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"Schizophrenie" in der Armutsbekämpfung

Jean Ziegler, UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, legt Abschlussbericht vor

Von Karina Böckmann *

Der scheidende UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Jean Ziegler, hat den Vereinten Nationen in seinem Abschlussbericht für den UN-Menschenrechtsrat »Schizophrenie« in der Armutsbekämpfung vorgeworfen.

Der Bericht ist als pdf-Datei hier herunterzuladen:

PROMOTION AND PROTECTION OF ALL HUMAN RIGHTS, CIVIL, POLITICAL, ECONOMIC, SOCIAL AND CULTURAL RIGHTS, INCLUDING THE RIGHT TO DEVELOPMENT.

Report of the Special Rapporteur on the right to food, Jean Ziegler

Der Report wurde am 11. März 2008 dem Menschenrechtsrat vorgelegt.



Für den Schweizer Jean Ziegler ist der Widerspruch offensichtlich: Einerseits verpflichteten die Vereinten Nationen ihre Mitgliedstaaten mit Hilfe ihrer Menschenrechtspakte zur Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung und schickten Organisationen wie das Welternährungsprogramm (WFP) und die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) erfolgreich an die Hungerfront. Andererseits jedoch kämen Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO) mit Forderungen daher, die den Hunger in der Welt verschärften, heißt es in dem 27-seitigen Bericht, den der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung präsentiert.

Den internationalen Finanzorganisationen und der WTO wirft Ziegler unter anderem vor, mit ihren Forderungen nach einer Privatisierung der öffentlichen Dienste, der Liberalisierung des Agrarhandels und der Kommerzialisierung der Ressource Land den Bemühungen zur Reduzierung des weltweiten Hungers zu schaden. In diesem Zusammenhang nennt der Schweizer Soziologe in seinem Report, der heute dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt wird, auch transnationale Konzerne als Hindernisse auf dem Weg zur internationalen Ernährungssicherheit. Die weltweit aktiven Unternehmen seien machtvoller denn je, »doch uns fehlen die Mechanismen, um Verstößen gegen das Recht auf Nahrung vorzubeugen, die einige von ihnen manchmal begehen«. Kritik übt der UNExperte auch an den Industriestaaten. Während sie auf internationalem Parkett das Recht auf Nahrung anerkennen würden, gebe es Regierungsstellen, die dieses Recht mit ihrer Politik wieder aushebelten. Wenn sie arme Staaten zur Marktöffnung drängten, ohne ihre Agrarexportsubventionen in Höhe von insgesamt 349 Milliarden US-Dollar (Stand 2006) aufzugeben, verfolgten sie damit vor allem unfaire Handelsinteressen.

Ziegler vermisst in diesem Zusammenhang die Bereitschaft der Industriestaaten, ihr auf der WTOMinisterkonferenz in Hongkong im Jahre 2005 gegebenes Versprechen einzuhalten, die marktverzerrenden Subventionen abzuschaffen. Diese erlauben den Bauern aus den reichen Ländern, ihre Agrar-erzeugnisse in Ländern des Südens unter dem Preis der lokalen Farmer abzusetzen. Deren Benachteiligung steht einer wirksamen Armutsbekämpfung im Wege. Der UNExperte weist darauf hin, dass die Zahl der Hungernden weltweit seit 1996 jährlich bis auf derzeit 854 Millionen gestiegen ist. Das bedeutet für die Millenniumsentwicklungsziele, die bis 2015 unter anderem eine Halbierung der Zahl der Hungernden vorsehen, einen schweren Rückschlag. Auch zur Einlösung dieser Ziele haben sich die Industriestaaten verpflichtet.

Zum Abschluss seiner achtjährigen Amtszeit als UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung verwies Ziegler auch auf die Schäden, die aus den zwischen der EU und den Ländern Afrikas, der Karibik und der Pazifikregion (AKP) vereinbarten Partnerschaftsabkommen (EPA) erwachsen können. Die EU müsse sicherstellen, dass die Verträge mit den AKP-Staaten deren Recht auf Nahrung nicht unterliefen. Die EPA sollen an die Stelle der alten Handelspräferenzen treten, die die EU den AKP-Staaten bislang einräumte und die an die WTO-Richtlinien angepasst werden. Ende letzten Jahres ist die siebenjährige Übergangszeit für die EPA-Verhandlungen ausgelaufen, die die WTO Brüssel eingeräumt hatte. Bisher haben erst 15 karibische Staaten den vollen Vertrag unterzeichnet. Die übrigen der insgesamt 35 Länder, die sich zur Unterschrift bereit fanden, stimmten lediglich Rumpfverträgen über den Warenhandel zu.

»Die EU darf die EPA nur dann ratifizieren, wenn sie Menschenrechtsverletzungen als Folge ausschließen kann«, fordern etliche Nichtregierungsorganisationen wie FIAN. Die Abkommen seien vor allem deshalb umstritten, weil sie die Rechte der Kleinbauern zum Schutz vor subventionierten Billigimporten einschränkten, betont FIAN-Handelsreferent Armin Paasch mit Blick auf den Menschenrechtsaktionsplan, den das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) am Montag vorstellte. Da das BMZ in der Bundesregierung sowohl für die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen als auch für die Weltbank die Federführung hat, hofft FIAN nun, »dass Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Aktionsplan und bei der Umsetzung auch in diesen Politikbereichen Akzente setzt und damit der Aufforderung der UN von 2001 nachkommt«. (IPS)

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2008


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