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Internationaler Strafgerichtshof: Osttimor übertölpelt

Diplomatisches Missgeschick: Osttimor unterschreibt Nichtauslieferungsvertrag mit USA

Der jungen Republik Osttimor ist vor kurzem ein peinliches Missgeschick passiert: Sie unterschrieb ein Abkommen mit den USA, wonach sie amerikanische Bürger nicht an das Internationale Strafgericht ausliefern wolle. Wenig später stellte sich heraus, dass Osttimor von den USA übertölpelt wurde.

Dies deckte die Süddeutsche Zeitung in einem längeren Hintergrundbericht von Andrian Kreye (Titel: "Unilateral mit zweierlei Maß") in ihrer Ausgabe vom 14. September 2002 auf. Als neuester Partner des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) ratifizierte Anfang September Osttimor das römische Statut des Gerichts - inzwischen haben 79 Staaten das Statut ratifiziert. Als sich am 9. September die Mitglieder des ICC in New York zu ihrer ersten konstituierenden Versammlung trafen, entschuldigte sich der osttimoresische Gesandte für das diplomatische Missgeschick seiner Regierung: Man habe neulich ein Schreiben des amerikanischen Außenministeriums bekommen, berichtete er. Darin hätten die USA seiner Regierung ein Abkommen angeboten, in dem die beiden Staaten einander versicherten, die Staatsbürger des Vertragspartners nicht ohne dessen Zustimmung an den Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern. Diesen Vertrag habe man unterschrieben und erst jetzt begriffen, was man damit angerichtet habe. Gegen Ende seiner Entschuldigungsrede versicherte der Gesandte aus Osttimor aber noch, dass noch nicht alles verloren sei. Denn das bilaterale Abkommen mit den USA müsse ja noch vom Parlament ratifiziert werden. Und da sähe es gar nicht so gut aus.

Andrian Kreye: "Es gehört in Kreisen der Diplomatie zwar zum Alltag, aber nicht gerade zu den feinen Manieren, unerfahrene Kleinstaaten mit Winkelzügen des internationalen Rechts zu überrollen. Da spielt es keine Rolle, dass das osttimoresisch-amerikanische Abkommen keine großen Auswirkungen auf das Funktionieren des ISGH haben wird. Für die Anwesenden war der rüde Umgang mit dem Inselstaat allerdings ein Beweis mehr, mit welchem imperialen Gestus die USA in die Verhandlungen zum Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofes gehen."

Die USA hatten nicht nur Osttimor, sondern viele Staaten mit ihrem Ansinnen überfallen. Auch die Bundesrepublik erhielt ein entsprechendes Schreiben, die Schweiz, die EU-Staaten und viele andere. "Mit sanftem Druck versuchten die amerikanischen Außenpolitiker, die vermeintlich bilateralen Abkommen einerseits zur Nebensächlichkeit, andererseits zur Eilsache zu deklarieren." Die Folge solcher bilateraler Abkommen: Ein Passus in den Statuten des ICC sichert den Vertragsstaaten zu, dass Abkommen, die vor der Ratifizierung des Gerichtshofes mit Drittstaaten abgeschlossen wurden, juristische Priorität erhalten. D.h.: Solche Nichtauslieferungsverträge haben im Zweifelsfall Vorrang vor den Bestimmungen des ICC.

Von den Staaten, die auch das römische Statut ratifiziert haben, hat bisher Rumänien eine bilaterale Vereinbarung mit den USA unterzeichnet. Laut Süddeutscher Zeitung haben einige wenige Regierungen, darunter Kolumbien, die Philippinen und Großbritannien, Bereitschaft signalisiert ebenfalls zu unterzeichnen. Aus durchsichtigen Gründen, wie Kreye vermutet: "Kolumbien empfängt von Amerika enorm viel Militärhilfe und legt schon deshalb wenig Wert auf Zwist mit den Wohltätern aus dem Norden; die Philippinen lassen sich derzeit ihren eigenen Terrorkrieg von den USA finanzieren; und Großbritannien hat seine Außenpolitik anscheinend direkt an das amerikanische State Department gekoppelt."

Kreye berichtet weiter, wie zurückhaltend und "floskelhaft" die Ratifizierungsstaaten des ICC bei dessen konstituierender Sitzung die USA behandelt hätten. Unter den wenigen Diplomaten, die "deutliche Worte" fanden, waren der kanadische Außenminister Bill Graham und der Staatssekretär des deutschen Außenministeriums, Jürgen Chrobog. Bill Graham warf den USA eine "oft unilaterale Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor. Chrobog wies auf die Wurzeln des ICC in den Nürnberger Prozessen hin, die von den USA mitinitiiert worden waren und sagte wörtlich: "Die Sorgen um eine politische Instrumentalisierung des Internationalen Strafgerichtshofes sind unbegründet. Das Statut des Gerichts ist voller Schutzmechanismen. Dazu gehört, dass die Strafverfolgung durch nationale Gerichte Vorrang hat: Wenn ein Staat seine Verpflichtung zur Verfolgung schwerster Verbrechen ernst nimmt, ist der Gerichtshof gar nicht zuständig."

Selbst wenn ein Ankläger des ICC versuchen würde, ein Exempel an den USA zu statuieren, so bestünde für die USA oder andere Staaten keine Gefahr. Dies bestätigt der Völkerrechtler Michael Bothe von der Berner International Humanitarian Fact Finding Commission: "Die Tatbestände sind so formuliert, dass eine systematische Verletzung grundlegender Menschenrechte und Regeln über die Kriegsführung vorliegen muss, damit es zur Anklage kommt." Der "Fehlwurf" einiger Bomben könnte also nicht Gegenstand einer Verhandlung werden. Und: "Wer vermeiden will, dass sein Land in einen Prozess gezogen wird, muss nur selbst ein Verfahren anstrengen."

Pst
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 14.09.2002


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