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USA im falschen Film

Sanaa, Kairo, Gaza, Teheran: Proteste vor Botschaften Washingtons wegen Mohammed-Haßvideo weiten sich aus. Pentagon verlegt Kriegsschiffe vor Libyens Küste

Von Rüdiger Göbel *

Die Proteste in der islamischen Welt gegen das mutmaßlich in den USA produzierte Filmmachwerk »Innocence of Muslims« (Unschuld der Muslime) weiten sich aus. Vor zahlreichen diplomatischen Vertretungen der Vereinigten Staaten kam es am Donnerstag zu Protesten. In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa stürmten Hunderte Demonstranten das Gelände der US-Botschaft. Laut AFP wurde ein Mensch getötet, lokale Medien berichteten von Verletzten. Auch in der ägyptischen Hauptstadt Kairo kam es gestern nahe der US-Botschaft wieder zu Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Demonstranten und Sicherheitskräften. 70 Menschen wurden laut Gesundheitsministerium verletzt. Proteste wurden ebenfalls aus der iranischen Hauptstadt Teheran und aus dem palästinensischen Gaza gemeldet. Außerdem aus Bangladesch, Tunesien, Marokko und Sudan. Der von der NATO im Amt gehaltene afghanische Präsident Hamid Karsai sagte Auslandsreisen ab, offensichtlich davon ausgehend, daß die Attacken auf die Besatzungstruppen intensiviert werden. Am Dienstag waren beim Angriff auf das US-Konsulat in der ostlibyschen Stadt Bengasi Botschafter Chris Stevens und drei weitere Angehörige der Vertretung getötet worden. Für heute werden nach den Freitagsgebeten länderübergreifend weitere Demonstrationen erwartet.

Die Gewalteskalation in Bengasi ist für Washington besonders bitter: Die USA hatten die von dort aus operierenden Aufständischen beim Sturz des libyschen Präsidenten Muammar Al-Ghaddafi unterstützt, Botschafter Stevens war als Sonderbeauftragter für die Kontakte zum libyschen Übergangsrat zuständig. Der koordinierte mit Hilfe der USA und anderer NATO-Staaten den Aufstand.

US-Präsident Barack Obama verurteilte den Angriff auf das Konsulat und kündigte an, die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen. »Täuscht euch nicht: Der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden«, verkündete er vor Journalisten. Obama ordnete verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für die diplomatischen US-Vertretungen im Ausland an, besonders in Libyen. Das Pentagon verlegte zwei Kriegsschiffe vor die Küste des nordafrikanischen Landes. Die Zerstörer »USS Laboon« und »USS McFaul« hätten »keine konkrete Aufgabe«, zitierte AP namentlich nicht genannte US-Regierungskreise. »Sie gäben den Kommandeuren jedoch die Möglichkeit, flexibel auf jeden Einsatz zu reagieren, den der US-Präsident anordne.«

Die Eskalation in der muslimischen Welt war offensichtlich wohl kalkuliert. In der im Internet verbreiteten 13minütigen Kurzfassung von »Innocence of Muslims« wird der Prophet Mohammed als Frauenheld, Kinderschänder und Mörder dargestellt, vor allem aber als reichlich dämlich. Die Nachrichtenagentur AP berichtete, bei Recherchen auf Steve Klein gestoßen zu sein, »einen christlichen Aktivisten, der an dem Film beteiligt war«. »Wir sind da rangegangen mit dem Wissen, was wahrscheinlich passieren würde«, sagte Klein laut AP. Mutmaßlicher Produzent und Regisseur ist demnach Nakoula Basseley Nakoula alias »Sam Bacile«. 2010 wurde er wegen Bankbetrugs zu 21 Monaten Haft und Schadensersatz in Höhe von 790000 Dollar verurteilt. Ins Zeug für das Projekt legte sich demnach auch der christliche Fundamentalist Terry Jones. Der US-Pastor hatte einmal den Koran öffentlichkeitswirksam verbrannt. Die Darsteller des Films veröffentlichten mittlerweile eine gemeinsame Erklärung, in der sie behaupten, getäuscht worden zu sein. Das Buch sei drastisch umgeschrieben, Teile der Dialoge nachträglich neu vertont worden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. September 2012


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