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Reformen oder Frühpension

IWF steckt in tiefster Krise seiner Geschichte. Interview mit Rainer Falk *


* Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org), dessen aktuelle Ausgabe den Stand der Reform beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zum Schwerpunkt hat. Anlässlich der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank sprach mit dem Soziologen für das "Neue Deutschland" Martin Ling.

ND: Finanzminister Peer Steinbrück zieht einen Namibia-Urlaub der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank vor. Ist das ein Ausdruck des vielfach beschriebenen Bedeutungsverlustes des IWF? Falk: Nein, das ist eher ein Ausdruck für deutschen Provinzialismus. Gravierender als die bloße Abwesenheit ist, dass Steinbrück das Angebot abgelehnt hat, den Vorsitz im Leitungsausschuss des IWF, dem sogenannten Wirtschafts- und Finanzausschuss, zu übernehmen. Das wäre ein Forum gewesen, wo man deutsche Reforminitiativen im IWF gut hätte vortragen können, aber in Bezug auf die internationale Finanzpolitik fährt Deutschland traditionell ein eher flaches Profil. Der IWF hat durch vorfristige Rückzahlungen mit Argentinien, Brasilien, den Philippinen, Indonesien vier seiner fünf größten Schuldner verloren, es bleibt nur noch die Türkei als Großkreditnehmer. Ist das ein Problem für den IWF? Ja, natürlich ist das ein Problem, weil damit dem IWF sehr hohe Einkünfte wegbrechen. Der IWF hat seine laufenden Geschäfte traditionell im wesentlichen aus Zins-einnahmen für Kredite an Schwellenländer finanziert. Seit einiger Zeit muss er die laufenden Kosten aus den eigenen Reserven finanzieren. Das geht auf Dauer nicht. Deswegen hat der IWF jetzt eine Studie über neu zu erschließende Finanzierungsmöglichkeiten in Auftrag gegeben. Wie lauten die Vorschläge? Beispielsweise sollen künftig auch von Entwicklungsländern Gebühren für Beratungstätigkeit im Rahmen der Überwachungsfunktion erhoben werden, bei der frühzeitig auf volkswirtschaftliche Ungleichgewichte aufmerksam gemacht werden soll. Zudem steht im Raum, einen Teil der Goldvorräte des Fonds zu verkaufen und den Erlös für Kapitalmarktinvestitionen zu verwenden, deren Rendite dann wieder dem Fonds zufließen würde. Rein ökonomisch ist dagegen sicher nichts einzuwenden. Das Problem ist nur, dass die Nichtregierungsorganisationen (NRO) bislang immer gefordert haben, mit Goldverkäufen Schuldenerlasse für die ärmsten Länder zu finanzieren. Das wurde immer kategorisch abgelehnt. Wenn der IWF nun Erlöse aus Goldverkäufen für andere Dinge verwenden will, würde das ein bezeichnendes Licht auf seine Glaubwürdigkeit werfen. Der britische Zentralbankchef Mervyn King hatte vor Jahresfrist vor einem Absturz des IWF in die Bedeutungslosigkeit gewarnt und eine Grunderneuerung gefordert. Was ist daraus geworden? Noch nicht viel. Bislang gibt es eine außerordentliche Quotenzuteilung für vier große Schwellenländer: China, Südkorea, Mexiko und die Türkei. Das geht aber auf Kosten des relativen Gewichts der ohnehin schon bedeutungslosen armen Länder im IWF. Die Quotenreform soll bis 2008 über die Bühne gehen. Aber selbst bei einer Quotenreform und bei einer Aufstockung der sogenannten Basis-stimmrechte würde sich die Position der ärmeren Mitglieder im Fonds verschlechtern. Deswegen kommt jetzt von NRO verstärkt die Forderung nach einer doppelten Mehrheit. Doppelte Mehrheit heißt, dass keine Gruppe im IWF durch eine andere überstimmt werden kann. Damit würde der Gefahr der Spaltung zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten entgegengewirkt. Bei der Frühjahrstagung ist freilich kein Durchbruch zu erwarten. Hat der IWF überhaupt eine Zukunft? Der IWF steckt zweifelsohne in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Es gibt in der Tat nur die Alternative: Entweder die wichtigen Anteilseigner des Fonds ringen sich zu echten Reformen durch oder aber man schickt den IWF in Rente. Es gibt in Lateinamerika und Asien bereits Initiativen, die dem IWF Konkurrenz machen. Laut Gründungsstatut sollte der IWF bei unvorhergesehenen externen Schocks Finanzhilfe leisten, statt in die Wirtschaftspolitik hineinzuregieren. Nun werden im Süden regionale Banken wie die Bancosur in Südamerika gegründet, die bedingungslos Hilfe versprechen. Ohne Reformschub droht dem IWF die Frühpension mit 63.

Bretton Woods - Zahlen und Fakten

Am 22. Juli 1944 wurden im US-amerikanischen Bergdorf Bretton Woods von 45 Nationen die Grundpfeiler der Finanzordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt: der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Die Schwesterinstitutionen bestimmen seit Beginn der Schuldenkrise 1982 maßgeblich die Entwicklungspolitik. Dem IWF war die Schuldenkrise seinerzeit willkommen, befand er sich doch selbst seit März 1973 in der Sinnkrise. Denn geschaffen wurde der IWF als Hüter eines globalen Währungssystem mit festen, an die Leitwährung Dollar geknüpften Wechselkursen. Das System scheiterte 1973, weil USA-Präsident Richard Nixon im Zuge des teuren Vietnam-Krieges die Golddeckung aufhob, die seit Bretton Woods garantierte, dass Dollars von den USA jederzeit zu einem festen Kurs in Gold umgetauscht würden. Die Wechselkurse wurden flexibilisiert und der Dollarkurs stürzte ab. Seitdem dominieren flexible Wechselkurse und Währungskrisen in Schwellenländern: Mexiko 1995, Südasien 1997, Russland 1998, Brasilien 1999, Argentinien 2001. Hohe Zeit für den IWF, der den Staaten mit Krediten aushilft, damit sie ihre Gläubiger bedienen können. Als Gegenleistung müssen Strukturanpassungsprogramme durchgeführt werden.

Beim Beitritt zum IWF zahlt jedes Land eine gewisse Geldsumme, die so genannte Quote. Die Höhe der Quote wird anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates berechnet. Gleichzeitig wird durch diese Quote bestimmt, wie groß das Kreditlimit beim IWF ist und inwieweit der jeweilige Staat ein Mitspracherecht bei Entscheidungen hat. Deswegen sind – auch wenn dem IWF inzwischen 185 Staaten angehören – Entscheidungen gegen die Gruppe der Sieben (G 7) – USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Japan, Kanada und Italien – nicht mehrheitsfähig. Russland wird seit 1999 pro forma in die G 7 integriert, so dass zuweilen auch von G 8 die Rede ist.
ML



* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2007


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