Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lichter bleiben auch ohne AKW an

Universität Flensburg und Deutsche Umwelthilfe legen Gutachten vor

Von Haidy Damm *

Für einen Atomausstieg in Deutschland bis zum Jahresende 2014 ist kein Netzausbau erforderlich. Zu diesem Ergebnis kommt das Gutachten »Atomausstieg und regionale Versorgungssicherheit« der Universität Flensburg, das am Mittwoch (27. April) in Berlin vorgestellt wurde.

Die Szenarien der vergangenen Wochen zum schnelleren Atomausstieg sind vielfältig: In Süddeutschland gehen die Lichter aus, die Strompreise steigen und Deutschland muss Atomstrom importieren. All diese Argumente für eine Laufzeitverlängerung hat der Wirtschaftswissenschaftler Olav Hohmeyer, der auch Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) ist, unter die Lupe genommen.

Sein Fazit: Zwar sei der Netzausbau »absolut notwendig, um den Übergang in das regenerative Zeitalter bis 2050 oder sogar bis 2030 zu schaffen, aber unwesentlich für einen schnellen Atomausstieg«. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müssten lediglich die genehmigten und schon im Bau befindlichen Gas- und Kohlekraftwerke fertiggestellt werden.

Das gelte auch für die regionale Versorgung. Gerade die süddeutschen Länder haben bisher stark auf Atomkraftwerke gesetzt. Bei einem Ausstieg bis 2015 sei es aber möglich, alle Regionen ausreichend mit Strom zu versorgen. Denn zwischen den Regionen sei es weder erforderlich noch effizient, dass sich jede von ihnen zu jedem Zeitpunkt zu 100 Prozent selber versorge. Wichtig sei ein Ausgleich zwischen den Regionen und der sei mit den bisherigen Netzkapazitäten machbar. »Nirgendwo in Deutschland wird das Licht ausgehen«, schlussfolgert Hohmeyer.

Kohle und Gas sind in diesem Szenario nur noch Brückentechnologien. Zwar würde der CO2-Ausstoß zunächst für wenige Jahre leicht ansteigen, aber dann »im neuen energiepolitischen Rahmen wegen des beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energiekapazitäten steiler absinken«, so Hohmeyer. Hierfür sei allerdings ein »erheblicher Ausbau« der Hochspannungsnetze zwischen Nord- und Süddeutschland sowie der Speicherkapazitäten notwendig.

Untersucht hat Hohmeyer auch die Entwicklung der Strompreise. Der Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft widersprach anhand realer Börsendaten der Behauptung, die Strompreise seien nach der Abschaltung der AKW in die Höhe geschnellt. Derlei Zahlen hätten sich auf Spekulationen bezogen, nicht auf reale Preise. Auch der zeitweise Import von (Atom-)Strom aus Tschechien und Frankreich sei nicht »auf Strommangel zurückzuführen, sondern auf vorübergehend günstigere Stromhandelspreise in diesen Ländern«.

Die rechtlichen Voraussetzungen für einen Atomausstieg hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) untersucht. DUH-Geschäftsführer Rainer Baake hält diesen für möglich, ohne dass die im Grundgesetz geschützten Eigentumsrechte der Kraftwerksbetreiber verletzt würden. Spätestens nach 27 Jahren hätten sich die Investitionen in die Anlagen nicht nur amortisiert, sondern »einen angemessenen Gewinn« abgeworfen, so Baake. Die DUH schlägt daher »eine Regelung auf der Grundlage von Kalenderjahren statt Reststrommengen« vor. Demnach würde als letztes AKW der Reaktor Neckarwestheim 2 am 15. April 2017 vom Netz gehen. Konsequenz wäre auch, dass keines der durch das Moratorium abgeschalteten AKW wieder ans Netz gehen würde. Rechtssicher und technisch sowie volkswirtschaftlich möglich sei »die Zeit reif für einen klaren Schnitt«, fordert Baake.

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2011

Dokumentiert: Zwei Auszüge aus dem Gutachten:

Ergebnisse der Untersuchung

Ein Ausstieg aus der Kernenergie bis Ende 2014 muss von einem entschiedenen weiteren Ausbau der Nutzung regenerativer Energiequellen begleitet werden, um auch das Klimaproblem zu lösen. Die Möglichkeiten für einen entsprechenden Ausbau der regenerativen Stromerzeugung in Deutschland ist zum Beispiel vom Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Gutachten vom Januar 2011 für eine 100% regenerative Stromversorgung bis 2050 sehr detailliert untersucht worden (vgl. SRU 2011).

Eine 100% regenerative Stromversorgung ist in Deutschland bei forciertem Netzausbau und entsprechendem Ausbau von Speicherkapazitäten oder der Anbindung der bereits bestehenden sehr großen Speichermöglichkeiten in Norwegen bereits bis zum Jahr 2030 möglich.

Die in Deutschland installierte und im Bau befindliche Kapazität der konventionellen Kraftwerke reicht aus, um die Stromversorgung bereits ab 2015 auch ohne Kernkraftwerke zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen.

