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Abschied von der verlängerten Werkbank

Internationale Arbeitsteilung stärker regionalisiert / Entwicklung und Endfertigung auch in Schwellenländern

Von Hermannus Pfeifer *

Der Hamburger Hafen ist ein guter Indikator für die Globalisierung. Schrumpfende Wachstumsraten beim Warenumschlag signalisieren Verschiebungen in der globalen Arbeitsteilung.

Klaus-Dieter Peters gehört zu den wenigen Akteuren, die über den eigenen Hafenrand hinausblicken. Und wenn der Chef der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) auch nur in einem Nebensatz auf die gebremste Globalisierung hinweist, hat das Gewicht. Die HHLA ist immerhin Hauptakteur in Europas zweitgrößtem Hafen. Wuchs in der Vergangenheit der Welthandel und damit die Schifffahrt 2,5 bis 3 Prozentpunkte schneller als die Weltwirtschaft, haben sich beide Entwicklungen seit dem Höhepunkt der Banken- und Finanzkrise angenähert. 2012 wuchs der Welthandel sogar langsamer als die Weltwirtschaft. Und in vielen Häfen blieb obendrein die saisonübliche Steigerung im Herbst aus. Der Grund: Die globale Arbeitsteilung re-regionalisiert sich – auf Kosten des Welthandels.

Die Veränderungen zeigen sich sogar im Solar-Zoll-Streit der EU mit China. Chinesische Unternehmen beherrschen inzwischen drei Viertel des EU-Solarmodulmarktes von knapp 30 Milliarden Euro – die großen Schwellenländer sind eben nicht mehr »die verlängerte Werkbank« der westlichen Welt für anspruchslose Billigprodukte. Statt volumenstarker Massengüter werden nun mehr handliche Hightech-Produkte über See transportiert. Davon profitieren neben abertausenden hiesigen Installateuren vor allem deutsche Industrieunternehmen in Maschinenbau und Chemie. Sie rüsten Chinas Fabriken aus und fertigen Vorprodukte für die Solarmodule. Viel wird weiterhin aus Deutschland exportiert. Doch ein wachsender Anteil wird vor Ort in eigenen Werken in China produziert!

So zeigt auch die im Juni von der OECD veröffentlichte Studie »Interconnected Economies – Benefiting from Global Value Chains« Differenzierungen, die in der öffentlichen Diskussion kaum beachtet werden. So gilt unter Managern als effizient nicht mehr unbedingt die zentrale Endfertigung aus Vorprodukten, die aus vielen Ländern geliefert wurden, mit anschließendem Export. Stattdessen werden Design, Produktion, Montage, Marketing oder auch der Vertrieb von Dienstleistungen und Produkten regionalisiert: Dort wo der Markt ist, wird auch möglichst viel hergestellt.

So wurde China erstmals 2011 der größte Markt für die deutsche Automobilindustrie. Lange waren vor allem Wagen aus Deutschland nach Fernost ausgeführt worden. Heute werden nur noch 285 000 Neuwagen, meist Luxuskarossen, hierzulande hergestellt, aber 2 900 000 Stück vor Ort in China produziert und verkauft. Auch BASF aus Ludwigshafen will zukünftig vor allem in Asien wachsen. Zehn Milliarden Euro sollen bis 2020 im Asien-Pazifik-Raum investiert werden – 75 Prozent der Vorprodukte sollen dann lokal bezogen werden.

Kosten sparen will auch Siemens. Vor allem aber wollen die Münchner ihre Chancen durch eine tiefere Verankerung in den hart umkämpften lokalen Märkten erhöhen: So soll nach einer Vereinbarung mit der südkoreanischen Regierung im März das asiatische Projektgeschäft von Siemens für den Bau von Kraftwerken – das bislang von Erlangen und Wien aus abgewickelt wurde – nach Korea verlagert werden. Fertigungs- und Entwicklungskapazitäten werden von europäischen und nordamerikanischen Unternehmen auch in Wachstumsregionen Südamerikas und den Mittleren Osten verlagert.

Die neue Entwicklung wird von der Nachfrageseite gesteuert, nicht von der Angebotsseite! Die Globalisierung 2.0 findet nicht auf einer Einbahnstraße statt. Dank der wachsenden Industrialisierung und dem Rohstoffboom drängen Konzerne aus den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China auch »gen Westen«. Als Wasserscheide der neuen Entwicklung könnte der Volvo-Deal gelten: 2010 zahlte der chinesische Konzern Geely für den schwedischen Autobauer 1,3 Milliarden Dollar an den US-Konzern Ford. In Deutschland verdoppelte sich laut der Unternehmensberatung Ernst & Young nahezu die Zahl der ausländischen Investitionsprojekte seit 2008 auf 624. Weltweit gelten neben China und Brasilien, Russland und Indien als attraktivste Investitionsstandorte die Vereinigten Staaten, Deutschland, Polen und Großbritannien. Dabei scheint auch hier die Zeit großer Industrieprojekte vorbei zu sein. »Die Investitionsprojekte werden tendenziell kleiner«, sagt ein Sprecher von Ernst & Young.

Der ganz große Globalisierungs-Hype dürfte also vorbei sein. Dafür spricht auch die Wachstumsabschwächung in Schwellenländern, wie wir sie aus Westeuropa, Nordamerika und Japan schon länger kennen. In Peking stellen sich Partei und Regierung auf ein »mittleres bis hohes«, nicht mehr auf ein »hohes« Wachstum ein. Und in Brasilien und Indien, den anderen Hoffnungsträgern der Globalisierung, kann das gebremste Wirtschaftswachstum mit der Bevölkerungsentwicklung kaum noch Schritt halten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. Juli 2013


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