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Ohne Schuldenerlaß keine Armutsreduktion

Auch nach der Jahrestagung von IWF und Weltbank bleibt alles beim Alten - UNCTAD sieht afrikanische Länder in der Zinsfalle - Attac attackiert Eichel

Am 2. und 3. Oktober fand in Washington ein Treffen von Weltbank und IWF statt, bei dem es u.a. auch um die Frage eines Schuldenerlasses für die Länder der Dritten Welt ging (hier geht es zu ersten Ergebnissen).
Im Folgenden dokumentieren wir:
  • einen Artikel von Wolfgang Pomrehn über das Ergebnis des Gipfels,
  • einen Beitrag von Marty Logan, Montreal, über die Situation der afrikanischen Staaten "in der Zinsfalle" in Deutsch und im englischen Original,
  • sowie eine Presseerklärung von Attac, die sich vor allem mit der Haltung des deutschen Finanzministers Hans Eichel befasst.


Schuldeneintreiber lassen nicht locker

Von Wolfgang Pomrehn

Bei IWF und Weltbank bleibt alles wie gehabt: Arme Länder stöhnen auch nach der Jahrestagung unter der Last kaum rückzahlbarer Kredite

Um die sogenannten Millenniumsziele der Vereinten Nationen ist es schlecht bestellt. Bis 2015 soll die Armut, das heißt die Zahl jener Menschen, die mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen müssen, halbiert sein. So hatte es seinerzeit feierlich die UN-Vollversammlung im Jahre 2000 beschlossen. »Wenn wir so weitermachen«, meint hingegen der britische Finanzminister Gordon Brown, »wird die Armut auch in 150 Jahren nicht halbiert sein«. Der Schatzkanzler Ihrer Majestät hatte am Wochenende in Washington vergeblich auf der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) die Vorschläge seiner Regierung zum Schuldenabbau unterbreitet.

Besonders hatte er dabei die 42 sogenannten HIPC-Staaten (Highly Indebted Poor Countries, hochverschuldete arme Länder) im Auge, für die seit einigen Jahren Teilerlaßprogramme laufen. Diese entlassen die Länder jedoch nicht aus der Schuldenabhängigkeit, sondern reduzieren die Verbindlichkeiten nur so weit, daß der Schuldendienst für die schwachen Volkswirtschaften der betroffenen Länder gerade noch leistbar bleibt. Oder nicht einmal das: Der jüngste Weltbank-Bericht über die HIPC-Initiative zeigt, daß selbst jene Länder, die bereits Erlaß im Rahmen dieses Programms erhalten haben, noch immer unter Auslandsschulden leiden, die 150 Prozent und mehr ihrer jährlichen Exporte entsprechen. Insgesamt sind die HIPC-Länder mit etwa 200 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet, was 8,5 Prozent der Verbindlichkeiten der Entwicklungsländer ausmacht.

Brown hatte daher vorgeschlagen, die Schulden dieser Länder bei der Weltbank ganz zu streichen. Großbritannien sei bereit, zehn Prozent der Kosten zu übernehmen. In der Runde der G 7, das heißt der führenden Industrienationen, hatte er sich damit nicht durchsetzen können. Damit ist die britische Initiative zunächst gescheitert, denn der erlauchte Kreis kontrolliert die beiden Washingtoner Institute im wesentlichen: Bei der Weltbank verfügen die G-7-Staaten über 42,97 Prozent der Stimmen und beim IWF über 45,71 Prozent.

Während die US-Regierung für den britischen Vorstoß offen war, aber eine politische Auswahl der Begünstigten wünschte – zum Beispiel schlägt Washington einen 90prozentigen Schuldenerlaß für den Irak vor – trat vor allem Berlin als Bremser auf. Bundesfinanzminister Hans Eichel hatte bereits im Vorfeld der Tagung klargemacht, daß er keinen zusätzlichen Cent locker machen werde.

