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Bundesregierung im Cyberwar

"Nationales Abwehrzentrum" soll Staat und Wirtschaft vor Hackerangriffen schützen

Von Ulla Jelpke *

Am Donnerstag (16. Juni) eröffnete Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Bonn ein »Cyber-Abwehrzentrum« als Plattform für Polizei, Geheimdienste und Militär. Es soll öffentliche und private Infrastruktur vor Hackerattacken schützen.

Zuvor hatten Angriffe auf den Internationalen Währungsfonds (IWF), den Elektronikkonzern Sony, die City-Bank oder den US-Rüstungskonzern Lockheed-Martin für Schlagzeilen gesorgt. Die Täter bleiben meist im dunkeln: jugendliche Hacker, Kriminelle, Geheimdienste werden ebenso als potentielle Täter genannt wie terroristische Gruppen.

Um Staat und Wirtschaft in Zukunft besser vor solchen Angriffen zu schützen, wurde nun das »Nationale Cyber-Abwehrzentrum« (Cyber-AZ) in Bonn-Mehlem gegründet. Sein Vorbild ist das »Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum« (GTAZ) in Berlin-Treptow. Auch dort arbeiten Beamte unterschiedlicher Behörden eng zusammen. Eine gesetzliche Grundlage für dieses Zusammenwirken gibt es nicht, es basiert allein auf »Kooperationsvereinbarungen«. Der Grund ist klar: Wenn die Mitarbeiter aus Polizei und Geheimdiensten zwar eine gemeinsame »Arbeitsplattform« haben, aber weiterhin ihren Behörden unterstehen, bleibt das grundgesetzliche Trennungsgebot formal gewahrt. Gleichzeitig wird die parlamentarische Kontrolle durch die Zuständigkeit verschiedener Behörden und ihrer unterschiedlichen Geheimhaltungsbedürfnisse erschwert bis unmöglich gemacht. Im Gegensatz zum »Terror-Abwehrzentrum« kommt beim Cyber-AZ die Bundeswehr als Kooperationspartner hinzu. Schließlich soll es um die Abwehr der Angriffe gehen, und da ist es allein mit Informationsaustausch und Aufdecken von Sicherheitslücken nicht getan, schreibt die Bundesregierung in einer Stellungnahme.

Das Cyber-AZ startet zunächst mit einer Besetzung von zehn Beamten: sechs kommen aus dem »Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik«, zwei aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, zwei aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Bundeswehr werden ebenso mitwirken wie jene Behörden, die für »Kritische Infrastrukturen« – zum Beispiel Strom-, Wasser- und Energieversorgung – zuständig sind. Die Betreiber entsprechender Einrichtungen, zu denen beispielsweise auch Atomkraftwerke oder das Bahnnetz gehören, werden nicht unmittelbar eingebunden. Sie sollen allerdings im »Nationalen Cyber-Sicherheitsrat« (NCSR) vertreten sein, der die Arbeit im Cyber-AZ koordiniert. Vorsitzende des Gremiums ist die Nationale Beauftragte für Informationstechnik, derzeit Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe aus dem Bundesinnenministerium. Welche Wirtschaftsvertreter kooptiert werden, ist noch nicht beschlossen. Sie dürften vor allem aus dem Kreis deutscher Technologie- und Rüstungskonzerne kommen.

Der Gewerkschaft der Polizei geht die Initiative zur Gründung des Zentrums nicht weit genug. Wenn nicht massiv in Personal, Technik und Schulung investiert würde, werde »sich die Netzkriminalität ungebremst ausweiten« so ihr Vorsitzender Berhard Witthaut. Als einzige Fraktion äußerte Die Linke im Bundestag Kritik. Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr im »Cyberwar« unter einem Dach zu vernetzen sei »verfassungsrechtlich höchst bedenklich«, so der Innenpolitiker Jan Korte.

* Aus: junge Welt, 17. Juni 2011


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