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NSA als Vorbild

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) plant die allumfassende Überwachung

Von Fabian Lambeck *

Mit der Forderung, dass Sicherheitsbehörden auch auf Mautdaten Zugriff haben sollten, sorgte der Bundesinnenminister gestern für Unruhe.

Der Mittwochmorgen begann mit einem Schock: »Union will Zugriff auf Maut-Daten – auch für Pkw«, meldete die Nachrichtenagentur dpa. Nach den Vorstellungen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sollten die Daten des Mauterfassungssystem auf Autobahnen zukünftig auch den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehen. Ein Sprecher Friedrichs bestätigte, dass die Union diese Forderung in die Koalitionsverhandlungen mit der SPD bringen wolle.

Bundesweit werden laut »Spiegel Online« an Maut-Kontrollpunkten auf 12 800 Kilometern Bundesautobahnen die Daten von Millionen Fahrzeugen automatisch erfasst. In ihrem 30-seitigen Verhandlungspapier bemängeln CDU und CSU, dass die Maut-Daten des Betreiberkonsortiums Toll Collect bislang ausschließlich zur Bezahlung von Lkw-Gebühren genutzt werden dürfen und eine Weitergabe an andere Ämter strikt untersagt ist. »Damit haben Sicherheitsbehörden auch zur Aufklärung von Kapitalverbrechen oder zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben keinen Zugriff«, heißt es in dem Papier.

Die Mauterfassung als Überwachungsinstrument? Am Mittag kam die Entwarnung: Die Forderung werde »so nicht umgesetzt«, sagte Friedrich. Gemeinsam mit der SPD sei man sich einig, dass die Mautdaten-Erhebung gesetzlich nur für diesen Zweck geregelt worden sei. »Insofern ist dieses Thema erledigt«, betonte Friedrich. Laut »Spiegel Online« soll CSU-Chef Horst Seehofer persönlich seinen Parteifreund zurückgepfiffen haben. Auch SPD-Innenexperte Thomas Oppermann lehnt die Pläne ab: »Wir brauchen keine Autobahn-NSA«, so Oppermann, der die SPD-Verhandlungsdelegation für »Inneres und Justiz« leitet. Am Nachmittag kam die Arbeitsgruppe in Berlin zusammen. Auch ohne die Mautdaten hatte es die Agenda des Treffens in sich. Wie das ARD-Magazins Monitor erfuhr, drängt die Union auf einen Ausbau der Video- und Internetüberwachung. Dazu will man den »Datenverkehr an zentralen Internetknotenpunkten« anzapfen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, mobile Internetnutzer mit ihren Smartphones besser beobachten zu können.

Die Bundespolizei soll zudem mehr Mittel erhalten, um die Video-Überwachung des öffentlichen Raums voranzutreiben: »Langfristig bekennen wir uns dazu, dass die Überwachung an Bahnhöfen zum Schutz unserer Bürger ausgebaut wird«, sagte Friedrich vor Beginn der Verhandlungen.

Ferner will die Union die Straftatbestände zur Bildung einer terroristischen bzw. kriminellen Vereinigung erweitern. Somit bekäme die Polizei zusätzliche Überwachungsrechte. Ob CDU und CSU sich mit ihren Forderungen durchsetzen können, bleibt abzuwarten.

Klar ist hingegen, dass Union und SPD bei EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia vorsprechen wollen. Ziel ist es, die Ausnahmeregelungen für bestimmte Unternehmen bei der EEG-Umlage, die Brüssel kritisch sieht, beizubehalten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. November 2013


Im Stil der NSA

Union will mehr Kontrolle im öffentlichen Raum. Verwirrung um Umbau des Mautsystems zu einer flächendeckenden Überwachungsstruktur

Von Ulla Jelpke **


Die CDU/CSU fordert in ihren Koalitionsgesprächen mit der SPD weit gehende Angriffe auf die Bürgerrechte und neue Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei. Dazu gehören vor allem die Kontrolle des Internetverkehrs und Verschärfungen sogenannter Antiterrorgesetze. Ins Gespräch brachte sie auch die Nutzung der Mautdaten für Fahndungszwecke. Damit steht zu befürchten, daß sich die große Koalition als Koalition der Überwachungsgesetze erweist.

Die Forderungen stehen in einem 30seitigen Positionspapier, das sich auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu eigen gemacht habe. Das berichteten am Mittwoch das Nachrichtenmagazin Spiegel und das ARD-Politmagazin »Monitor«. Letzterem zufolge strebt die Union vor allem nach einer Verschärfung der Internetüberwachung. Es werde eine »Ausleitung des Datenverkehrs an zentralen Internetknoten« angestrebt. Dort könnten dann Geheimdienste oder die Polizei herauslesen, welcher Internetnutzer sich auf welchen Seiten umsieht, auch E-Mails könnten abgefangen werden. Das Verfahren ähnelt dem vom US-Geheimdienst NSA verwendeten. Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag Jan Korte warf der Union vor, sie wolle »die US-Überwachungspolitik in die Bundesrepublik importieren. Wenn sie auch nur einen Teil ihrer Forderungen durchsetzt, droht auf breiter Front ein datenschutz- und bürgerrechtlicher Dammbruch.«