Bei Solidaritätsgruppen stieß die Blockadehaltung auf heftige Kritik: »Es ist empörend, daß nicht einmal angesichts der AIDS-Krise die G 7 in der Lage sind, Schulden zu streichen«, meint zum Beispiel Marie Clarke von Jubilee USA, einem Zweig einer internationalen Kampagne, die den Erlaß der Schulden der Entwicklungsländer fordert. Besonders viele afrikanische Staaten, die von der AIDS-Pandemie stark betroffen sind, gehören zu den HIPC-Staaten. Deshalb beteiligten sich auch in diesem Jahr afrikanische Aktivisten an den Protesten gegen die Jahrestagung, wie Jack Jones Zulu aus Sambia. Auf einer Kundgebung beschrieb er, wie die IWF-Strukturanpassungsprogramme in seinem Land Bildungs- und Gesundheitswesen zerstören. Die Schulden seien »illegitim« und »eine neue Form des Kolonialismus«.

Unterdessen reagieren die Herren der Welt besonders empfindlich, wenn ein Land seine Schuldenkrise selbst in die Hand nimmt und die Sanierung der eigenen Wirtschaft über das Wohl der Gläubiger stellt. Argentinien wurde in Washington von den G-7-Regierungen mit harschen Worten aufgefordert, seine Schulden wieder zu bedienen. Hilfe vom IWF gäbe es erst, wenn 80 Prozent der privaten Gläubiger einem Umschuldungsprogramm zustimmen. Hintergrund: Argentinien hat 2001 die Bedienung seiner Staatsanleihen in Höhe von rund 100 Milliarden US-Dollar ausgesetzt und verlangt von den privaten Zeichnern, daß sie auf etwa 80 Prozent ihrer Forderungen verzichten.

Aus: junge Welt, 5. Oktober 2004

Afrikanische Staaten in der Zinsfalle

UNCTAD-Bericht vorgelegt: Ohne Schuldenerlaß keine Armutsreduktion. Subsahara-Länder besonders betroffen

Von Marty Logan, Montreal (IPS)

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hat in einem neuen Bericht einen vollständigen Schuldenerlaß für die ärmsten afrikanischen Staaten gefordert. Sollte sich »die Welt« nicht zu diesem Schritt entscheiden können, seien die Elendsländer in Afrika außerstande, die Zahl der Armen bis 2015 auf die Hälfte zu reduzieren, warnte die UN-Organisation erneut. Dieses wiederum sei die größte Gefahr für die Umsetzung eines der Kernziele unter den acht sogenannten Millennium Development Goals (MDG), die bis 2015 signifikante Verbesserungen in den Bereichen Armut, Kinder- und Müttersterblichkeit, Schulbildung, Gleichberechtigung, Gesundheit, Umwelt und Entwicklungspartnerschaft vorschreiben. Veröffentlicht wurde der UNCTAD-Bericht kurz vor dem Ministertreffen der sieben wichtigsten kapitalistischen Industriestaaten (G 7) und der Herbsttagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Washington am Wochenende, auf denen das Thema Schuldenerlaß eine große Rolle spielte.

Der UN-Organisation zufolge haben die afrikanischen Staaten zwischen 1970 und 2002 540 Milliarden Dollar an Krediten aufgenommen und hatten trotz »Abzahlung« von 550 Milliarden Dollar an Hauptschuld und Zinsen Ende 2002 noch immer Verbindlichkeiten in Höhe von 295 Milliarden Dollar.

Noch gravierender ist die Situation für die Gruppe der südlich der Sahara liegenden Staaten auf dem Kontinent. Sie haben von den kapitalistischen Gläubigern 294 Milliarden Dollar überwiesen bekommen, die »Schuld« mit 268 Milliarden Dollar bedient und müssen noch immer 210 Milliarden Dollar abzahlen. »Jeden, der dies liest, muß die Absurdität auffallen«, kommentierte UNCTAD-Generalsekretär Carlos Fortin in einem Interview. Die Schuldenlast habe Afrika in einen Teufelskreis gespannt, der durchbrochen werden müsse, wenn dem Kontinent je ein Platz in der Weltwirtschaft zukommen solle.

UNCTAD empfiehlt vorerst ein Moratorium für Schuldendienste und die Einrichtung einer unabhängigen Expertenrunde. Sie soll die Schuldenfrage unter anderem mit Blick auf die Millenniumsziele neu bewerten. Kritik äußert die UN-Organisation mit Sitz in Genf in diesem Zusammenhang an der vor acht Jahren von Weltbank und IWF ins Leben gerufenen Schuldeninitiative für hochverschuldete Armutsländer (HIPC). Sie sollte helfen, die Verbindlichkeiten von 42 Staaten auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Nach UNCTAD-Schätzung haben allerdings nur 40 Prozent der 23 Staaten, die bis Ende 2003 eine Diskussion über ihre Schulden erreicht haben, eine Chance, den Schuldenberg bis 2020 auf ein zu bewältigendes Maß zu senken.

