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Beten im Oval Office

Christlicher Fundamentalismus in den USA und die internationale Politik. Sabine Schiffer* bespricht das Buch von Barbara Victor

Barbara Victor, US-amerikanische Journalistin und Nahost-Expertin, trägt in jahrelanger Recherchearbeit über die Bewegung der wiedergeborenen Christen in den USA eine Unmenge qualitativer Beobachtungen zusammen, die das Bild einer starken und stetig wachsenden Einflussnahme evangelikaler Werte auf die Politik ihres Landes zeichnen. Victor konnte so feststellen, dass der 11. September 2001 einen Wendepunkt in der Ausrichtung der politischen Zielsetzung der sich berufen Fühlenden darstellt. Seither habe sich die Agenda auf die Außenpolitik gerichtet, während bis dato vor allem innenpolitische Lobbyarbeit gegen Abtreibung, Homosexuellengleichstellung sowie die Evolutionstheorie im Schullehrplan auf dem Programm stand. Im Zuge der Entwicklung seither sei auch erst eine Ausrichtung auf Israel durch bestimmte jüdische Gruppierungen zu beobachten, die zuvor eher links-demokratisch angehaucht waren – also zunächst im Widerspruch zur evangelikalen Politik standen. Die vermeintlich „jüdische Lobby“, wie vielfach beschworen, entpuppt sich also als zunächst vor allem christliche und zudem fundamental-christliche Lobby.

Israel ist dabei Teil eines Plans, der mit der Endzeitvorstellung der – hier etwas pauschal bezeichneten – „Evangelikalen“ zusammenhängt. Juden werden über den Umweg der „Liebe zum auserwählten Volk Gottes“ letztendlich als Mittel zum Zweck degradiert, indem sie als Platzhalter im heiligen Land fungieren – also eine zutiefst antisemitische Vorstellung, die auch von der Vernichtung alles Unchristlichen am Weltenende ausgeht – also auch des Jüdischen vor Ort. Die sich abzeichnende Katastrophe in Nahost wird nicht nur in Kauf genommen, man treibt sie durchaus bewusst voran, um noch schneller die Wiederkunft des Messias zu ermöglichen, denn dafür müsse Israel in jüdischer Hand sein – koste es, was es wolle. Hieraus leitet sich also eine unerbittliche Politik der Stärke ab, die nicht auf Ausgleich sondern auf Konfrontation ausgerichtet ist.

Aber die Vorstellungen der weit verzweigten und durchaus facettenreichen evangelikalen Bewegung sind nicht so homogen, wie sie in dieser kurzen Zusammenfassung scheinen mögen. Victor ermöglicht einen detaillierten und differenzierten Einblick in Richtungen und Meinungen, die sich teils ergänzen, teils widersprechen – ohne anscheinend wirklichen Widerspruch auszulösen. Eine der kuriosen Blüten, die diese Ideologie hervorbringt, sind etwa Juden mit einer Wiedergeburtserfahrung – also einer „persönlichen Beziehung zu Jesus“.

Das Mitmachen jüdischer Organisationen unter Akzeptanz bzw. Ignorierung des Endzeitszenarios mag dennoch verwundern, ist aber inzwischen fester Bestandteil der Vernetzung zwischen evangelikaler und neo-konservativer Nahostpolitik und den Interessen bestimmter jüdischer Vertreter, die glauben, dass die uneingeschränkte Hilfe für Israel ihnen zum Nutzen gereiche.

Erschreckend ist die Erkenntnis, dass es an keiner Stelle um Aussöhnung mit den Palästinensern geht, um Toleranz und das Anerkennen einer Existenzberechtigung des anderen – im Gegenteil: die armen Verirrten (Muslime) könnten noch gerettet werden, wenn man sie nur schnell genug mit der einzigen wahren Heilsbotschaft konfrontiere, der Jesu Christi. Übrigens, indem man die vielen christlichen Palästinenser einfach ignoriert. Vor diesem Hintergrund wird auch der Einmarsch im Irak positiv gesehen – als Wegbereiter für die Errettung der dort bedrohten Seelen. Die Road Map ist demnach ein Verrat am höchsten Ziel und darf auf keinen Fall umgesetzt werden, weil sie heiligen Boden einem unheiligen Volk, den Palästinensern, opfern würde. Vielleicht erklärt dies das zögerliche Einfordern des Vorantreibens der Map durch die US-Regierung oder sogar insgesamt die Stagnation im sog. Nahost-Friedensprozess. An Frieden ist man von evangelikaler Seite eigentlich nicht interessiert – jedenfalls nicht an einem gerechten.

