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Gezielte Provokation

Antiislamischer Film löst Empörung in Libyen und Ägypten aus

Von Karin Leukefeld *

Bei einem Angriff von Salafisten auf das US-Konsulat in der ostlibyschen Stadt Benghasi sind in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch vier Menschen getötet worden. Neben dem US-Botschafter Christopher Stevens, der im Mai sein Amt angetreten hatte, sollen auch zwei seiner Leibwächter ums Leben gekommen sein. Bei dem vierten Toten handelt es sich demnach um einen Konsulatsmitarbeiter, seine Nationalität ist nicht bekannt.

Stevens habe sich zu einem kurzen Besuch in Benghasi aufgehalten, als der Angriff am Dienstag abend gegen 23 Uhr begonnen habe, berichtete Suleiman Idrissi, ein Mitarbeiter des katarischen Nachrichtensenders Al-Dschasira. Die bewaffneten Angreifer hätten sich als die »Unterstützer des Islamischen Gesetzes« ausgegeben und die Bevölkerung aufgefordert, das Konsulat anzugreifen. Als Grund nannten die Milizionäre den Film »Die Unschuld der Muslime«, eine nach Angaben der Filmemacher »sarkastische« Beschreibung des Lebens Mohammeds.

Mit Mörsergranaten sei das Gebäude angegriffen worden und in Flammen aufgegangen. Vermutlich wurden die vier Männer in den Flammen eingeschlossen und erstickten an der Rauchentwicklung. Libysche Sicherheitskräfte griffen nicht ein. Abdel-Monem Al-Hurr, Sprecher des Obersten Libyschen Sicherheitsrates, begründete dies damit, daß die Sicherheitskräfte nicht auf die Wucht der Gewalt vorbereitet gewesen seien. US-Außenministerin Hillary Clinton bestätigte den Tod eines »Beamten des US-Außenministeriums in Benghasi«. Die Leichen der Männer sollen über Tripolis auf eine US-Basis in Deutschland ausgeflogen werden. Botschafter Stevens war während des Libyen-Krieges 2011 als Sonderbeauftragter der US-Administration für die Kontakte zum Libyschen Nationalen Übergangsrat zuständig gewesen.

In Kairo marschierten am Dienstag im Laufe des Tages etwa 3000 Islamisten zur US-Botschaft, um gegen den in den USA produzierten Film zu protestieren. Die wütenden Männer kletterten auf die Mauer, rissen die US-Fahnen herunter, verbrannten sie – unter dem Protest weniger, wie das libanesische Nachrichtenportal Al-Akhbar berichtete – und hißten stattdessen die schwarze Fahne mit der Aufschrift »Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammad ist sein Prophet«. Diese Fahne gilt bei Islamisten als Symbol des von ihnen angestrebten Islamischen Staates. Die Demonstranten forderten den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi auf, den Film in Ägypten zu verbieten und eine Entschuldigung von den USA zu verlangen. Die ägyptische Polizei drängte die Menschen von der Botschaft zurück.

Der Produzent des Filmes, Sam Bacile, bezeichnete den Islam in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur AP als »Krebsgeschwür«. Sein Film sollte provozieren. Die Sache mit der Botschaft tue ihm leid, mit so einer Reaktion habe er nicht gerechnet. Die fünf Millionen US-Dollar für die Produktion des Films habe er unter anderem von mehr als 100 jüdischen Spendern eingeworben.

Koptische Christen der Maspero Jugendunion (MYU) und der Koalition der Kopten in Ägypten organisierten am Mittwoch eine Mahnwache gegen den Film vor der US-Botschaft in Kairo. Man protestiere gegen »jeden Vorbehalt oder die Ablehnung irgendeiner Religion«, hieß es in einer Stellungnahme. Man lehne jede Zwietracht ab, die zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens geschürt werde.

US-Außenamtssprecherin Victoria Nuland warnte anläßlich der Ereignisse in Kairo vor voreiligen Schlußfolgerungen über eine Verschlechterung der amerikanisch-ägyptischen Beziehungen. Das Gute am neuen Ägypten sei, »daß Proteste möglich sind«, sagte sie. Washington und Kairo stehen kurz vor dem Abschluß eines Abkommens, durch das Ägypten Schulden in Höhe von einer Milliarde US-Dollar erlassen sollen. Gleichzeitig haben die USA ihre Unterstützung für einen Kredit des Internationalen Währungsfonds für das Land am Nil in Höhe von 4,8 Milliarden US-Dollar signalisiert.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. September 2012


Sturm der Entrüstung in Bengasi

US-Vertretungen in Libyen und Ägypten von wütenden Muslimen attackiert

Von Roland Etzel **


Das Pentagon hat am Mittwoch Marineinfanteristen auf den Weg in die libysche Stadt Bengasi geschickt. Sie sollen nach dem tödlichen Angriff auf das US-Konsulat den Schutz der Diplomaten gewährleisten. Ausgelöst hatte die Attacke erneut eine verantwortungslos provokante antimuslimische Tirade made in USA.

Die Proteste, die am Montag und Dienstag über die USA-Vertretungen in Libyen und Ägypten hereinbrachen, kamen für die Betroffenen offenbar sowohl in ihrem Tempo als auch ihrer Heftigkeit völlig unerwartet - mit den dramatischeren Folgen in Bengasi. In der zweitgrößten Stadt Libyens wurde das US-Konsulat mit Schusswaffen, Granaten und selbstgebastelten Sprengkörpern attackiert, sodass sich das diplomatische Personal nicht mehr in Sicherheit bringen konnte. Laut AFP starben der US-Botschafter und drei seiner Mitarbeiter bei den Angriffen.