Ähnlich kritische Töne schlägt der am 29. September veröffentlichte Jahresbericht der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) an. Er fordert von den kapitalistischen Staaten des Nordens die Einlösung von Hilfszusagen und die Etablierung von fairen Handelsbeziehungen, um Afrika zu einem Teil der globalisierten Welt zu machen.

Dem Papier zufolge hat Afrika 2002 22,2 Milliarden Dollar an »Entwicklungshilfe« erhalten. Diese Summe liege nicht nur deutlich unter den 26,6 Milliarden Dollar von 1990, sondern sei zudem fast vollständig vom Schuldendienst aufgesaugt worden. Mit 22 Milliarden Dollar hätten die afrikanischen Staaten in jenem Jahr ihre Schulden bedient.

Aus: junge Welt, 5. Oktober 2004

"The debt burden of Africa is part of a vicious circle"

by Marty Logan, Inter Press Service News Agency

MONTREAL, Sep 30 (IPS) - Unless the debts of the poorest African nations are completely forgiven, those countries stand no chance of achieving the world's development goals by the target date of 2015, says a United Nations report released Thursday.

It was published one day before ministers from the seven most industrialised countries (the G7) are scheduled to meet in Washington, where they will also participate in weekend meetings of the World Bank and International Monetary Fund (IMF) in which debt cancellation, long urged by international non- governmental organisations (NGOs), is expected to be a main topic.

The issue was stirred up Sunday when a British official announced his country will assume 10 percent (equal to 180 million dollars a year) of the debt owed to the World Bank and African Development Bank by the planet's poorest nations.

Other G7 nations are said to be reluctant to pay the debts from their own treasuries, and a U.S. proposal would have the IMF finance loan forgiveness by selling some of its huge gold reserves.

In its report the U.N. Conference on Trade and Development (UNCTAD) says the cost of servicing their debt means the African countries will not be able to attain the seven-eight percent growth it is estimated they must hit in order to halve poverty by 2015, one of the targets of the Millennium Development Goals (MDGs).

All but one of the MDGs, adopted by the international community in 2000, set targets for improving basic development indicators: poverty, child mortality, primary education, maternal health, gender equality, HIV/AIDS and other diseases, and environmental sustainability, all by 2015. The eighth directs the world's rich countries to aid developing nations in their efforts.

According to UNCTAD, between 1970 and 2002 Africa received some 540 billion U.S. dollars in loans. But despite paying back close to 550 billion dollars in principal and interest, it still had a debt of 295 billion dollars at the end of 2002.

The situation was worse in sub-Saharan Africa, which received 294 billion dollars, paid 268 billion dollars to service its debt -- yet remained straddled with debt of some 210 billion dollars.

"To anybody who reads this ... it's just absurd. It's what (economist and U.N. advisor) Jeffrey Sachs -- who's no radical -- calls the odious part of debt," said UNCTAD Acting Secretary General Carlos Fortin.

"The debt burden of Africa is part of a vicious circle .. that must be broken before Africa can think seriously" about taking its place in the world economy, he added in an interview from New York.

The report recommends a moratorium on debt servicing and setting up an independent panel of experts to assess the sustainability of debt, based on realistic and comprehensive criteria, which includes meeting the MDGs.

Eight years ago, the World Bank and IMF set up a scheme designed to reduce the debts of 42 of the world's poorest nations to sustainable levels. Yet "heavily indebted poor African countries are still far from achieving sustainable debt levels" under the Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) plan, says UNCTAD.

It predicts that 23 nations that reached their "decision points," the stage at which creditors agree to consider debt relief, by the end of 2003 have only a 40 percent chance of attaining debt sustainability by 2020.

UNCTAD's argument is echoed in the 'Economic Report on Africa, 2004', issued Wednesday by the U.N. Economic Commission for Africa (ECA).

The document calls on rich nations to fulfil their aid pledges and to play fair in the trade arena so Africa can benefit fully from globalisation.

"In 2002, the 22.2 billion U.S. dollars Africa received in aid was lower than the 26.6 billion dollars received in 1990. Most of the benefits of aid are lost through debt servicing, which amounted to 22 billion dollars in 2002," says the report.

