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"Wir wollen aktiv Widerstand leisten"

Elftes Weltsozialforum tagte vergangene Woche in Tunis. Für Juni sind Aktionen in Athen geplant. Ein Gespräch mit Hugo Braun *


Hugo Braun vertritt das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC im Internationalen Rat des Weltsozialforums.

In Tunis ist am Osterwochenende das elfte Weltsozialforum (WSF) zu Ende gegangen. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Mir hat dieses wunderbare Gefühl der Solidarität gefallen. Die Menschen haben sehr offen miteinander gesprochen, haben über neue Strategien der unterschiedlichsten Art auf den unterschiedlichsten Feldern diskutiert.

Einige europäische Teilnehmer kritisieren, das Forum trete auf der Stelle. Ist es so?

Diese Kritiker sollten darüber nachdenken, wieso das europäische Sozialforum gescheitert ist. Warum haben es die Europäer nicht geschafft, sich auf Themen zu einigen und einen Weg des konstruktiven Umgangs miteinander zu finden? In Tunis etwas Erfolgreiches zu kritisieren, ist destruktiv.

Das erste WSF tagte im Jahre 2001 in der brasilianischen Stadt Porto Alegre – welche Erfolge hat es seitdem gegeben?

Die bestehen darin, daß immer neue Leute hinzukommen und sich so dieser offene Raum des Austausches erweitert. Die Gewerkschaften, die alten sozialen Bewegungen und traditionellen Nichtregierungsorganisationen sind natürlich immer wieder dabei. Es stoßen aber neue Akteure hinzu: etwa Leute, die sich dem »arabischen Frühling« verbunden fühlen, Oder Indignados« aus Spanien. Die Vorstellung, daß aus dem WSF eine Avantgarde der politischen Aktion wird, halte ich für abwegig.

Wie schätzen Ihre tunesischen Kollegen im Internationalen Rat des WSF die Ergebnisse des Forums ein?

Sie sind richtig begeistert. Ein solches Ausmaß von menschlicher Zuwendung, die über die einfache Solidarität hinausgeht, hatten sie nicht erwartet. Sie hatten nicht gedacht, daß die Europäer so neugierig auf die tunesischen Kämpfe sein würden. Das hat sie tief beeindruckt.

Das WSF ist für Außenstehende schwer zu durchschauen. Wer faßt die Beschlüsse? Was ist der Internationale Rat?

Er ist nicht gerade ein traditioneller und nach deutschem Recht eingetragener Verein mit Vorstand, Schatzmeister und Stellvertretern. Der Internationale Rat repräsentiert eine Vielzahl von Bewegungen, Gewerkschaften, Initiativen und Einzelpersonen aus aller Welt. Unter manchmal komplizierten Bedingungen gibt es dort eine Meinungsbildung. Zur Zeit sucht dieser Rat nach etwas verbindlicheren Strukturen, ohne gleich eine große Bürokratie schaffen zu wollen. Bisher besteht sein Sekretariat aus einer einzigen Person, die von brasilianischen Gewerkschaften finanziert wird.

Einziger Zweck der Arbeit des Internationalen Rates ist es, das Sozialforum als offenen Raum zu organisieren, damit sich Menschen dort treffen, miteinander diskutieren und auch gemeinsame Aktionen planen können.

Die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in der EU bräuchten angesichts der Krise ein wenig mehr, als nur einen offenen Raum für Diskussionen. Was kann der Sozialforumsprozeß da noch bieten?

Es wird Anfang Juni in Athen einen »Alter Summit«, einen Gegengipfel geben. Der wird im Gegensatz zum gescheiterten europäischen Sozialforum sehr viel aktionsorientierter sein. Dort wird der gemeinsame Widerstand gegen die sogenannte Sparpolitik der EU und der einzelnen Regierungen organisiert werden.

Was ist konkret geplant?

Vorgesehen ist, daß sich alle interessierten Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und auch politischen Parteien treffen. Es wird einen großen Kongreß und Demonstrationen geben und viele Diskussionen mit dem Ziel, der Verarmung und der Ausbeutung durch die EU programmatisch etwas entgegenzusetzen.

Danach gehen wir zurück in unsere Gewerkschaften, ATTAC-Gruppen etc.. Anschließend überlegen wir uns Aktionen, mit denen wir die Menschen in unseren Ländern dazu bringen, aktiv Widerstand zu leisten. Wir können uns zum Beispiel gut Aktionen vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main vorstellen. In anderen Ländern wird es Ähnliches geben, und wir werden sicherlich auch darüber sprechen, wie man nicht nur zu Aktionen des zivilen Ungehorsams, sondern auch zu Streiks und anderen betrieblichen Aktionen kommt. Der »Alter Summit« soll kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozeß sein. Das Ziel ist eine gemeinsame Kampagne gegen die europäische Austeritätspolitik.

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 3. April 2013


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