag (26. März) auf einer Antiatomkundgebung vor dem Hamburger Rathaus. »Die Atomkraft ist eine veraltete, rückwärts gewandte Technologie, deren Risiken nicht beherrschbar sind und zu unvorstellbaren Katastrophen führen«, erklärte der Bezirksleiter der IG Metall für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Nicht nur dürften die sieben abgeschalteten Reaktoren nie wieder eingeschaltet werden. Auch die anderen Atomkraftwerke müßten so schnell als möglich stillgelegt werden, forderte der Gewerkschaftsfunktionär. Der im »Atomkompromiß« von SPD und Grünen vereinbarte Zeitrahmen für einen Ausstieg sei das Maximum, betonte er. »Ein Moratorium und eine neue Nachdenklichkeit reichen uns nicht. Wir brauchen ein Abschaltgesetz und ein Gesetz zur massiven Verkürzung der Laufzeiten.«

Jedes zusätzliche Betriebsjahr der deutschen Atommeiler würde 450 Tonnen mehr an hochradioaktivem Müll auftürmen, rechnete Meine vor. Statt dessen müßten die Energieeffizienz verbessert und alternative, regenerative Energie aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme erschlossen werden. »Wir setzen uns als IG Metall für die Förderung regenerativer Energien ein. Wir sehen hier phantastische Zukunftschancen für sichere Arbeitsplätze und eine sichere und saubere Energieversorgung«, erkärte Meine.

Für einen Atomausstieg hatte sich kürzlich selbst die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ausgesprochen. »Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in unserem Land war und ist falsch«, so deren Vorsitzender Michael Vassiliadis. »Wir dürfen nicht noch einmal wertvolle Zeit verlieren, um zu einer sicheren Energieversorgung jenseits der Kernenergie zu kommen.« Allerdings verband Vassiliadis diese Forderung mit einer Werbung für eine ebenfalls umstrittene Form der Energiegewinnung. »Für die IG BCE ist es unabdingbar, die Neubewertung der Kernenergie mit einer Neubewertung von Stein- und Braunkohlekraftwerken zu verbinden«, erklärte er. Dies beinhalte auch eine »Neubewertung von Technologien zur Speicherung und Verwertung von CO2«, da die »Brücke in die Energiezukunft« eine »klimaschonende Verstromung von Kohle als stabilisierenden Pfeiler« brauche.

* Aus: junge Welt, 28. März 2011


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