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Arundhati Roy: Feiertagsproteste stoppen keine Kriege

Rede der indischen Schriftstellerin auf dem 4. Weltsozialforum in Mumbai

Die Rede der bekannten Schriftstellerin Arundhati Roy beim Weltsozialforum in Indien (17.-21. Januar 2004) hat großes Aufsehen erregt. In der Presse hier zu Lande (19. Januar 2004) wurde herausgestrichen, dass Roy zum aktiven militärischen Widerstand gegen die US-Besatzung im Irak aufgerufen hätte. Dies veranlasste einige Vertreter von Attac oder von Friedensorganisationen, sich von Roy öffentlich zu distanzieren - wobei sie sich nur auf die über die Medien kolportierten Zitate der Schriftstellerin stützten. Wer die ganze Rede im Wortlaut liest, kommt zu einem anderen Urteil. Die zentrale Passage hierzu lautet: "Die Frage ist nicht, den Widerstand in Irak gegen die Besatzung zu unterstützen oder zu debattieren, wer genau zum Widerstand in Irak gehört ( Sind sie alte Baath-Killer? Sind sie islamische Fundamentalisten?) Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden." Dies ist alles andere als eine dirkete Parteinahme für den - sehr unterschiedlichen - "Widerstand" im Irak, sondern eine Aufforderung, den politischen Widerstand gegen jede Form von "Besatzung" weltweit zu unterstützen.
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Roy im Wortlaut. Die Übersetzung besorgte der Südasien-Korrespondent Hilmar König. Die "junge Welt" veröffentlichte die Rede in ihrer Ausgabe vom 20. Januar 2004. Die Originalfassung erschien in der indischen Zeitung "The Hindu" am 18. Januar 2004. Sie ist hier nachzulesen:
Arundhati Roy: Do turkeys enjoy thanksgiving?



Arundhati Roy:


In großen Städten Europas und Amerikas, wo solche Dinge noch vor ein paar Jahren nur geflüstert worden wären, sprechen Menschen nun offen von den guten Seiten des Imperialismus und von der Notwendigkeit eines starken Imperiums, um eine aufsässige Welt zu überwachen. Die neuen Missionare wollen Ordnung auf Kosten von Gerechtigkeit. Disziplin auf Kosten von Würde. Und Überlegenheit um jeden Preis. Gelegentlich werden einige von uns eingeladen, das Problem auf »neutralen Plattformen zu debattieren«, die von Medienkonzernen gestellt werden. Imperialismus debattieren ist ein bißchen wie das Für und Wider von Vergewaltigung abzuwägen. Was können wir dazu sagen? Daß wir so was wirklich vermissen?

Im Krieg gegen den Terror wird Armut mit Terrorismus vermischt

Jedenfalls ist neuer Imperialismus bereits über uns gekommen. Es ist eine remodellierte, modernisierte Fassung dessen, was wir einst kannten. Erstmals in der Geschichte hat ein einziges Imperium mit einem Waffenarsenal, das die Welt an einem Nachmittag auslöschen kann, komplette, unipolare wirtschaftliche und militärische Hegemonie. Es wendet verschiedene Waffen an, um unterschiedliche Märkte aufzubrechen. Es gibt kein Land auf Gottes Erden, das sich nicht im Fadenkreuz amerikanischer Marschflugkörper und IWF-Scheckbücher befindet. Argentinien ist das Modell für die Titelfigur des neoliberalen Kapitalismus, Irak hingegen das schwarze Schaf.

Arme Länder, die geopolitisch von strategischem Wert für das Imperium sind oder einen »Markt« haben, der privatisiert werden kann, oder um Gottes Willen wertvolle natürliche Ressourcen wie Öl, Gold, Diamanten, Kobalt, Kohle besitzen, müssen sich wie angeordnet verhalten, oder sie werden zu militärischen Zielen. Jene mit den größten natürlichen Reichtümern sind am meisten gefährdet. Sollten sie nicht bereitwillig ihre Ressourcen der Konzernmaschinerie ausliefern, werden zivile Unruhen initiiert oder Kriege vom Zaun gebrochen. In diesem neuen Zeitalter des Imperiums, da nichts mehr so ist wie es scheint, dürfen Manager interessierter Companies außenpolitische Entscheidungen beeinflussen. Das Zentrum für Öffentliche Integrität in Washington fand heraus, daß neun von 30 Mitgliedern des Ausschusses für Verteidigungspolitik der US-Regierung mit Unternehmen verbandelt waren, denen zwischen 2001 und 2002 Aufträge im Verteidigungssektor in Höhe von 76 Milliarden Dollar zugeschanzt wurden.

