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Afrikaner auf der Anklagebank

Prozeß gegen Kenianer befördert Debatte über Internationalen Strafgerichtshof

Von Simon Loidl *

Am Dienstag hat vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) in Den Haag der Prozeß gegen den kenianischen Vizepräsidenten William Ruto und den Journalisten Joshua Arap Sang begonnen. Den beiden werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Sie sollen 2007 nach der Präsidentschaftswahl in dem ostafrikanischen Land zu Gewalt angestiftet und ethnische Unruhen geschürt haben. Die Anklage gibt ihnen deshalb Verantwortung für Mord, Vertreibung und Vergewaltigung. Mehr als 1000 Menschen waren damals getötet und Hunderttausende vertrieben worden. Beide Angeklagten haben die Anschuldigungen zurückgewiesen. Sie kündigten an, mit dem Gericht kooperieren zu wollen, auch wenn sie das Verfahren als Farce betrachteten. Nach einer am gestrigen Mittwoch verkündeten Vertagung soll am kommenden Dienstag der erste Zeuge gehört werden.

Ein weiterer Prozeß gegen Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta soll am 12. November eröffnet werden. Die Vorwürfe gegen ihn sind dieselben wie gegen Ruto und Sang. Kenyatta und Ruto, die seit April dieses Jahres koalieren, standen während der Unruhen 2007 in den einander bekämpfenden Lagern. Kenyatta soll damals Mitglieder der Mungiki-Sekte organisiert haben, die auf Seiten der Bevölkerungsgruppe der Kikuyu agierten, der auch der damals wiedergewählte Präsident Mwai Kibaki angehörte. Ruto soll für die andere Seite Milizen zur Unterstützung von Anhängern des unterlegenen Kandidaten Raila Odinga organisiert haben. Bereits im Mai dieses Jahres hatte Kenia den IStGH aufgefordert, das Verfahren an die kenianische Justiz zu verweisen. Auch Vertreter der Afrikanischen Union (AU) sprachen sich dafür aus und verwiesen auf Reformen des Justizwesens, die das ostafrikanische Land seit 2007 durchgeführt habe.

In Afrika hat der neuerliche Prozeß gegen Politiker des Kontinents zu einer grundsätzlichen Debatte über die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs geführt. Ende Mai verabschiedete die Afrikanische Union eine Resolution, in welcher dem IStGH vorgeworfen wird, aus rassistischen Gründen ausschließlich Afrikaner ins Visier zu nehmen. Tatsächlich sind von der Institution bisher 18 Verfahren für acht Länder eröffnet worden, die alle auf dem afrikanischen Kontinent liegen – Uganda, Sudan, Mali, Kenia, Demokratische Republik Kongo, Zentralafrikanische Republik, Libyen und Côte d’Ivoire.

Die Diskussion über den Strafgerichtshof wird auch in afrikanischen Medien völlig anders geführt als in »westlichen«. Bereits im Sommer 2012 widmete etwa das in London und Ghana herausgegebene panafrikanische Magazin New African der Auseinandersetzung mit dem Thema einen Schwerpunkt. Der aus Gambia stammenden Chefanklägerin des IStGH, Fatou Bensouda, stellte das Magazin die Frage, ob auch weiterhin ausschließlich afrikanische Politiker angeklagt würden oder ob geeignete Kandidaten wie George W. Bush oder Tony Blair nun auch an die Reihe kommen würden. Bensouda antwortete freilich ausweichend und hat bis heute die Hoffnungen vieler Menschen in Afrika, daß der Gerichtshof mit ihrem Amtsantritt im Juni 2012 ausgewogener agieren würde, nicht erfüllt.

Der aktuelle Fall hat indes bereits konkrete politische Auswirkungen. Eine Mehrheit des kenianischen Parlaments hat sich in der vergangenen Woche dafür ausgesprochen, daß das Land die Teilnahme am IStGH beenden soll. Nun muß die Regierung noch über den Gesetzesentwurf entscheiden. Ein Austritt aus dem Gerichtshof ändert jedoch nichts mehr an den bereits laufenden Verfahren. Unterstützung erhielt Kenia auch vom Nachbarn Uganda. Dessen Vizeaußenminister Henry Okello Oryem sagte am Montag der Nachrichtenagentur dpa, daß der IStGH aufhören solle, »immer nur afrikanische Spitzenpolitiker ins Visier zu nehmen«. Das Gericht würde »nie gegen reiche Länder in Europa oder gegen die USA aktiv, wo Politiker ebenfalls schreckliche Taten verübt haben«, so der ugandische Politiker.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. September 2013


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