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Diese dänischen Cartoons / Those Danish Cartoons

Lassen sie sich nicht täuschen – dies ist keine Frage von Islam versus Säkularismus / Don't Be Fooled, This Isn't an Issue of Islam versus Secularism

Von Robert Fisk*

Jetzt sind’s also Cartoons des Propheten Mohammed mit einem bombenförmigen Turban. Botschafter sind aus Dänemark zurückbeordert worden, in Golfstaaten entfernt man dänische Produkte aus den Regalen, Bewaffnete in Gaza drohen der Europäischen Union. In Dänemark erklärt Fleming Rose, der „Kultur“-Redakteur der piepkleinen Zeitung, die diese dummen Cartoons veröffentlicht hat – und das im letzten September, herrgottnochmal!, – dass wir Zeuge eines „Kampfes der Kulturen“ wären zwischen westlichen Demokratien mit ihrer Trennung von Kirche und Staat auf der einen und den islamischen Gesellschaften auf der anderen Seite. Oh G! ott oh Gott… Es ist das Kindische der Kulturen, dessen Zeuge wir sind.

Beginnen wir also mit dem Ministerium für Innere Wahrheit. Dies ist keine Frage von Säkularismus versus Islam. Für Moslems ist der Prophet ein Mann, der Das Wort direkt von Gott vernahm. Wir sehen unsere Propheten als schwache historische Figuren, in Widerspruch zu unseren hochtechnischen Menschenrechten, fast Karikaturen ihrer selbst. Tatsache ist, dass Moslems ihre Religion leben. Wir leben sie nicht. Sie haben ihren Glauben durch unzählige Schicksalslaunen hindurch bewahrt. Wir sind unseres Glaubens verlustig, seitdem Matthew Arnold über das „lange, entfliehende Brüllen“ der See schrieb [1]. Das ist der Grund dafür, dass wir über „der Westen gegenüber dem Islam“ und nicht über „die Christenheit gegenüber dem Islam“ sprechen: weil in Europa nicht mehr furchtbar viele Christen zu finden sind. An dieser Wahrheit ist auch nicht vorbeizukommen, indem wir mit dem Finger auf andere Weltreligionen zeigen und ! fragen, warum wir denn nicht Mohammed lächerlich machen dürften.

Davon abgesehen können wir uns auch selbst in heuchlerischen Gedanken über unsere religiösen Gefühle ergehen. Ich erinnere mich zufällig, wie vor mehr als einem Jahrzehnt ein Film mit dem Titel „Die letzte Versuchung Christi“ Jesus dabei zeigte, wie er mit einer Frau schlief. In Paris steckte jemand ein Kino, das diesen Film zeigte, in Brand und tötete einen jungen Mann. Ebenfalls entsinne ich mich einer US-Universität, die mich vor drei Jahren zu einem Vortrag einlud. Das Thema war „Der 11. September 2001: frag, wer es getan hat, aber, um Gottes Willen, frag nicht warum“. Als ich ankam, sah ich, dass die Universität die Phrase „um Gottes Willen“ gestrichen hatte, weil „wir auf bestimmte Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen wollten“. Ah-ha, wir haben also auch „Empfindlichkeiten“.

Anders gesagt, während wir fordern, dass Moslems gute säkulare Bürger sein müssen, wenn es um freie Rede (oder billige Cartoons! ) geht, dürfen wir uns über Anhänger unserer eigenen teuren Religion in nicht geringerem Maße Sorgen machen. Ich amüsierte mich auch über die pompösen Behauptungen europäischer Politiker, dass sie Redefreiheit oder Zeitungen nicht einschränken könnten. Auch das ist Unsinn. Hätte das Cartoon des Propheten stattdessen einen hohen Rabbi mit einem bombenförmigen Hut gezeigt, wäre uns sofort „Antisemitismus“ in die Ohren geschrieen worden – und mit Recht! Genauso hören wir ja auch häufig israelische Beschwerden über antisemitische Cartoons in ägyptischen Zeitungen.