Dies gilt auch bei regionaler Betrachtung: Selbst zur Zeit der absoluten Jahreshöchstlast sind bereits im Jahr 2015 ohne Kernkraftwerke in allen Regionen Deutschlands ausreichende Erzeugungs- und Netzkapazitäten vorhanden, um die Versorgung jedes Verbrauchers in jeder Stunde des Jahres sicherzustellen.

Auch in der Stunde der höchsten Last stehen zusätzlich mindestens 15.000 MW Kraftwerksleistung für Systemdienstleistungen, ungeplante Kraftwerksausfälle und Kraftwerksrevisionen (Wartungsarbeiten) zur Verfügung.

Deutschlands Stromnetz ist nicht abgeschottet, sondern Drehscheibe des europäischen Strommarktes. Bisher war Deutschland Netto-Exporteur. Aufgrund der Preisverhältnisse an den europäischen Strommärkten wird in Zeiten hoher Nachfrage und geringer Solar- und Windstromerzeugung Strom nach Deutschland importiert. In Zeiten hoher Wind- und Solarstromeinspeisung wird Deutschland auch zukünftig trotz der Abschaltung aller Kernkraftwerke als Exporteur am europäischen Strommarkt auftreten.

Die Einbindung in den europäischen Strommarkt bedeutet zusätzliche Sicherheit für die Stromversorgung Deutschlands.

Die Strompreisentwicklung im ersten Quartal 2011 zeigt, entgegen dem in der Öffentlichkeit vermittelten Eindruck, keinen gravierenden Preiseinfluss der Abschaltung von 6 deutschen Atomkraftwerken nach dem 15. März, sondern eine gleichbleibende Tendenz.

Die Importe von Strom aus Tschechien haben sich in der gleichen Zeit nicht signifikant durch die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke erhöht. Sie folgen vielmehr anderen Einflussfaktoren.

Einem frühzeitigen Ende der Kernenergienutzung in Deutschland bereits zum Ende des Jahres 2014 stehen keine gravierenden technischen oder volkswirtschaftlichen Gründe entgegen.

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend kann festgestellt werden:
  1. Ein Abschalten aller deutschen Kernkraftwerke kann bis Ende 2014 erfolgen, ohne dass in einer einzigen Region Deutschlands mit Versorgungsengpässen gerechnet werden müsste.
  2. Der kurzfristige Ersatz der deutschen Kernkraftwerke kann ohne den zusätzlichen Neubau von fossilen Kraftwerken sichergestellt werden. Es müssen nur die bereits im Bau befindlichen Kraftwerke fertig gestellt werden.
  3. Deutschland verfügt bereits heute über die notwendigen Netzkapazitäten für einen Atomausstieg bis zum Jahr 2015
  4. Werden gleichzeitig die regenerativen Energiequellen zur Stromerzeugung so ausgebaut, wie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen bereits im Mai 2010 empfohlen, kann der Atomausstieg mit dem Übergang zu einer 100% regenerativen Stromversorgung bis zum Jahr 2050 verbunden werden.
  5. Möchte man die zusätzlichen CO2-Emissionen, die durch einen frühzeitigen Atomausstieg bis zum Jahr 2015 verursacht werden, im Elektrizitätsbereich selbst kompensieren, so kann der Übergang zu einer 100% regenerativen Stromversorgung auch schon bis zum Jahr 2030 erfolgen.
  6. Für den schnellen Ausbau der regenerativen Stromerzeugung bedarf es im Gegensatz zum schnellen Atomausstieg sowohl eines erheblichen Ausbaus der deutschen Hochspannungsnetze zur Verbindung der Hauptressourcen in Norddeutschland mit den Hauptabnehmern in Süddeutschland als auch eines erheblichen Ausbaus von Speichermöglichkeiten oder der Anbindung der sehr großen Speichermöglichkeiten Norwegens an das deutsche Elektrizitätssystem.
  7. Entgegen den in den letzten Wochen von interessierter Seite verbreiteten Nachrichten, dass die Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke im März 2011 zu steigenden Strompreisen geführt haben soll, zeigt eine genaue Betrachtung der Entwicklung der deutschen Strompreise am European Power Exchange EPEX seit Anfang 2011 ein gleichbleibendes Preisniveau, das durch die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke unbeeinflusst ist.
  8. Auch der Stromhandel mit Tschechien zeigt bei genauer Analyse keinen signifikanten Einfluss der Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke im März 2011.
  9. Eine sichere Elektrizitätsversorgung kann in Deutschland in jeder Stunde des Jahres bereits ab 2015 ohne ein einziges Kernkraftwerk gewährleistet werden.
  10. Einem frühzeitigen Kernenergieausstieg bereits zum Ende des Jahres 2014 stehen in Deutschland keine gravierenden technischen oder volkswirtschaftlichen Gründe entgegen.
Aus: ZENTRUM FÜR NACHHALTIGE ENERGIESYSTEME (ZNES): Atomausstieg 2015 und regionale Versorgungssicherheit. Kurzgutachten, April 2011, S. 5-6 bzw. S. 29




Zurück zur Kernkraft-Seite

Zurück zur Homepage