Dabei hätte man gewarnt sein können. Nur Stunden zuvor hatte bereits in Kairo ein aufgeheizter Mob die dortige USA-Botschaft attackiert und die Mauer um das Gebäude überklettert. Die Staatsflagge der USA ging in Flammen auf. Die Botschaftswächter ließen den Mob gewähren, gegen die Tausenden wütenden Kairoer hätten sie ohnehin keine Chancen gehabt. In Bengasi waren die zum Schutz des US-Gebäudes abgeordneten Wachen sofort geflohen.

Für die USA ist dies eine durchaus heikle Situation. Für einen Regime-Wechsel in Syrien steht man einerseits an der Seite der sich am rigidesten muslimisch gebenden arabischen Kräfte. Andererseits gibt man sich hilflos gegenüber den ausgesprochen hirnlosen Attacken evangelikaler Eiferer im eigenen Land. Der Film des aus Israel in die USA eingewanderten Islam-Hassers Sam Bacile, von Haus aus Immobilienspekulant, ist eigentlich an Primitivität kaum zu übertreffen - aber hat wahrscheinlich gerade deswegen das Zeug dazu, Heerscharen streng religiöser Muslime auf die Straße zu bringen. Nach den leichtfertig ausgelösten Massenprotesten infolge von Mohammed-Karikaturen und Koran-Verbrennungen hätte man das wissen können. Dennoch vermied US-Präsident Barack Obama es gestern, seine Reaktion darauf mit einer Bitte um Entschuldigung einzuleiten. Beim Abwägen zwischen dem Bemühen, die Verbündeten im arabischen Raum zu beschwichtigen, und einer der Weltmacht Nr. 1 angemessenen Reaktion angesichts der öffentlichen Schmähung ihrer Statussymbole siegte am Ende wohl der Wahlkämpfer Obama.

Also sagte der Präsident: »Ich verurteilte schärfstens diesen empörenden Angriff auf unsere diplomatische Einrichtung in Bengasi, der das Leben von vier Amerikanern, darunter Botschafter Chris Stevens, gekostet hat.« Er habe seine Regierung angewiesen, alles Notwendige zu veranlassen, um die Sicherheitsvorkehrungen vor US-Einrichtungen zu verschärfen. Zwar lehnten die USA alle »Versuche zur Verunglimpfung religiöser Glaubensvorstellungen ab«, hieß es nebulös bei Obama, doch »müssen wir uns alle eindeutig gegen die Art sinnloser Gewalt wenden, die das Leben dieser Staatsdiener genommen hat«.

Die anfangs kursierende Version, die US-Bürger seien gezielt getötet worden, wurde am gestrigen Abend praktisch zurückgenommen. Aus westlichen Sicherheitskreisen hieß es, zumindest der Botschafter sei nicht erschossen worden, sondern infolge des Brands an Kohlenmonoxid erstickt. Auch der im Raum stehende Vorwurf, ägyptische Kopten, also Christen, seien für den idiotischen Amateurfilm »Innocence of Muslims« (»Unschuld der Muslime«) verantwortlich, wird zumindest in Ägypten von den dortigen Medien nicht mehr wiederholt. Im anderen Falle hätten wohl Massaker an der koptischen Minderheit des Landes gedroht.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. September 2012


Provokanter Anti-Islam-Film entstand in den USA

»New York Times«: Produzent als notorischer Hasser von Muslimen seit langem bekannt ***

Radikale Islamisten töten in Libyen den US-Botschafter. In Kairo sprühen sie den Namen von Osama bin Laden an die Wand der US-Vertretung. Auslöser für die Gewalt ist ein islamfeindlicher Film.

Hinter den Angriffen auf US-Vertretungen in Ägypten und Libyen steht ein obskurer Amateurfilm, der sich in beleidigender Weise über den Propheten Mohammed lustig macht. Produziert hat den Streifen ein US-Bürger mit israelischen Wurzeln. Sam Bacile, ein 52-jähriger Entwickler von Immobilienprojekten aus Kalifornien, bezeichnete den Islam im »Wall Street Journal« am Dienstagabend als »Krebs«.

Bereits Anfang Juli wurde eine 14-minütige Vorschau des Films »Innocence of Muslims« (»Die Unschuld der Muslime«) auf dem Videoportal Youtube online gestellt. In dem Zusammenschnitt wird Mohammed als Frauenheld, Kinderschänder und Mörder dargestellt sowie als Bastard beschimpft. In einer ebenfalls veröffentlichten Szene nennt Mohammed einen Esel »das erste muslimische Tier«.

Der »New York Times« zufolge hatte der Trailer wenig Aufmerksamkeit, bis vorige Woche eine auf Arabisch übersetzte Version auftauchte. Ein koptischer Christ aus Ägypten, der in den USA lebt und im Internet mit verbalen Breitseiten gegen Muslime aufgefallen sei, habe das Video auf seinem Blog veröffentlicht. Schließlich griffen Zeitungen und das Fernsehen in Ägypten das Thema auf. Zunächst hieß es dabei fälschlicherweise, der Film sei von Kopten aus den USA produziert worden.

Bacile sagte dem »Wall Street Journal«, er habe den zweistündigen Film im vergangenen Jahr in Kalifornien gedreht. Rund 60 Schauspieler und eine 45 Mann starke Crew seien an dem dreimonatigen Projekt beteiligt gewesen. Um die Produktion zu finanzieren, habe er fünf Millionen Dollar von rund 100 jüdischen Spendern eingesammelt. »Der Film ist ein politischer Film. Es ist kein religiöser Film«, sagte er der Zeitung. Der Film, so Pastor Terry Jones aus Florida, zeige »in satirischer Weise« das Leben Mohammeds und mache die »destruktive Ideologie des Islam« deutlich.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. September 2012


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