Weiterhin ist es in einigen europäischen Staaten – Frankreich ist einer davon, Deutschland und Österreich wären ein paar weitere – gesetzlich verboten, Völkermorde zu leugnen. In Frankreich ist es zum Beispiel illegal zu sagen, dass der jüdische Holocaust oder der armenische Holocaust nicht stattgefunden haben. Also ist es in der Tat unzulässig, gewisse Aussagen in europäischen Staaten zu treffen. Ich bin noch unsicher! , ob diese Gesetze ihr Ziel erreichen; wie sehr man auch versuchen mag, Holocaustleugnung in Vorschriften zu fassen [2], werden Antisemiten doch immer versuchen, einen Weg darum herum zu finden. Wir können aber kaum unsere politischen Zwangsmechanismen dazu einsetzen, um Holocaustleugner niederzuhalten, und dann über Säkularismus faseln, wenn wir merken, dass Moslems an unserer provokativen und beleidigenden Darstellung des Propheten Anstoß nehmen.

Für viele Moslems ist die „islamische“ Reaktion auf diese Angelegenheit beschämend. Es besteht guter Grund zu der Annahme, dass Moslems es gutheißen würden, wenn einige Reformansätze in ihrer Religion Einzug hielten. Wenn dieser Cartoon die Sache derjenigen vorangebracht hätte, die hierüber eine Debatte in Gang setzen wollen, hätte das keinen gestört. Aber er war klar darauf angelegt, provokativ zu sein. Er war so empörend, dass es nur eine Gegenreaktion hervorrief.

Und jetzt ist keine gute Zeit, um den alten Müll von Sa! muel Huntington über den „Kampf der Kulturen“ wieder aufzuwärmen. Iran hat jetzt wieder eine Priesterregierung. Und der Irak auch, in jeder Hinsicht (wo es eigentlich nicht vorgesehen war, dass er mit einer demokratisch gewählten Priesterverwaltung endet, aber das kommt davon, wenn man Diktatoren stürzt). In Ägypten gewann die Moslemische Bruderschaft in den jüngsten Parlamentswahlen 20% der Sitze. Und nun hat Hamas die Kontrolle über „Palästina“. Da steckt eine Lehre drin, oder? Dass die amerikanische Politik – Regierungswechsel im Nahen Osten – nicht ihre Ziele erreicht. Diese Millionen von Wählern zogen den Islam den korrupten Regimes vor, die wir ihnen aufgezwungen haben.

Wenn der dänische Cartoon nun in dieses Feuer geschmissen wird, ist das in der Tat gefährlich.

Auf alle Fälle geht es nicht darum, ob der Prophet portraitiert werden sollte. Der Koran verbietet keine Bildnisse des Propheten, obwohl das viele Moslems tun. Das Problem ist, dass der Cartoon Moham! med als einen Gewalttäter im Style bin Ladens darstellt. Dass sie den Islam als eine gewalttätige Religion darstellen. Das ist er nicht. Oder wollen wir das dahingehend verändern?

Anmerkungen des Übersetzers:

[1] Matthew Arnold (1822-1888), englischer Dichter und Kulturkritiker. Angespielt wird auf das Gedicht „Dover Beach“, in dem das Lyrische Ich angesichts einer Welt von Unsicherheit und Krieg eine Leere im Glauben bei sich feststellt. Die See dient hier als Metapher des Glaubens: „The sea of faith“. [2] Im Englischen steht „however much you may prescribe Holocaust denial”, was ich als Ellipse auffasse: „prescribe [laws on] Holocaust denial”. Freilich könnte auch eine Bedeutungserweiterung des Verbs vorliegen.

* Übersetzt von: Benjamin Brosig

Quelle: ZNet 09.02.2006; www.zmag.de



Those Danish Cartoons

Don't Be Fooled, This Isn't an Issue of Islam versus Secularism

by Robert Fisk*


So now it's cartoons of the Prophet Mohamed with a bomb-shaped turban. Ambassadors are withdrawn from Denmark, Gulf nations clear their shelves of Danish produce, Gaza gunmen threaten the European Union. In Denmark, Fleming Rose, the "culture" editor of the pip-squeak newspaper which published these silly cartoons--last September, for heaven's sake--announces that we are witnessing a "clash of civilisations" between secular Western democracies and Islamic societies. This does prove, I suppose, that Danish journalists follow in the tradition of Hans Christian Anderson. Oh lordy, lordy. What we're witnessing is the childishness of civilisations.

