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Die Wolfowitz-Provokation: Nun ist Europa gefragt

Die Weltbank und die Alternativen Europas

Von „unangemessen“ (Jeffrey Sachs) und „ungeeignet“ (VENRO) über „verheerend“ (Michael Müller/SPD) und „inakzeptabel“ (Thilo Hoppe/B90/Die Grünen) bis zu „schockierend“ (International Rivers Network) reichten die Reaktionen auf die Nominierung von Paul Wolfowitz zum Kandidaten für das Präsidentenamt bei der Weltbank. Was den einen als „Schlag ins Gesicht Europas“ (so ein Diplomat) erschien, war für die anderen eine „Provokation der US-Regierung gegen die Dritte Welt“ (so ein ägyptischer Journalist). Die Europäer müssen diesen „gezielten Affront“ (taz) nicht hilflos hinnehmen, argumentiert Rainer Falk.
Wir dokumentieren seinen Artikel aus dem "Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung" (März 2005) sowie eine Erklärung der Vorsitzenden des Entwicklungs-Komitees (Development Committee) des Europäischen Parlaments (englisch).

Von Rainer Falk*

Der kürzlich erschienene Bericht der Afrika-Kommission von Tony Blair wartet in puncto IWF und Weltbank mit einer Schlußfolgerung auf, die von der entwicklungspolitischen Gemeinde bislang kaum zur Kenntnis genommen wurde: Wenn die beiden Bretton-Woods-Institutionen den Reformbedarf, der sich vor ihnen auftürmt, nicht zügig erkennen und umsetzen, dann müßte die internationale Öffentlichkeit zu der Schlußfolgerung kommen, daß IWF und Weltbank in einer Welt nach dem Ende des Kalten Krieges und der Apartheid und nach dem 11. September „in wachsendem Maße irrelevant“ werden.

Wenn sich die USA mit der Nominierung des missionarischen Eiferers und bellizistischen Hardliners Paul Wolfowitz zum Weltbank-Präsidenten durchsetzen, könnten derartige Prophezeiungen schneller als erwartet Wirklichkeit werden. Denn die Personalie verstärkt nicht nur allenthalben den Eindruck, daß die USA die wichtigste Entwicklungsinstitution der Welt noch stärker als bisher zur Durchsetzung geostrategischer Interessen unlilateral instrumentalisieren werden. Sie widerspricht auch an sich schon diametral dem Erfordernis, das „demokratische Defizit“ der Bretton-Woods-Zwillinge zu beenden, wozu - nicht nur nach den Vorstellungen der Afrika-Kommission – die Beendigung des anachronistischen Zustands gehört, daß die Top-Jobs jeweils unter Amerikanern und Europäern aufgeteilt werden, während der Rest der Welt leer ausgeht.

Die zwei Optionen der Europäer

Um der damit vorprogrammierten weiteren Delegitimisierung der Weltbank gerade in den Augen der Empfängerländer der Weltbank-Kredite im Süden zu begegnen, haben die Europäer zwei Optionen. Diese schließen sich gegenseitig nicht grundsätzlich aus, müssen aber auch nicht von vornherein als komplementär gedacht werden: Die Europäer könnten (1) versuchen, jetzt, sozusagen in letzter Minute, das Steuer herumzureißen. Sie können (2) aber auch mittel- und längerfristig Kurs auf eine eigenständige Alternative zu der von den USA dominierten Weltbank und ihrer Politik nehmen.

Zu der ersten Option würde gehören, unverzüglich deutlich zu machen, daß die Kandidatur von Wolfowitz unter den europäischen Regierungen keine Unterstützung findet. Da die Europäer über rund 30% der Stimmrechte in der Weltbank verfügen und sich auch unter den Entwicklungsländern die Begeisterung über den amerikanischen Personalvorschlag in Grenzen hält, wären die objektiven Voraussetzungen für eine Blockierung der Wahl von Wolfowitz nicht schlecht. Diesseits der Schwelle eines Vetos wäre denkbar, das Besetzungsverfahren neu zu eröffnen, wie der Entwicklungsausschuß des Europäischen Parlaments in einer Resolution vorgeschlagen hat (siehe Kasten weiter unten), zumindest aber es genauso zu machen wie vor ein paar Jahren die Amerikaner, als sie den deutschen Kandidaten für den Geschäftsführenden Direktor des IWF, Caio Koch-Weser, schon im Vorfeld abgelehnt haben, wie die ehemalige britische Entwicklungsministerin Clare Short sofort vorschlug.

