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Stillstand bei der WTO

Konferenz der Handelsminister in Genf ging am Samstag ohne Ergebnis zu Ende. Rußland in Organisation aufgenommen. Liberalisierungsprozeß stockt

Von Wolfgang Pomrehn *

Reichlich verkniffen schaute Pascal Lamy, Generalsekretär der Welthandelsorganisation WTO, am Samstag (17. Dez.) aus der Wäsche. In Genf war die achte Ministerrunde seiner Organisation gerade zu Ende gegangen, ohne daß greifbare Ergebnisse auf dem Tisch lagen. Zu vermelden ist höchstens, daß drei neue Mitglieder in den Klub aufgenommen werden. Neben den Leichtgewichten Samoa und Montenegro ist das Rußland, die mit Abstand größte bisher noch abseits stehende Volkswirtschaft. Die Beitrittsverhandlungen hatten sich seit 2000 hingeschleppt. Das russische Parlament muß nun noch die entsprechenden Dokumente ratifizieren. Danach wird das Land zum 154. Mitglied werden.

Ansonsten aber verblieb dem Sitzungspräsidenten, Nigerias Handelsminister Olusegun Olutoyin Aganga, wenig mehr, als »eine Verbesserung der Verhandlungsatmosphäre« zu vermelden. Das eigentliche Ziel der Konferenz war der Abschluß der sogenannten Doha-Runde. Das ist eine Reihe von Liberalisierungsvorhaben, die seit dem WTO-Gipfel von 2001 in Doha auf dem Programm stehen. Doch das scheint inzwischen in unerreichbare Ferne gerückt zu sein. Nicht einmal eine gemeinsame Abschlußerklärung kam zustande.

Die WTO selbst besteht aus einem relativ kleinen Apparat, der seinen Sitz in Genf hat. Unter ihrem Dach verhandeln die Mitglieder zur Weiterentwicklung diverser Verträge wie des Allgemeinen Zollabkommens GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), des Abkommens über den Handel mit Agrarprodukten AoA (Agreement on Agri­culture) oder des Dienstleistungsabkommens GATS (General Agreement on Trades in Services). In der Vergangenheit wurden die WTO-Ministerkonferenzen oft von heftigen Protesten begleitet, wie etwa 1999 im US-amerikanischen Seattle, 2003 im mexikanischen Cancún oder 2005 im chinesischen Hongkong. Doch seitdem die Verhandlungen nicht mehr vorankommen, ist es auch um die alle zwei Jahre tagenden Ministerrunden stiller geworden.

Außerdem gibt es im Rahmen der WTO ein Schiedsgremium, das bilaterale Streitigkeiten über Handelshemmnisse, Subventionen und ähnliches schlichtet. In dessen Rahmen hat zum Beispiel Vattenfall auch die Bundesregierung Deutschland wegen der wasserrechtlichen Auflagen für seinen Kraftwerksbau in Hamburg verklagt. Der Konzern argumentiert, daß es sich um ein Investitionshindernis handele. Deutschland hat bisher zu den eifrigsten Verfechtern des Klagerechts von Konzernen gegen Staaten gehört, das, wie das Hamburger Beispiel zeigt, die Gestaltungsmöglichkeiten von Regierungen weiter einschränken kann.

Der Vorläufer der WTO-Verträge, das Handel- und Zollabkommen GATT, existiert bereits seit 1947. Die anderen Verträge wurden Anfang der 1990er Jahre ausgehandelt und traten nahezu zeitgleich mit der Gründung der WTO 1995 in Kraft. Von Anfang an bestand die Absicht, sie in späteren Verhandlungen weiter auszudehnen. Nur über das Wie gibt es tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten.

Die Industriestaaten verfolgen dabei mehrere Absichten. Zum Beispiel wollen sie Zollgrenzen möglichst abbauen, um unbegrenzten Zugang zu den Märkten in den Entwicklungsländern zu bekommen. Außerdem streben sie umfangreiche Sicherheiten für die Aktivitäten ihrer Konzerne an, was als Investitionsschutz deklariert wird. Ein unabhängig von der WTO verfolgtes Multilaterales Abkommen über Investitionen (MAI) war Ende der 1990er am heftigen Widerstand in einigen Industrie­ländern gescheitert. Nun wird versucht, ähnliche Forderungen im Rahmen der WTO durchzusetzen.

Im Rahmen des GATS will derweil nicht zuletzt die EU weitgehende Rechte für ihre Banken und Versicherungen durchsetzen. Denn die aufstrebenden Mittelklassen in China und Indien stellen einen gewaltigen, bisher kaum erschlossenen Markt dar. Die Entwicklungsländer sind an vielen Punkten vor allem bestrebt, die Forderungen der Industriestaaten abzuwehren und Schutzmechanismen für die heimische Wirtschaft zu erhalten.

Etwas komplexer ist die Frage bei den Verhandlungen über das Agrarabkommen AoA. Bisher sind landwirtschaftliche Produkte von den Freihandelsregeln des GATT ausgeschlossen. Eine Reihe von Entwicklungsländern hat großes Interesse an einem freien Zugang zu den Märkten des Nordens. Entsprechend polemisieren sie gegen Einfuhrbeschränkungen, Schutzzölle und Agrarsubventionen in Europa und den USA. Die Industriestaaten zeigen aber wenig Neigung, ihre Subventionen abzubauen. Zudem verlangen sie ihrerseits unbegrenzte Exportrechte für Agrarprodukte. In Zusammenhang mit den Subventionen sind diese jedoch eine erhebliche Gefahr für Kleinbauern in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Der deutsche Zweig des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC kritisierte, daß die WTO die Regulierung der Finanzmärkte erschwere. »Die Freihandelsideologie der WTO kennt nur eine weitere Liberalisierung des Welthandels, einschließlich der Deregulierung der Finanzmärkte. Jede Einflußnahme des Staates wird weiterhin als diskriminierend verteufelt«, meinte Roland Süß vom hiesigen ATTAC-Koordinierungskreis. Vor allem die im Rahmen des GATS geforderte Marktöffnung für Finanzdienstleistungen würde staatlichen Auflagen zuwiderlaufen. Aber zum Glück seien die WTO-Verhandlungen weiter denn je von einem Durchbruch entfernt.

* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2011


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