So let's start off with the Department of Home Truths. This is not an issue of secularism versus Islam. For Muslims, the Prophet is the man who received divine words directly from God. We see our prophets as faintly historical figures, at odds with our high-tech human rights, almost cariacatures of themselves. The fact is that Muslims live their religion. We do not. They have kept their faith through innumerable historical vicissitudes. We have lost our faith ever since Matthew Arnold wrote about the sea's "long, withdrawing roar". That's why we talk about "the West versus Islam" rather than "Christians versus Islam"--because there aren't an awful lot of Christians left in Europe. There is no way we can get round this by setting up all the other world religions and asking why we are not allowed to make fun of Mohamed.

Besides, we can exercise our own hypocrisy over religious feelings. I happen to remember how, more than a decade ago, a film called The Last Temptation of Christ showed Jesus making love to a woman. In Paris, someone set fire to the cinema showing the movie, killing a young man. I also happen to remember a US university which invited me to give a lecture three years ago. I did. It was entitled "September 11, 2001: ask who did it but, for God's sake, don't ask why". When I arrived, I found that the university had deleted the phrase "for God's sake" because "we didn't want to offend certain sensibilities". Ah-ha, so we have "sensibilities" too.

In other words, while we claim that Muslims must be good secularists when it comes to free speech--or cheap cartoons--we can worry about adherents to our own precious religion just as much. I also enjoyed the pompous claims of European statesmen that they cannot control free speech or newspapers. This is also nonsense. Had that cartoon of the Prophet shown instead a chief rabbi with a bomb-shaped hat, we would have had "anti-Semitism" screamed into our ears--and rightly so--just as we often hear the Israelis complain about anti-Semitic cartoons in Egyptian newspapers.

Furthermore, in some European nations--France is one, Germany and Austria are among the others--it is forbidden by law to deny acts of genocide. In France, for example, it is illegal to say that the Jewish Holocaust or the Armenian Holocaust did not happen. So it is, in fact, impermissable to make certain statements in European nations. I'm still uncertain whether these laws attain their objectives; however much you may prescribe Holocaust denial, anti-Semites will always try to find a way round. We can hardly exercise our political restraints to prevent Holocaust deniers and then start screaming about secularism when we find that Muslims object to our provocative and insulting image of the Prophet.

For many Muslims, the "Islamic" reaction to this affair is an embarrassment. There is good reason to believe that Muslims would like to see some element of reform introduced to their religion. If this cartoon had advanced the cause of those who want to debate this issue, no-one would have minded. But it was clearly intended to be provocative. It was so outrageous that it only caused reaction.

And this is not a great time to heat up the old Samuel Huntingdon garbage about a "clash of civilisations". Iran now has a clerical government again. So, to all intents and purposes, does Iraq (which was not supposed to end up with a democratically elected clerical administration, but that's what happens when you topple dictators). In Egypt, the Muslim Brotherhood won 20 per cent of the seats in the recent parliamentary elections. Now we have Hamas in charge of "Palestine". There's a message here, isn't there? That America's policies--"regime change" in the Middle East--are not achieving their ends. These millions of voters were preferring Islam to the corrupt regimes which we imposed on them.

For the Danish cartoon to be dumped on top of this fire is dangerous indeed.

In any event, it's not about whether the Prophet should be pictured. The Koran does not forbid images of the Prophet even though millions of Muslims do. The problem is that these cartoons portrayed Mohamed as a bin Laden-type image of violence. They portrayed Islam as a violent religion. It is not. Or do we want to make it so?

* Robert Fisk is a reporter for The Independent and author of Pity the Nation. He is also a contributor to CounterPunch's collection, The Politics of Anti-Semitism. Fisk's new book is "The Conquest of the Middle East".

February 09, 2006

http://www.zmag.org/content/showarticle.cfm?SectionID=105&ItemID=9696">www.zmag.org


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