Missverständlich ist die Verwendung des Begriffs „Einstaatenlösung“ bei Victor in Bezug auf Israel. In Europa und Isreal-Palästina setzen sich nämlich verschiedene Gruppierungen für eine andere Art von „Einstaatenlösung“ ein, und zwar die eines gemeinsamen Staates für Israelis und Palästinenser, Juden, Christen und Muslime. Hier bedeutet der gleiche Begriff aber einen rein „jüdischen Staat“, der erstens keinen palästinensischen neben sich duldet und der zweitens die Palästinenser des Landes verweist. Diese Politik schätzt die Autorin als gefährlich ein, weil sie heftigen Widerstand provoziere und schließlich tatsächlich zur vielfach heraufbeschworenen Vernichtung Israels führen könne.

Wichtig sind die Passagen über eine teils offensichtliche, teils undurchsichtige Durchdringung US-amerikanischer Politik durch diese sog. wiedergeborenen Christen, wozu sich George W. Bush ja selber zählt. Bei genauer Kenntnis der Terminologie und Gedankenstränge könne man aus Reden von Politikern eindeutige Signale in Richtung Reborns ausmachen. Das Buhlen um deren 80 Mio. Wählerstimmen im Land ist dabei nicht erst seit dem Wahlkampf Bushs in vollem Gange. Weil zunehmend religiöse Diskurse öffentliche Debatten prägen, wird mit dem Jargon auch gleichzeitig das ideologische Denken hoffähig und stark. Wie an einigen Beispielen deutlich wird, ist hier auch keine scharfe Trennlinie zwischen Demokraten und Republikanern mehr auszumachen.

Für Victor ist nicht die Religion, jedoch ihre Ideologisierung und die Verwischung der verfassungsmäßigen Trennung zwischen Religion und Staat ein wichtiges Problem und auch darum suspekt, weil ein kohärentes System einer bestimmten Weltinterpretation entstanden ist, das sich auf Gottes direkte Inspiration beruft – freilich ohne zu thematisieren, wer diese denn richtig verstehe. Der Originaltitel des Buches „Der letzte Kreuzzug“ stellt dabei eindringlich das Programm dar, das hinter den Konzeptionen evangelikaler Weltanschauung aufscheint. Die deutsche Titelwahl geht da etwas vorsichtiger mit dem Christentum um und das wiederum ist gut so, denn es handelt sich eben nicht um einen Kreuzzug der Christen gegen den Islam, obwohl dies inzwischen selbst viele Evangelikale glauben. Auch die Entwicklungslinien in eine antiislamische Richtung kann Victor nachzeichnen und auch das ungünstige Zusammenspiel von ideologischer Weltsicht und Ereignissen wie dem 11. September, die dazu geeignet sind, der bereits eingeschränkten Sichtweise noch einen neuen Impetus zu verleihen.

Während Victor der Geldbeschaffung und Wahlvolkmobilisierung durch die Kirchen viel Platz einräumt und die Strategien und Tricks einzelner Protagonisten darstellt, bleibt das Thema Wahlmanipulation gänzlich ausgespart. Trotz anfänglicher Differenzierung findet letztendlich doch eine verallgemeinernde Wahrnehmung der evangelikalen Bewegung statt. Die vielen Namen und Gruppierungen sind für Außenstehende kaum nachzuvollziehen. Hier wäre zur besseren Übersicht ein Glossar oder auch eine grafische Darstellung hilfreich gewesen. An einigen wenigen Stellen gibt es sprachliche Probleme entweder durch Übersetzung oder Druckfehler – das tut der Qualität des Buches jedoch keinen Abbruch, welches die vielfältigen Recherchen einer aufmerksamen und kritischen Beobachterin gut lesbar präsentiert. Natürlich mag der ein oder andere hier seinen Antiamerikanismus pflegen. Dabei macht das Buch vor allem eines deutlich: geredet wird viel über die USA, wirklich wissen tun wir äußerst wenig. Das Buch lädt ein, hier genauer hinzusehen und vielleicht auch einmal die Bibel ganz genau zu lesen.

Victor, Barbara (2005): Beten im Oval Office. Christlicher Fundamentalismus in den USA und die internationale Politik. München u. Zürich: Pendo. [engl. 2004: The Last Crusade; Erstausgabe frz. 2004: La Dernière Croisade. Plon: Paris] – ISBN 3-86612-061-3, 341 Seiten

* Dr. Sabine Schiffer, Linguistik & Medienpädagogik, Institutsleitung IMV, Erlangen


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