Die aktuellen Voraussetzungen für ein gemeinsames Nein sind jedoch eher schlecht, weil die Europäer versäumt haben, nach den Erfahrungen um die Besetzung der IWF-Spitze zügig und nachdrücklich die Durchsetzung neuer Verfahrensregeln für die Besetzung der Führungspositionen in den Bretton-Woods-Zwillingen zu betreiben. Hinzu kommt, daß sich ein großer Teil der europäischen Politiker von der fragwürdigen Furcht leiten lassen wird, der junge „Frühling“ in den atlantischen Beziehungen könnte durch ein Nein in Sachen Wolfowitz beschädigt werden – als ob nicht dieser Fall gerade zeigen würde, daß die US-Regierung in der zweiten Amtsperiode Bushs keineswegs zu einer „sanften“ Personalpolitik gefunden hat.

Diese Aussicht ist – zugegebenermaßen - nicht gerade ermutigend. Sie unterstreicht aber umso mehr die Notwendigkeit, im Sinne der zweiten Option mittel- und langfristig für den Aufbau einer europäischen Alternative zu arbeiten. Dafür liegen inzwischen mehr tragfähige Elemente auf dem Tisch, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Jedenfalls nehmen die einschlägigen Plädoyers (offen und hinter vorgehaltener Hand) seit einiger Zeit bemerkenswert zu.

Die Zeit ist reif

In der letzten Woche haben – noch vor dem Wolfowitz-Aplomb – zwei Beobachter in diese Richtung argumentiert, die nicht gerade unbedeutende Stimmen repräsentieren. In einem Le-Monde-Artikel hat der Generaldirektor der Agence française de développement, Jean-Michel Severino, beklagt, daß die großen Debatten über entwicklungspolitische Strategien zu selten auf unserer Seite des Atlantiks geführt werden und daß das Gewicht der USA in den Bretton-Woods-Organisationen weder durch ein gemeinsames und einheitliches Auftreten Europas in diesen Institutionen kompensiert werde noch durch die Verfügbarkeit einer eigenständigen Forschungs- und Beratungskapazität, die mit der Weltbank und amerikanischen Einrichtungen Schritt halten könnte. Und dies obwohl Europa (die EU-Kommission und die Mitgliedsländern zusammengenommen) heute schon 47% der weltweiten Entwicklungshilfe aufbringt.

Bei der Besprechung des erwähnten Berichts der Afrika-Kommission („Our Common Interest“) kam der Chefkommentator der Financial Times, Martin Wolf, auch auf die Frage zu sprechen, was denn wäre, wenn die USA sich der dort geforderten Aufstockung der entwicklungspolitischen Finanzmittel verweigerten. Dann sollten die Europäer die rund 25 Mrd. Dollar pro Jahr alleine schultern. Dies sei schließlich weniger als 1% des Bruttosozialprodukts der Industrieländer – ein Drittel dessen, was pro Jahr allein im Irak ausgegeben werde, und ein Fünzehntel dessen, was die Industrieländer für landwirtschaftliche Subventionen aufbringen. Wolf: „Die Frage ist nicht, ob wir uns das Geld leisten können, sondern ob wir uns es leisten können, es nicht aufzubringen.“

Der Zeitpunkt für die Frage nach den europäischen Alternativen zur US-dominierten Weltbank ist mit der Wolfowitz-Nominierung nicht nur definitiv gekommen, er ist auch nicht der schlechteste. Das Projekt des neuen EU-Kommissars für Entwicklungspolitik, Louis Michel, bis Ende dieses Jahres eine neue entwicklungspolitische Grundsatzerklärung der EU vorzulegen und in deren Beratung breite zivilgesellschaftliche Kreise einzubeziehen, ist eine gute Gelegenheit, auch die die europäische Position in und zur Weltbank zur Sprache zu bringen. Spannend wird es schon, ob Wolfowitz die Einladung Michels annimmt, in Brüssel seine entwicklungspolitischen Vorstellungen zu erörtern.

Welche Rolle für die EIB?

