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Es geht ohne Klimakiller

Erneuerbare Energieträger können Kohle und Atomkraft ersetzen

Von Wolfgang Pomrehn *

Es geht offensichtlich auch ohne. Derzeit stehen neun der 17 deutschen Atomkraftwerke still, nachdem kürzlich auch noch das AKW Grafenrheinfeld bei Schweinfurt vorübergehend abgeschaltet wurde. Dort wird gerade die jährlich fällige Revision durchgeführt. Dies macht deutlich, daß es in der BRD erhebliche Überkapazitäten bei der Stromerzeugung gibt.

Würden alle Kraftwerke in der Bundesrepublik gleichzeitig laufen, könnten sie 150 Gigawatt (GW) pro Stunde liefern. So viel wird aber nicht im entferntesten benötigt. Der Stromverbrauch schwankt im Tages- und Wochenverlauf. Die Spitzen werden an den Werktagen vormittags erreicht und betragen selten mehr als 70 GW. Der historische Höchstwert lag bei etwas unter 80 GW. Seit einigen Jahren ist Deutschland daher Netto-Stromexporteur.

In den letzten Tagen gab es dennoch viel Geschrei, weil nun angeblich wegen des AKW-Stillstands Strom eingeführt werden müsse. Dabei bringen es allein die Gas- und Kohlekraftwerke zusammen auf eine Leistung von 72 GW. Hinzu kommen noch Pumpspeicher- und Wasserkraftwerke sowie Öl-, Müll- und Biogaskraftwerke mit insgesamt rund 24 GW Leistung. Macht zusammen etwa 96. Das heißt, selbst zu Spitzenzeiten müßten lange nicht alle diese Kraftwerke laufen.

Denn die Windkraft- und Solaranlagen kommen noch dazu. Sie bringen es inzwischen zusammen mittlerweile auf etwas mehr als 44 GW Leistung - die allerdings wetterbedingt nicht immer zur Verfügung steht. 2007 liefen nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft Windräder im Durchschnitt 1550 von 8760 Stunden im Jahr mit voller Leistung und Solaranlagen 910 Stunden. Zusammen haben sie in den letzten Wochen zumindest in der Mittagszeit meist mindestens zehn GW ins Netz gespeist, wie aus den Daten der Leipziger Strombšrse hervorgeht.

Aber natürlich ist Stromversorgung eine komplexe Angelegenheit. Ein Problem ist die räumliche Verteilung der Erzeuger und die Struktur des Höchstspannungsnetzes, das zur Zeit noch ganz auf die Bedürfnisse der Großkraftwerke zugeschnitten ist. Windkraftanlagen konzentrieren sich bisher eher im Norden, die großen Verbrauchszentren liegen hingegen in Nordrhein-Westfalen und im Süden der Republik.

Doch die Netzstruktur läßt sich verändern, zumal ohnehin erhebliche Investitionen fällig sind. Immer wieder ist von kritischen Energiepolitikern wie auch Industrievertretern zu hören, daß die Stromkonzerne die Infrastruktur seit Jahren vernachlässigen. Auch die Blockade des Baus neuer Windanlagen dürfte mit der jüngsten Wahl in Baden-Württemberg gebrochen sein.

Entsprechend optimistisch gibt sich der Bundesverband Windenergie (BWE). Dieser Tage stellte er am Rande der Hannover-Messe eine neue Studie über die Potentiale seiner Branche vor. Demnach könnten allein die an Land errichteten Windkraftanlagen künftig bis zu 65 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms liefern. 2010 waren es 6,2 Prozent. Die Studie wurde im Auftrag des BWE vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) erstellt. Die Wissenschaftler haben dafür einerseits Daten über die Windbedingungen und andererseits über die Flächennutzung im ganzen Land ausgewertet. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß bei Ausschluß von Schutz- und Wohngebieten acht Prozent der Fläche der BRD für Windkraftanlagen in Frage kommen. In der Studie ist jedoch nur die Nutzung von zwei Prozent der Landesfläche angenommen worden.

Werden dafür die heute modernsten Anlagen verwendet, könnten sie 198 GW liefern. Das wären je nach Größe der einzelnen Anlagen 40000 bis 100000 Windräder bzw. maximal knapp das Fünffache des derzeit Vorhandenen. Allerdings wird die Anlagendichte künftig abnehmen. Weitere Windradwälder, wie sie an der Nordseeküste stellenweise zu besichtigen sind, wird es wohl nicht geben. Denn die neuen Anlagen sind größer, werden in wesentlich größeren Abständen errichtet und sind dennoch ertragreicher.

Bemerkenswert an der IWES-Studie ist, daß sie auch für Bayern und Baden-Württemberg ein beachtliches Windkraftpotential feststellt. Allein im Südwesten ließe sich mit Windkraft etwas mehr Strom erzeugen, als derzeit bundesweit von den Windmüllern geliefert wird. Und im benachbarten Freistaat ist es noch einmal fast das Doppelte. Insgesamt, so der BWE, ließen sich mit der Windenergie an Land 390 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr erzeugen. Das wären 65 Prozent des derzeitigen deutschen Verbrauchs allein durch Windkraftnutzung an Land. Hinzu kommen noch die zahlreichen vor allem in der Nordsee geplanten Offshore-Parks, der weitere Ausbau der Solar- und Biogasanlagen und die bereits bestehenden Wasserkraftwerke. Der Ausstieg aus der Atomkraft ist also langfristig ohne Rückgriff auf Kohlekraftwerke möglich. Einen Widerspruch zum Klimaschutz gibt es nicht.

* Aus: junge Welt, 11. April 2011


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