George Shultz, der frühere US-Außenminister, war Vorsitzender des Komitees für die Befreiung Iraks. Er sitzt auch im Aufsichtsrat der Bechtel-Gruppe. Über einen Interessenkonflikt im Kriegsfall gegen Irak befragt, sagte er: »Ich weiß nicht, ob Bechtel daraus besonderen Nutzen ziehen würde. Aber wenn dort Arbeit verrichtet werden muß, dann ist Bechtel der Firmentyp, der das machen könnte. Aber niemand betrachtet das als etwas, von dem man profitiert.« Nach dem Krieg schloß Bechtel einen Vertrag über 680 Millionen Dollar für die Rekonstruktion im Irak ab.

Diese brutale Blaupause ist immer wieder verwendet worden – quer durch Lateinamerika, Afrika, Mittel- und Südostasien. Das hat Millionen Menschenleben gekostet. Natürlich wird jeder Krieg des Imperiums zum gerechten Krieg erklärt. Das hängt zum großen Teil von der Rolle der Medienkonzerne ab. Es ist wichtig zu verstehen, daß Medienkonzerne nicht lediglich das neoliberale Projekt unterstützen. Sie sind das neoliberale Projekt. Das ist keine moralische Position, die sie sich ausgewählt haben, sondern strukturell bedingt. Es ist wesentlich für die Ökonomien, wie die Massenmedien arbeiten. Viele Nationen haben – ähnlich wie Familien – entsetzliche Geheimnisse. Deshalb haben es die Medien oft gar nicht nötig zu lügen. Was betont und was weggelassen wird, zählt.

Nehmen wir zum Beispiel an, Indien wäre als Ziel für einen gerechten Krieg ausgewählt worden. Der Fakt, daß 80 000 Menschen seit 1989 in Kaschmir getötet worden sind, die meisten von ihnen Muslime, und die meisten von ihnen durch indische Sicherheitskräfte (was einen Jahresdurchschnitt von ungefähr 6 000 ergibt); der Fakt, daß im März 2003 über 2000 Muslime auf den Straßen in Gujarat ermordet, daß Frauen von Gruppen vergewaltigt und Kinder bei lebendigem Leibe verbrannt und 150 000 Menschen aus ihren Heimen vertrieben wurden, während die Polizei und die Administration zuschauten und sich mitunter aktiv beteiligten; der Fakt, daß niemand für diese Verbrechen bestraft und die Regierung, die das überblickte, wieder gewählt wurde – all das würde perfekte Schlagzeilen liefern für internationale Zeitungen im Zulauf auf einen Krieg. Weiter wissen wir, daß unsere Städte von Marschflugkörpern dem Erdboden gleichgemacht würden, unsere Dörfer mit Stacheldraht umzäunt, US-Soldaten durch unsere Straßen patrouillieren würden und Narendra Modi, Pravin Togadia oder irgendein anderer populärer Eiferer zu besten TV-Sendezeiten sich – wie Saddam Hussein im US-Gewahrsam – ihr Haar nach Läusen durchsuchen und ihre Zahnfüllungen überprüfen lassen müßten.

Aber solange unsere »Märkte« offen sind, solange Enron, Bechtel, Halliburton, Arthur Andersen freie Hand gelassen wird, können unsere »demokratisch gewählten« Führer sorglos die Linien zwischen Demokratie und Faschismus verwischen. Die feige Bereitschaft unserer Regierung, die stolze Tradition der Blockfreiheit aufzugeben, ihr Drang an die Spitze der komplett Gebundenen (die Modephrase lautet »natürliche Verbündete«, zu denen Indien, Israel und die USA zählen) haben ihr Beinfreiheit gegeben, sich in ein repressives Regime zu verwandeln ohne Verlust ihrer Legitimität. Die Opfer einer Regierung sind nicht nur jene, die sie tötet und einkerkert. Auch jene müssen zu ihnen gerechnet werden, die enteignet, vertrieben und zu einem Leben in Hunger und Entbehrung verurteilt sind. Millionen Menschen sind durch »Entwicklungsprojekte« enteignet worden. In den vergangenen 55 Jahren haben in Indien durch Großdämme zwischen 33 und 55 Millionen Bürger ihre Siedlungsgebiete verloren. Sie haben keine Chance auf Gerechtigkeit.