Zur Frage nach den europäischen Alternativen gehört nicht zuletzt auch die nach der künftigen entwicklungspolitischen Rolle der Europäischen Investitionsbank (EIB). Laut ihrem Geschäftsbericht von 2003 ist die EIB mit genehmigten Darlehen von über 46 Mrd. Euro heute schon die größte multilaterale, quasi-öffentliche Investitionsbank der Welt. Allerdings fließt das Gros dieser Mittel traditionell in Länder der EU und die Beitrittsländer (um dort im Sinne des Regionalausgleichs Investitionslücken zu füllen), während auf den Süden des Globus nicht einmal 10% der Darlehensvergabe entfällt. Von den Ländern des Mittelmeerraums einmal abgesehen, ist das Profil der Bank in Asien oder Lateinamerika, ja selbst in Afrika nur sehr schwach. Doch das könnte sich ändern.

Auch konzeptionell weist die EIB einige interessante Besonderheiten auf. Im Unterschied zur Weltbank verzichtet sie auf eine ausladende Kreditkonditionalität die weit in das wirtschaftspolitische Mikromanagement der Nehmerländer hineinregiert – eine Unsitte der Weltbank, die die Afrika-Kommission gerade wieder zu Recht kritisiert hat. In ihrer Projektpolitik ist auch die EIB nicht ohne Sündenfälle, aber jene systematische Verletzung von Menschenrechten, wie sie mit den Großprojekten der Weltbank oftmals verbunden ist, wird man hier nicht finden.

So wäre es denn durchaus interessant, verstärkt über die Frage nachzudenken, ob die EIB – in Kooperation mit der Entwicklungsagenturen der Mitgliedsländer und auch der regionalen Entwicklungsbanken im Süden – nicht nach und nach zu der großen Entwicklungsbank ausgebaut werden könnte, die der Europäischen Union heute noch fehlt. Je mehr die Weltbank unter einem Präsidenten Wolfowitz ins Fahrwasser der Geopolitik der USA geriete, desto zwingender würde sich diese Frage stellen.

* Rainer Falk ist Herausgeber des "Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung".
Siehe (mit weiteren Links) im Internet: www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org



Luisa Morgantini
Chair of the Development Committee of the European Parliament
on behalf of the Development Committee

to the
  • European Directors in the Board of the World Bank and their respective national Ministries
  • US Director in the Board of the World Bank and the Secretary of the US Treasury
  • European Commission
  • Luxembourg Presidency of the European Union
Declaration on the occasion of the nomination of the candidate of the United States of America for President of the World Bank

On March 15, US-President George Bush announced that he has nominated Mr. Paul Wolfowitz to become the new President of the World Bank. If tradition is followed the Board of Directors of the World Bank is likely to approve Mr. Wolfowitz as the incoming President of this institution very soon.

Members of the Development Committee of the European Parliament note with great concern that the selection process of the chief executive officer of the most important international development institution lacks minimal requirements for legitimate governance. We encourage European governments to ask the US to open up the process to accept other candidates.

The President of the leading institution for global development finance and policy should have intimate knowledge of development issues, an excellent understanding for cross-cultural conflict resolution, a convinced standing in support of multilateralism, and a personal engagement for social equality and poverty eradication.

We regret that the reform process for the selection of the chief officers of the World Bank and the International Monetary Fund, that originated with the rejection of the European candidate for the post of IMF Managing Director, has never been completed by the respective Boards of both Bretton Woods institutions. However, we recognize that the 2004 selection process of the chief officer of the IMF has introduced some novelty procedures which we request the US Government as a minimum to take into account in the present selection process for the President of the World Bank.

In this sense, we remind
  • that the European Union in 2004 has presented two candidates for the post of the Managing Director of the IMF, with distinguished political profiles facilitating an informed choice regarding indications of future directions for the IMF
  • that the process of the selection of the final candidate has been done in a more transparent manner and in an appropriate timeframe, facilitating the input of the other shareholders
  • that the European candidate for the Managing Director of the IMF stood against a candidate nominated by another IMF member state, resulting in hearings of both candidates at the Board of the IMF and an indicative vote producing a majority for the European candidate.
We would urge the Government of the United States not to reverse this progress in the selection procedure, which represents only a minimum level of what is required in terms of transparency and democracy at the international level.

We remind the Government of the United States that it has agreed, together with the international community, in the frame of the Millennium Development Goals and the Final Declaration of the International High Level Conference on Financing for Development in Monterrey, to improve global partnership and strive for the principle of good governance at all institutional levels.

We ask the European Directors and all Board Directors in the World Bank to facilitate an open and transparent process of the selection of the President of the World Bank and to keep an open mind should any member of the World Bank want to bring forward its candidate.

We ask the next General Affairs and External Relations Council of 24 April to deliver a statement on this issue.




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