It applauds Washington's 2000 African Growth and Opportunity Act (AGOA) and the European Union's Everything But Arms initiative for opening up some sectors of the countries' economies to African goods, but points out that those gains are muted by northern nations' agricultural subsidies.

For example, cotton producer Mali lost an estimated 43 million dollars in revenues in 2001 because of subsidies to cotton producers in the developed world. "This is more than Mali received in aid that year," says the report.

"At the global level, priorities clearly lean away from Africa and developing regions," says ECA Executive Secretary KY Amoako in a news release. "Each year, 300 billion dollars supports farmers in rich countries, while less than one-sixth of that amount flows to poorer countries in the form of aid."

The document does not shy away from criticising African nations for their woeful economic performance. "They must do more to end conflicts, produce a better-trained and healthier workforce, improve economic and political governance and develop basic infrastructure. Peace remains a necessary prerequisite for growth," it argues.

Manufactured goods must also start to replace commodities as exports, says the commission, singling out Mauritius, South Africa, Namibia, and Tunisia as countries that have successfully shifted to selling more of such products.

But overall the ECA adopts a positive tone. "Despite Africa's slow progress towards the Millennium Development Goals, the overall message of the report is optimistic. In recent years, the continent has begun to recover from the 'lost decades' of the 1980s and 1990s," says an overview of the report.

More good news emerged in 2003, according to the commission. Africa registered the second-fastest rate of growth among developing regions, behind East and South Asia, and its countries recorded an average growth rate of 3.8 per cent, up slightly from 3.2 per cent in 2002.

The continent's current account deficit fell from 1.6 per cent of gross domestic product (GDP) in 2002 to 0.7 per cent in 2003, mainly due to higher oil and commodity prices and increased remittances from Africans working overseas, the report adds.

"Peaceful political transitions in Angola and the Democratic Republic of Congo (DRC) began to produce economic benefits. Angola attracted substantial foreign direct investment (FDI) during the year and GDP grew at over 7.5 percent. The DRC saw growth of over five percent."

Still, notes the document, only five of the continent's 55 nations -- Angola, Burkina Faso, Chad, Equatorial Guinea and Mozambique -- achieved the seven percent growth rate said necessary to reach the MDGs.

Source: http://ipsnews.net

"Rückfall in die Politik der totalen Blockade"

Attac kritisiert Hans Eichels Haltung beim IWF-Gipfel

Attac Deutschland, Pressemitteilung
Frankfurt, 4. Oktober 2004

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat scharfe Kritik an der Haltung von Finanzminister Hans Eichel bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank geübt. "Beim Thema Schuldenerlass hat Eichel besonders gemauert und sich als Oberbremser erwiesen", sagte Philipp Hersel vom Attac- Koordinierungskreis. "Das ist ein Rückfall in die Politik der totalen Blockade, die wir aus der Kohl-Ära kennen."

Eichel hatte bei der IWF- und Weltbank-Tagung am Wochenende in Washington die Forderung Großbritanniens nach zusätzlichen Mitteln für die Streichung von Schulden der ärmsten Länder strikt abgelehnt. "Die zaghaften Ansätze von Gordon Brown, die das ungelöste Schuldenproblem zumindest anerkennen, sind vom deutschen Finanzminister rücksichtslos torpediert worden", kommentierte Hersel.

Deutliche Kritik übt Attac auch an der Erklärung der G7-Finanzminister, die bei der IWF-Jahrestagung den Druck auf die argentinische Regierung erhöht haben, ihre Schulden zurückzuzahlen, die zu einem erheblichen Teil unter der Militärdiktatur aufgenommen wurden. "Dieser Schritt zeigt erneut die Dominanz der Gläubiger, die um jeden Preis ihr Geld zurückfordern", sagte Philipp Hersel. "Argentinien braucht stattdessen ein faires und transparentes Schiedsverfahren, das die sozialen Menschenrechte garantiert und dafür sorgt, dass die illegitimen Schulden gestrichen werden." Im Vorfeld des IWF-Gipfels hatten Attac und erlassjahr.de das Finanzministerium mit E-Mails und Postkarten aufgefordert, sich für eine solche Lösung einzusetzen.

Malte Kreutzfeldt
Pressesprecher Attac Deutschland


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