Kulturkampf von links
Medienforscher Kai Hafez über das Islambild deutscher liberaler Intellektueller
Wer deutsche Medien konsumiert, bekommt den Eindruck einer ernsten »islamischen Bedrohung«.
Sie haben die entsprechende Berichterstattung untersucht. Was sind die Ergebnisse?
Der Eindruck, den Sie schildern, ist belegbar. Wir haben für die Jahre 2005 und 2006 die
Themenanlässe für Berichte über den Islam im ersten Programm der ARD und im ZDF untersucht.
Vier Fünftel der Berichte hatten Anlässe wie Terrorismus, Konflikte und Integrationsschwierigkeiten.
Dieser enge Themenkorridor korrespondiert mit der gestiegenen Islam-Angst der Bevölkerung.
Wird negativ berichtet, weil die Stimmung so ist – oder ist die Stimmung negativ, weil derart berichtet wird?
Beides, der Zusammenhang ist zirkulär, wie häufig in der Medienwelt. Die öffentlich-rechtlichen
Medien kommen ihrem Bildungsauftrag nicht nach.
Damit sind die Öffentlich-Rechtlichen aber nicht allein. In den privaten Medien, auch den seriösen,
sieht es nicht anders aus. Der »Spiegel« warnte kürzlich vor Deutschlands »Islamisierung«.
Die privaten deutschen Zeitungen haben wir vor Jahren bereits untersucht, hier ist es tatsächlich
nicht viel anders. Die Medien sind aber nicht in der Alleinverantwortung, es ist auch eine Frage der
politisch-intellektuellen Kultur im Land. Es gibt eine lange Reihe von prominenten Stichwortgebern,
die immer wieder solche Themen teils sensationalistisch, oft mit einem Tabubrechergestus
aufgreifen. Alice Schwarzer wäre ein Name, Henryk M. Broder auch.
Die Medien haben sich Terror, Extremismus oder häusliche Gewalt aber nicht ausgedacht, und
natürlich sind Probleme, Fehlentwicklungen für Journalisten immer besonders interessant.
Probleme sollen berichtet werden. Aber es sind ja nicht vier Fünftel der Muslime Terroristen,
Extremisten oder Gewalttäter. Außerdem wird über viele andere Aspekte islamischen Lebens,
islamischer Kulturen gar nicht berichtet. Journalismus sollte aber doch immer den Ehrgeiz haben,
Unbekanntes aufzudecken statt Aufregung zu produzieren. Das trägt weder zum Verständnis noch
zur Lösung von Problemen bei. Die Muslime können auch in Deutschland nur noch reagieren, sie
sind in einer ständigen Verteidigungshaltung, die soziale und kulturelle Isolation nach sich zieht.
Was würden Sie denn stattdessen gerne über den Islam lesen?
Da gibt es eine Reihe von Themen. Zum Beispiel ist, trotz aller politischen Gewalt, kriminelle Gewalt
in islamischen Staaten seltener als vielfach im Westen. Übrigens auch, wo es keine so drakonischen
Strafen gibt wie etwa in Saudi-Arabien. In islamischen Gesellschaften ist auch die Einkommens- und
Vermögensverteilung im Vergleich überdurchschnittlich ausgeglichen. Vielleicht sollten deutsche
Redaktionen mal eine »Positivliste« zusammenstellen.
Warum sind es so oft gerade linke oder ex-linke Intellektuelle, die sich im »Kulturkampf« hervortun?
Ich finde es auch bedrohlich, dass häufig liberale Intellektuelle heute ohne weiteres mit diffusen und
historisch vorbelasteten Bedrohungs-Begriffen wie »Unterwanderung« hantieren. Ich möchte aber
nicht paschalisieren, es ist auch eine Generationenfrage. Vielleicht hat sich bei älteren liberalaufklärerischen
Intellektuellen eine Erschöpfungshaltung breit gemacht. Sie wollen ihre
Errungenschaften endgültig im Mainstream zementieren, und die Einwanderung zwingt sie nun zu
neuen Diskussionen über alte Fragen. Demokratie verträgt aber nun einmal keine Endgültigkeit der
Debatte, das ist anti-aufklärerisch und widerspricht den selbst erklärten Zielen.
* Prof. Kai Hafez ist Medienwissenschaftler an der Universität Erfurt.
Die Fragen stellte Velten Schäfer
Aus: Neues Deutschland, 10. April 2007
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