Intensiviert werden soll auch die Überwachung öffentlicher Plätze mittels Videokameras. Dazu will die Union bereits im Bundeshaushalt 2014 zusätzliche Mittel für die Bundespolizei bereitstellen lassen. Verschärft werden sollen zudem die Paragraphen 129 und 129a des Strafgesetzbuches. Diese stellen die bloße Zugehörigkeit zu kriminellen bzw. terroristischen Vereinigungen unter Strafe, unabhängig vom Nachweis individueller Straftaten. Ein entsprechender Vorwurf eröffnet der Polizei weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung der Kommunikation bis hin zum Lauschangriff. Details zur geplanten Verschärfung wurden gestern noch nicht bekannt.

Vorläufig aufgeben mußte die Union am Mittwoch aber ihren Plan, auch an die Daten heranzugehen, die bei der Autobahnmaut erfaßt werden. Bislang gilt hier eine strikte Zweckbindung: Jede andere Nutzung als zur Abrechnung der LKW-Maut ist im Gesetz ausdrücklich untersagt. Das wollte die Union nun ändern, um »Verbrecher effektiv verfolgen zu können«, so ein Sprecher des Innenministeriums.

Schon kurz nach der Einführung im Jahr 2005 wurden Forderungen laut, auf den strengen Datenschutz zu verzichten. Die Polizei präsentierte Delikte, in denen LKW-Fahrer als Opfer oder Verdächtige von Straftaten auftauchten und die Nutzung der Mautdaten wichtig für die Aufklärung sein sollte. Die Vorstellungen reichten von einer Beschränkung auf besonders schwere Straftaten bis hin zur vom damaligen Generalbundesanwalt Kay Nehm geforderten Jagd auf Verkehrssünder. Auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion kündigte die Bundesregierung im Jahr 2006 einen Gesetzentwurf an, der »eine Erweiterung der Zweckbindung auf Zwecke der Strafverfolgung und gegebenenfalls der Gefahrenabwehr« vorsehen sollte. Umgesetzt wurde das damals aber nicht.

Die an 300 Kontrollbrücken an Autobahnen montierten Überwachungsgeräte der Firma Toll Collect erfassen sämtliche Fahrzeuge, die unter ihnen durchfahren. Dazu werden jeweils Fotos des gesamten Gefährts sowie des zugehörigen Kennzeichens angefertigt. Gespeichert werden bislang aber nur die Daten von LKW, die mutmaßlich »Mautprellerei« betreiben, alle anderen Daten werden sofort gelöscht.

Der Vorstoß der Union provozierte am Mittwoch scharfe Ablehnung von Datenschützern. Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Kiel sagte, die Vorschläge »atmen den Geist der Massendatenüberwachung à la NSA«, der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar lehnte den Umbau des Mautsystems zu einem Überwachungssystem ebenfalls ab. Ohnehin hätte die Einführung einer solchen Vorratsdatenspeicherung mit Verkehrsdaten von Millionen Bürgern kaum vor dem Bundesverfassungsgericht Stand gehalten. Am Mittwoch nachmittag ließ Friedrich dann erklären, die Pläne, die womöglich nur ein Testballon waren, hätten sich »erledigt« und würden jedenfalls »so nicht umgesetzt«.

** Aus: junge welt, Donnerstag, 7. November 2013


Kameras sind unpolitisch

Von Fabian Lambeck ***

Der Vorstoß in Sachen Mautdaten ist fürs erste vom Tisch. Doch Entwarnung kann nicht gegeben werden. Denn es ist davon auszugehen, dass der Ruf nach Nutzung der Bilder aus den Autobahn-Kameras bald wieder laut wird. Dazu sind die Daten einfach zu verlockend. Zumal ein Blick auf die weiteren Punkte des Forderungskatalogs der Union zeigt, dass die Begehrlichkeiten der Sicherheitspolitiker noch viel weiter gehen.

Nun mag man einwenden, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben und der »normale« Bürger vor Kameras auf öffentlichen Plätzen und Spionageprogrammen im Netz nichts zu befürchten hat. Aber genau hier liegt das Problem: Man sieht die Überwachungstechnik immer nur vor dem Hintergrund einer funktionierenden Demokratie. Doch was, wenn hier ein Rechtspopulist an die Macht kommt? Oder soziale Unruhen ausbrechen, die die Regierung mit allen Mitteln wieder unter Kontrolle bringen will? Das letztere Szenario ist keine paranoide Wahnvorstellung, sondern fand bereits Eingang in entsprechende Überlegungen von westeuropäischen und amerikanischen Militärs. Überwachungstechnik ist gefährlich, weil sie auch funktioniert, wenn sich die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen ändern. Kameras sind unpolitisch und kein Instrument, dessen sich eine Demokratie im Übermaß bedienen sollte.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. November 2013 (Kommentar)


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