In den letzten beiden Jahren gab es eine Serie von Zwischenfällen, bei denen die Polizei das Feuer auf friedlich Protestierende, meistens Dalits und Adivasi, eröffnete. Die Armen und besonders die Dalits und Adivasi-Gemeinschaften werden getötet, weil sie Forstland nutzen, und sie werden getötet, wenn sie die Nutzung von Forstland für Dämme, den Bergbau, Stahlwerke und andere »Entwicklungsprojekte« zu verhindern suchen. In nahezu jedem Fall, in dem die Polizei schoß, behauptete die Regierung, die Polizei sei durch Gewaltakte provoziert worden. Jene, auf die geschossen wurde, werden sofort als Militante abgestempelt.

Quer durchs Land hat man unschuldige Menschen, inklusive Minderjährige, nach dem Gesetz zur Verhinderung von Terrorismus eingesperrt und hält sie ohne Prozeß endlos fest. In der Ära des Krieges gegen Terror wird Armut hinterhältig mit Terrorismus vermischt. In der Ära von korporativer Globalisierung ist Armut ein Verbrechen. Protest gegen weitere Verarmung ist Terrorismus. Und nun sagt unser höchstes Gericht sogar, streiken ist ein Verbrechen. Kritik an den Gerichten ist selbstverständlich auch ein Verbrechen.

Wie der alte Imperialismus beruht auch der neue Imperialismus auf einem Netzwerk von Agenten, korrupten lokalen Eliten, die dem Imperium dienen. Wir alle kennen die schlimme Geschichte von Enron in Indien. Die damalige Regierung von Maharashtra schloß ein Abkommen über Stromlieferungen, die Enron Profite sicherten, die 60 Prozent des gesamten indischen Budgets für die landwirtschaftliche Entwicklung ausmachten. Einer einzigen amerikanischen Company wurde ein Profit garantiert im Äquivalent von Fonds zur Entwicklung der Infrastruktur für etwa 500 Millionen Menschen!

Cancun lehrte uns, internationale Allianzen zu schmieden

Anders als zu alten Zeiten muß der neue Imperialist sich nicht durch die Tropen schleppen, Malaria, Durchfälle und einen frühen Tod riskierend. Neuer Imerialismus kann über E-Mail ausgeführt werden. Die vulgären, klassischen Rassisten des alten Imperialismus sind überholt. Der Eckstein des neuen Imperialismus ist neuer Rassismus. (Hier folgt eine ausführliche Passage, in der Arundhati Roy ironisch Truthähne, die nicht zum US-Erntedankfest auf dem Festtisch landen, mit den neuen, »sorgfältig gezüchteten Truthähnen, den lokalen Eliten verschiedener Länder, einer Gemeinschaft reicher Immigranten, Investment-Bankern, Leuten wie Colin Powell oder Condoleezza Rice, einigen Sängern und Schriftstellern«, vergleicht, die sie unter Begünstigte im neuen Rassismus eingruppiert. »Die Millionen anderen verlieren ihre Jobs, werden aus ihren Wohnungen geworfen, bekommen Wasser und Strom abgedreht und sterben an AIDS«, sagt sie in diesem Kapitel.)

Teil des Projekts neuer Rassismus ist neuer Genozid. In dieser Ära neuer wirtschaftlicher Interdependenz kann neuer Genozid durch ökonomische Sanktionen gefördert werden. Das heißt, Bedingungen zu schaffen, die zum Massensterben führen, ohne daß man Menschen direkt töten muß. Dennis Halliday, von 1997 bis 1998 UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten in Irak (danach trat er angeekelt zurück), verwendete den Begriff Völkermord, um die Sanktionen gegen Irak zu beschreiben. Die Sanktionen, denen eine halbe Million Kinder zum Opfer fielen, stellten alle Bemühungen Saddam Husseins noch in den Schatten. In der neuen Ära ist Apartheid als formelle Politik antiquiert und unnötig.

