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Mildes Urteil für Kriegsverbrecher

14 Jahre Haft für Kongolesen Lubanga / Im Osten setzt M23 ihre Offensive fort

Von Martin Ling *

Die Strafe für den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga steht: Der Internationale Strafgerichtshof verhängte 14 Jahre für das Rekrutieren von Kindersoldaten. Lubangas Spießgeselle Bosco Ntaganda macht derweil mit seiner M23-Miliz weiter den Osten Kongos unsicher. Auch gegen ihn liegt ein Strafbefehl vor.

Historisch ist der Richterspruch auf alle Fälle. Zum ersten Mal seit seiner Gründung 2002 hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) eine Strafe ausgesprochen. Sie trifft den kongolesischen Kriegsverbrecher Thomas Lubanga und beträgt 14 Jahre Haft. Das verkündete der Vorsitzende Richter der ersten Strafkammer, Adrian Fulford, am Dienstag in Den Haag. In seinem ersten Urteil hatte das Gericht den Milizenchef Lubanga im März schuldig gesprochen, Hunderte Kindersoldaten unter 15 Jahren im Kongokrieg eingesetzt zu haben. Mit dem Strafmaß blieben die Richter jedoch weit hinter der Forderung der Anklage zurück, die 30 Jahre Haft beantragt hatte.

Vor dem Hintergrund der ethnischen Konflikte zwischen Hema und Lendu im Jahr 2002 gründete der Hema Lubanga mit Unterstützung des Nachbarlands Uganda die Union Kongolesischer Patrioten (UPC), deren militärischer Arm FPLC von Lubanga befehligt wurde. Lubanga erwarb sich den Ruf eines charismatischen Führers, die Hema sehen in ihm ihren Beschützer. Lubanga forderte sie auf, ihm Kinder als Soldaten zur Verfügung zu stellen. Der FPLC werden mehrere Massaker an Lendu-Zivilisten in den Jahren 2002 und 2003 zur Last gelegt - die waren aber nicht Gegenstand der Anklage.

In seiner Begründung erhob Richter Fulford schwere Vorwürfe gegen den vormaligen Chefankläger des Gerichts, Luis Moreno Ocampo, der im Juni ausgeschieden war. Moreno Ocampo habe im Prozess immer wieder versucht, Lubanga mit Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen in Verbindung zu bringen, sich aber geweigert, eine entsprechende Anklage zu erheben. Auch seien keine ausreichenden Beweise für die Vorwürfe erbracht worden.

Das Strafmaß wurde nicht einstimmig verhängt. Eine Richterin der dreiköpfigen Kammer gab ein Minderheitsvotum ab. Nach Ansicht Elizabeth Odio Benitos spiegelt das Strafmaß den Schaden der Opfer durch Misshandlungen und sexuelle Gewalt nicht ausreichend wider.

Aufmerksam verfolgt haben dürfte das Urteil auch Bosco Ntaganda, genannt »Terminator«. Er war einst zweiter Mann hinter Lubanga und wird seit 2006 ebenfalls als Kriegsverbrecher vom IStGH gesucht. Als Kongos Präsident Joseph Kabila im April drohte, Ntaganda zu verhaften, gründeten dessen Gefolgsleute die Rebellenarmee M23 und setzten sich an der Grenze zu Ruanda fest. Dort sind seit Ausbruch der jüngsten Kämpfe nach UN-Angaben über 200 000 Menschen geflohen.

Lubanga ist der erste Kriegsherr aus Kongo, der verurteilt wurde. Zwei warten in Den Haag auf ihr Urteil, viele andere wie Ntaganda sind noch auf freiem Fuß.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. Juli 2012


Afrikaner in der 1. Reihe

Von Martin Ling **

Straflosigkeit für Kriegsverbrecher darf es nicht geben, denn Straffreiheit ebnet den Weg für Wiederholungstäter. So ist es zu begrüßen, dass mit dem kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga erstmals ein Kriegsherr vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Lubanga ist ein Kriegsherr unter vielen.

Dass in Den Haag bisher nur Afrikaner vor Gericht stehen, zeigt, wie unausgewogen der IStGH vorgeht. Das liegt freilich nicht an ihm selbst. Er darf laut Statut nur Fälle verfolgen, die ihm vom UN-Sicherheitsrat übertragen wurden oder bei denen der mutmaßliche Kriegsverbrecher einem Staat angehört, der das Statut ratifiziert hat. Allein drei der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat - USA, Russland, China - zeigen daran keinerlei Interesse. So sind dem Gerichtshof in Bezug auf viele Konfliktherde und Kriege dieser Welt die Hände gebunden.

Er spielt eine wichtige Rolle darin, dem Weltrechtsprinzip globale Gültigkeit zu verschaffen, nach dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor jedem Gericht der Welt belangt werden können. Wo nationale Justiz es nicht wagt, sich mit den Mächtigen anzulegen, ist der IStGH gefragt. Doch solange die Mächtigen über dem Gesetz stehen, indem sie es vermögen, den IStGH legal auszubremsen, bleibt die Zwei-Klassen-Justiz erhalten. Die Afrikaner sitzen dabei als Angeklagte in der ersten Reihe. Lubanga machte nur den Anfang. Das Ende darf das nicht sein. Sonst steht die Akzeptanz des Weltrechtsprinzips auf dem Spiel.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. Juli 2012 (Kommentar)


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