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Dämmert Weltgericht der Abend?

Afrikanische Union streitet über Zusammenarbeit mit internationalem Straftribunal

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Die Afrikanische Union (AU) will über ihre künftige Partnerschaft mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) entscheiden. Bei einem speziellen Gipfel trifft der Staatenbund an diesem Freitag in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zusammen.

34 AU-Mitglieder haben das Rom-Statut ratifiziert und sind damit an die Zusammenarbeit mit dem Weltgericht gebunden. Nun munkelt man aber über einen Ausstieg. Während die meisten Diplomaten diesen für unwahrscheinlich halten, arbeitet die Regionalmacht Südafrika bereits an einem Kompromiss. Man könne sich »keine Situation leisten, in der niemand zur Verantwortung gezogen wird, sonst hätten wir eine gesetzesfreie Zone«. Bekommen Kriegsverbrecher bald einen Freibrief?

Der Gipfel an diesem Freitag und Samstag folgt der Initiative Kenias. Das Parlament des ostafrikanischen Staates hatte sich vorigen Monat geeinigt, dem IStGH den Rücken zu kehren und die Mitgliedschaft zu kündigen. Das Gericht in Den Haag ermittelt derzeit gegen Kenias Machthaber wegen Kriegsverbrechen.

Im Fokus stehen Präsident Uhuru Kenyatta und dessen Vize, William Ruto. Beide werden beschuldigt, die Gewalt nach den umstrittenen Wahlen von 2007 mit angeheizt zu haben. Damals kamen bei ethnischen Auseinandersetzungen rund 1100 Menschen ums Leben. Beide Spitzenpolitiker bestreiten die Verbrechen.

Die AU hatte das Gericht aufgerufen, die Klagen gegen die beiden Politiker fallen zu lassen und die Fälle an die heimische Justiz zu übergeben – eine Option, die die Ankläger kategorisch ablehnen. Damit »untergräbt« das Haager Tribunal jedoch Afrikas Autorität, findet Südafrikas Ex-Präsident Thabo Mbeki. Er wurde zu einem der größten Kritiker der Prozesse. »Der IStGH ist ein Gericht, das ermittelt, wenn die Staaten nicht fähig oder willens sind, Täter zu verfolgen. Aber Kenia hat sowohl die Mittel als auch die juristischen Institutionen dazu und will die Täter vor Gericht bringen.«

Vor mehr als einem Jahr bekam der IStGH eine neue Chefanklägerin – eine Afrikanerin. Für Fatou Bensouda aus Gambia gilt es nicht nur, Mörder, Folterknechte und Kriegsverbrecher zu verfolgen, sondern auch, den Ruf des Gerichts wiederherzustellen.

Die Beziehungen zur Afrikanischen Union wurden in den vergangenen Jahren schwer angekratzt. Bensoudas Vorgänger, dem Argentinier Luis Moreno-Ocampo, hatte man vorgeworfen, überwiegend Kriegsverbrechen in Afrika zu verfolgen.

Tatsächlich haben alle sieben der offenen Fälle ihren Schauplatz auf dem Kontinent. Die AU warf Moreno-Ocampo vor, ein Gericht des Westens mit imperialistischem Gedanken hochzuziehen.

Südafrikas Regierungspartei, der African National Congress (ANC), hat die Machthaber in Pretoria aufgerufen, sich hinter die Mehrheit der afrikanischen Staaten zu stellen. Der IStGH repräsentiere »Ungleichheit vor Weltjustiz und verfolge die Auffassung, dass die Schwachen immer falsch, die Starken immer richtig lägen.«

Die Furcht ist durchaus vorhanden, dass andere Staaten dem Beispiel Kenias folgen und den IStGH verlassen.

Die Regierung in Pretoria probt unterdessen für den Ernstfall, wie die südafrikanische »Sunday Times« unter Berufung auf diplomatischen Quellen berichtete. Derzeit arbeite man an einer »Kompromissposition«, falls sich die Staaten für eine Kündigung der Partnerschaft entschieden.

»Südafrika ist bekannt für seine guten Gesetze für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Es ist schwierig zu sagen, wie wir weitermachen, denn die ganze Welt wird uns dabei beobachten«, so die Quelle aus dem Justizministerium.

Andere aber sehen die Kritiker des internationalen Gerichts in der Minderzahl. Vor allem in der Zivilgesellschaft regt sich Kritik gegen einen Ausstieg. In einem offenen Brief plädierten 130 Nichtregierungsorganisationen (NGO) vom Kontinent, das Rom-Statut in Afrika aufrecht zu erhalten, darunter Human Rights Watch und Amnesty International.

Eine Opposition werden die Kritiker im südlichen Afrika finden, meint Angela Mudukuti vom International Criminal Justice Programme. »Das südliche Afrika war federführend bei der Schaffung eines Weltgerichts. Südafrika und die anderen Mitglieder der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) sollten die AU dazu aufrufen, die Justiz voranzutreiben – nicht, sie zu behindern.« IStGH-Kritiker Mbeki warnt vor einer Kündigung der Partnerschaft, will diese stattdessen »überdenken«. Auch von seinen westlichen Mitgliedern dürfte sich die AU starke Paroli erwarten: Erst dieses Jahr hätten Nigeria und Ghana den IStGH als wichtige Institution anerkannt, sagt Chinonye Obiagwu vom Legal Defence and Assistance Project – beide Länder würden beim Gipfel eine positive Führungsrolle spielen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 11. Oktober 2013


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