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EURATOM abschalten

Von Sabine Wils *

Von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt, regelt der Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) seit über 50 Jahren die Förderung und Verbreitung der Atomenergie in Europa. Bis auf Frankreich haben sich die anderen fünf der sechs Gründungsmitglieder von der gewerblichen Nutzung der Kernenergie verabschiedet, beschlossen, sie zu beenden bzw. sie gar nicht erst aufgenommen. Mitglieder von EURATOM sind alle EU-Mitgliedstaaten. Sie zahlen Beiträge, die zur Förderung von Atomforschung und –nutzung verwendet werden, u. a. in Form von Krediten und Subventionen für die Atomwirtschaft. Dabei nutzt die Hälfte der EURATOM-Mitglieder Atomenergie schon jetzt nicht. Nur ein Drittel der Mitgliedsstaaten will dauerhaft Atomstrom produzieren lassen.

EURATOM ist ein energiepolitischer Dinosaurier. 1957 beschlossen, hat sich der Vertrag der Atomgemeinschaft selbst überholt. Die Vision einer friedlichen Nutzung der Kernenergie, die »zum Wohlstand der Völker beiträgt« und »Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Völker ausschließt« (Präambel EURATOM-Vertrag), war von Anfang an eine falsche Vorspiegelung. Die Wirklichkeit zeigte sich In Tschernobyl und zeigt sich aktuell in Fukushima.

Die »Europäische Atomgemeinschaft« hat weder zur Sicherheit der Kernenergie beigetragen, noch den gesellschaftlichen Wohlstand gesteigert. Sie hat im Gegenteil über ein halbes Jahrhundert mit Abermilliarden Euro die Entwicklung einer im Störfall todbringenden Technologie gefördert, die dadurch keinen Deut weniger gefährlich wurde. Allein von 2007 bis 2011 wurden für die Forschung an der Vergangenheitstechnologie durch EURATOM 2,751 Milliarden Euro bereitgestellt. Geld, das in die Entwicklung erneuerbarer Energien zukunftsorientierter angelegt wäre. Während die EU-Wettbewerbshüter sonst bemüht sind, staatliche Subventionspolitik zu unterbinden, bleibt die Atomwirtschaft der am meisten aus Steuermitteln subventionierte Energiezweig. Von »Vorrang für erneuerbare Energien« kann kaum die Rede sein.

Unter den europäischen Verträgen ist der EURATOM-Vertrag der gegen Veränderungen resistenteste. Faktisch wurde seit seinem Inkrafttreten nichts Substanzielles verändert. Und obwohl EURATOM als eigenständige Gemeinschaft mit der EU alle Organe teilt, gibt es kaum demokratische Kontrolle. Die gar gelegentlich demokratischeren und präziseren Regeln des Lissabon-Vertrages kommen nicht zur Anwendung. Lediglich in einigen Bereichen von EURATOM hat das EU-Parlament eine Konsultativ- und Kontrollfunktion, jedoch kein Mitspracherecht in seinen Kernbereichen. In der Atompolitik gelten die ohnehin begrenzten demokratischen Grundsätze der EU nicht.

DIE LINKE fordert die Beendigung der »Europäischen Atomgemeinschaft«. Ein politisches Moratorium ist der erste Schritt, um die Förderung der Atomenergie durch EURATOM zu stoppen. In ganz Europa sind die Haftungsgrenzen der AKW-Betreiberunternehmen bei Störfällen aufzuheben. Im Falle eines GAU, wie er sich in Fukushima abzeichnet, darf die weitgehend atomenergiekritische Öffentlichkeit nicht auch noch in die finanzielle Pflicht genommen werden, nachdem die Atomindustrie jahrzehntelang horrende Gewinne einstreichen konnte.

Nicht erst nach den furchtbaren Ereignissen von Fukushima steht fest: Atomenergie kennt kein »Restrisiko«. Sie ist im Falle eines Störfalls unkalkulierbar gefährlich. Wer angesichts der tragischen Umstände an Japans Nordostküste von »Restrisiko« spricht, verhöhnt die Opfer der Katastrophe.

* Aus: Neues Deutschland, 18. März 2011 (Rubrik: "Brüsseler Spitzen")


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