Staat sitzt in den Startlöchern
In Wissenschaft und Politik wird über Globalisierungsende nachgedacht
Von Rudolf Stumberger *
Globalisierung - dieser Begriff beherrscht seit annähernd zwei
Jahrzehnten die wirtschaftliche und sozialpolitische Debatte. Zunehmend
glauben Wissenschaftler und Politiker, dass die Globalisierung
gescheitert ist.
»Die Globalisierung ist nicht unumkehrbar« oder »So scheitert die
Globalisierung« sind nur zwei Beispiele für aktuelle Überschriften in
Wirtschaftszeitungen, die eine Umkehrung des Trends der vergangenen
Jahre nahelegen. So mehren sich für Eckard Bolsinger, wissenschaftlicher
Leiter des Hamburger Internationalen Instituts für Politik und
Wirtschaft Haus Rissen, die Indizien für ein Ende der Propagierung des
Freihandels und für eine verstärkte Intervention des Staates.
So schränken die USA die Übernahme von sicherheitsrelevanten Industrien
und Branchen durch ausländische Firmen, etwa aus dem arabischen Raum und
aus China, ein. Erst kürzlich wurde so die Übernahme eines
Hafendienstleisters unterbunden. Auch Frankreich und Spanien bedienen
sich eines neuen Protektionismus, um die feindliche Übernahme von
nationalen Schlüsselindustrien zu verhindern. So erstellte die
französische Regierung unter dem Schlagwort des Wirtschaftspatriotismus
eine Liste von eigenen strategischen Industriebereichen, in denen
ausländische Beteiligungen erschwert oder gar unmöglich sein sollen. In
Spanien verhinderte die Regierung den Aufkauf eines nationalen
Energiekonzerns.
Protektionismus wächst
Für Bolsinger ist der internationale Handel keine Kraft, die uns alle
der wirtschaftlichen Einheit der Welt ein Stück näher bringt, sondern
auch ein Machtspiel, in dem sich wirtschaftliche mit strategischen
Interessen verbinden. Sein Fazit: »Wir haben es mit einem Ende der
Globalisierung zu tun, der Protektionismus wird stärker.« Freilich ist
Globalisierung und ein Ende dieser Globalisierung an sich nichts
grundsätzliche Neues, wie Knut Borchardt, emeritierter Professor für
Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität München, darlegt.
Wanderungen nicht neu
Das Volumen des internationalen Handels nahm von 1870 bis zu Beginn des
Ersten Weltkrieges 1914 schätzungsweise um jahresdurchschnittlich 3,5
Prozent zu. Neuseeländischer Wein in deutschen Gläsern ist zwar relativ
neu, doch bereits vor 1914 gab es neuseeländische Butter in Europa und
schon seit 1870 transportierten Kühlschiffe Rinderhälften aus
Argentinien zu den europäischen Verbrauchern. Auch die Arbeitsmärkte
waren seinerzeit längst international: Mehr als 60 Millionen Menschen
wanderten nach Übersee aus und auch innerhalb Europas gab es große
Wanderströme zu neuen Arbeitsplätzen. Mit dem Ersten Weltkrieg kam diese
Globalisierung an ihr Ende, mit der Weltwirtschaftskrise wurden die
Ökonomien nationaler. Den amerikanischen Präsidenten interessierte
damals nur das Schicksal der eigenen Wirtschaft, erinnert Borchardt. Die
USA waren es auch, die sich lange des Protektionismus bedienten, um ihre
Wirtschaft zu schützen. Gleiches tun heute Staaten mit einem
»autoritären Kapitalismus«, wie es Bolsinger benennt. Damit ist gemeint,
dass Staaten wie Russland und China sich zwar der Vorteile des
Freihandels bedienen, aber den Aufbau von wettbewerbsfähigen
Schlüsselindustrien massiv durch den Staat fördern. Für Ulrich Menzel,
Professor für Internationale Politik an der TU Braunschweig, stehen die
asiatischen Staaten für ein Modell eines »bürokratischen
Entwicklungsstaates«. Sie setzen auf die begleitende Rolle des Staates
wie schon lange zuvor etwa Japan - denn eine liberale freihändlerische
Politik nutze, so Menzel, immer nur denjenigen, die an der Spitze stehen.
Skepsis gegen Freihandel
Das waren nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem die USA, doch inzwischen
mehren sich dort die Stimmen, die neben sicherheitspolitischen
Erwägungen auch aus wirtschaftlichen Gründen nach einem Ende der
Globalisierung rufen. Die derzeitigen demokratischen
Präsidentschaftskandidaten stehen Freihandelsabkommen skeptisch
gegenüber, denn das Handelsdefizit der USA ging mit dem dramatischen
Abbau von Industriearbeitsplätzen einher. Immer mehr wird das alte
liberale Dogma in Frage gestellt, demzufolge freier Handel sich zum
Wohle aller auswirken solle.
In sozialen Verwerfungen und Spannungen sieht auch Eckard Bolsinger den
Grund für die Rückkehr der Politik auf das Terrain der Ökonomie. Denn
Globalisierung habe für unterschiedliche Länder und für unterschiedliche
Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Auswirkungen. Es gebe Gewinner und
Verlierer, Freihandel bedeute eben auch, dass sich die Schere zwischen
Arm und Reich weite. Wenn die Verteilungskämpfe schärfer werden, dann
trete aber die Politik wieder verstärkt auf den Plan. Bolsinger plädiert
angesichts der Exporterfolge von Staaten wie China für eine »defensive
Industriepolitik«, die heimische Kernindustrien und Arbeitsplätze
schütze. Auch Politikwissenschaftler Menzel befürwortet aktive
Industriepolitik und will das geistige Eigentum im
Hochtechnologiebereich schützen - die Globalisierung scheint in diesen
wissenschaftlichen Einschätzungen in der Tat an ihr Ende zu kommen.
* Aus: Neues Deutschland, 5. August 2008
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