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"Tunesien und Ägypten haben es vorgemacht"

Die Aufstände in Nordafrika prägen das Weltsozialforum im Senegal. Ein Gespräch mit Boniface Mabanza


Der Kongolese Boniface Mabanza ist promovierter katholischer Theologe und arbeitet für die »Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika« (KASA) in Heidelberg. Mabanza ist zur Zeit beim Weltsozialforum in Dakar, Senegal (6.–11. Februar).

In der senegalesischen Hauptstadt Dakar hat am Sonntag das diesjährige Weltsozialforum begonnen. Spiegeln sich die Aufstände in Nordafrika in den bisherigen Diskussionen wider?

Das hat schon am Eröffnungstag die Atmosphäre stark geprägt. An der großen Podiumsdiskussion haben auch zwei Vertreter aus Ägypten und Tunesien teilgenommen, sie überbrachten Botschaften der sozialen Bewegungen ihrer Länder. Ihre Berichte haben die Teilnehmer stark bewegt – mehrere Europäer erklärten daraufhin, sie wünschten sich auch für ihre Länder tunesische und ägyptische Verhältnisse.

Sind Forderungen laut geworden, daß auch die senegalesische Regierung zurücktreten soll?

Wenn man mit den normalen Senegalesen, also mit der Frau und dem Mann auf der Straße, spricht, merkt man schnell: Wenn die Bevölkerung die Möglichkeit hätte, die gegenwärtige Regierung zum Teufel zu jagen, würde sie das sofort machen. Hier herrscht Not wie in Ägypten oder Tunesien auch: Das Leben ist in den letzten Jahren sehr teuer geworden, vor allem Nahrungsmittel sind für viele fast unerschwinglich.

Es gibt aber doch einen wichtigen Unterschied: Der Senegal hat so etwas wie eine demokratische Grundordnung, das Land wird nicht so autokratisch regiert wie andere Staaten in Nordafrika. Es gibt hier durchaus demokratische Freiheiten: Die Presse wird nicht zensiert, es finden auch Demonstrationen statt. In vielen Orten gibt es sogar einen Bürgerfunk (»radio communitaire«), in dem die Menschen ihre Meinung sagen können.

Der Senegal ist eines der ärmsten Länder der Welt, das Bildungssystem ist ebenso unterentwickelt wie das Verkehrswesen. Welche Resonanz hat das Weltsozialforum bei den Einheimischen?

Die meisten Teilnehmer kommen in der Tat aus dem Senegal, ebenso die meisten Organisationen, die daran mitwirken. An zweiter Stelle kommt übrigens Brasilien. Da die westafrikanischen Staaten schon seit Jahren an einem Programm der regionalen Integration arbeiten, sind auch viele Nachbarländer stark vertreten: Mali etwa, Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), Nigeria. Alle anderen Länder Afrikas sind natürlich auch dabei.

Welchen Einfluß haben islamische Organisationen auf das Weltsozialforum?

Soweit ich das beurteilen kann, so gut wie gar keinen. Das einzige, was ich gesehen habe, war ein Plakat mit der Einladung zu einer Geburtstagsfeier der islamischen Revolution im Iran. Möglich, daß auch Islamisten teilnehmen –bisher sind sie aber nicht wahrnehmbar.

Wer bezahlt eine solche internationale Konferenz? Die Zuwendungen der senegalesischen Regierung dürften sich doch wohl in Grenzen halten.

Im Detail kann ich dazu wenig sagen. Das Weltsozialforum kann aber auf eine Struktur zurückgreifen, die seit Jahren exisitiert. Es gibt sicherlich staatliche Zuschüsse – vor allem von Regierungen linksregierter Staaten in Lateinamerika. Nicht von ungefähr hat Boliviens Präsident Evo Morales am Sonntag eine große Rede gehalten. Erwartet wird auch Brasiliens Expräsident Ignacio »Lula« da Silva.

Der Senegal selbst ist zwar arm, unterstützt aber solche Veranstaltungen. Erst vor einem Monat fand hier in Dakar das »Festival der schwarzen Kulturen« statt – die dafür notwendige Infrastruktur wurde neu geschaffen. Aber ich glaube, daß sich die Gesamtkosten in Grenzen halten: Viele Organisation geben Zuschüsse, die Universität Dakar hat Räume zur Verfügung gestellt. Auch die Unterbringung ist geregelt: Viele Teilnehmer sind in Ordensgemeinschaften untergekommen, andere haben Privatzimmer gefunden.

Welche Impulse erhoffen Sie sich von diesem Weltsozialforum?

Tunesien und Ägypten haben es vorgemacht: Ich hoffe darauf, daß hier ein neues Vertrauen entsteht: Darauf, daß man etwas bewegen kann. In Nordafrika ist deutlich geworden, daß auch anscheinend mächtige Regierungen ins Wanken geraten können. Und mit dieser Botschaft werden wir in unsere Heimatländer nach Lateinamerika, Europa, Afrika und Asien zurückkehren. Wir haben zwar immer viel geredet und jede Menge Lösungsansätze erarbeitet – wir müssen uns jetzt aber daran machen, die Machtverhältnisse zu ändern.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 8. Februar 2011


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