Internationale Instrumente von Handel und Finanz steuern ein komplexes System von Handelsgesetzen und Finanzabkommen, die die Armen ohnehin in ihren Bantustans festhalten. Ihr ganzer Zweck besteht darin, Ungleichheit zu institutionalisieren. Warum sonst würden die USA das Produkt eines Textilherstellers in Bangladesch zwanzigmal höher besteuern als eins made in Großbritannien? Warum sonst produzieren Länder mit 90 Prozent des Weltkakaoanbaus nur fünf Prozent der Schokolade in der Welt? Warum sonst werden Kakao anbauende Länder wie die Elfenbeinküste und Ghana mit Besteuerung vom Markt gedrängt, wenn sie versuchen, ihren Rohkakao in Schokolade zu veredeln? Warum sonst fordern reiche Länder, die täglich über eine Milliarde Dollar für Agrarzuschüsse ausgeben, daß arme Länder wie Indien alle Agrarsubventionen, einschließlich der für Elektrizität, abbauen? Warum sonst stecken ehemalige Kolonien, die über mehr als ein Jahrhundert lang von den Kolonialregimes ausgeplündert wurden, in der Schuldenfalle genau dieser Regimes und zahlen ihnen 382 Milliarden Dollar pro Jahr zurück?

Aus all diesen Gründen war die Entgleisung der Handelsabkommen in Cancun so entscheidend für uns. Auch wenn unsere Regierungen versuchen, sich damit zu rühmen, wissen wir doch, daß dies das Resultat des Kampfes von vielen Millionen Menschen in sehr vielen Ländern über Jahre hinweg war. Was uns Cancun lehrte ist, daß, um wirklichen Schaden anzurichten und radikalen Wandel zu erzwingen, es für lokale Widerstandorganisationen von vitaler Bedeutung ist, internationale Allianzen zu schmieden. Von Cancun lernten wir die Bedeutung globalisierten Widerstands.

Keine einzelne Nation kann sich dem Projekt der korporativen Globalisierung aus eigener Kraft widersetzen. Immer wieder haben wir erlebt, daß die Helden unserer Zeit schrumpfen, wenn es um das neoliberale Projekt geht. Außergewöhnliche, charismatische Männer, Giganten in Opposition, werden machtlos auf der globalen Bühne, wenn sie Staatsoberhäupter werden. Ich denke hier an Präsident Lula von Brasilien. Lula war der Held des Weltsozialforums letztes Jahr. In diesem Jahr verwirklicht er eifrig die IWF-Richtlinien, reduziert Renten und entschlackt seine Arbeiterpartei von Radikalen. Ich denke auch an Südafrikas Expräsidenten Nelson Mandela. Innerhalb von zwei Jahren nach seinem Machtantritt machte seine Regierung einen Kniefall vor dem Gott der Marktwirtschaft. Sie führte ein massives Programm von Privatisierung und strukturellen Anpassungen ein, das Millionen Menschen ohne Heim, arbeitslos, ohne Wasser und Eletrizität hinterläßt.

Warum passiert das? Es macht wenig Sinn, sich an die Brust zu klopfen und betrogen zu fühlen. Lula und Mandela sind in jeder Beziehung großartige Menschen. Aber im Moment, da sie von der Opposition ins Regierungslager wechselten, wurden sie zu Geiseln eines ganzen Spektrums von Bedrohungen, die übelste davon die Drohung mit Kapitalflucht, die jede Regierung über Nacht zu Fall bringen kann. Anzunehmen, daß das persönliche Charisma und ein kampferfüllter Lebenslauf das korporative Kartell anknackst, bedeutet nicht zu verstehen, wie der Kapitalismus funktioniert oder wie Macht ausgeübt wird. Radikaler Wandel wird nicht durch Regierungen ausgehandelt, er kann nur durch Menschen erzwungen werden.

Wir müssen unsere Strategie des Widerstands diskutieren

In dieser Woche werden auf dem Weltsozialforum einige der besten Köpfe der Welt Ideen darüber austauschen, was um uns herum geschieht. Diese Konversationen schärfen unsere Vision über die Art von Welt, für die wir kämpfen. Das ist ein vitaler Prozeß, der nicht untergraben werden darf.

Dennoch besteht das Risiko, wenn auf Kosten wirklicher Aktion alle unsere Energien auf diesen Prozeß gerichtet werden, daß das WSF, das eine entscheidende Rolle in der Bewegung für globale Gerechtigkeit gespielt hat, zu einem Guthaben unserer Feinde wird. Wir müssen dringend unsere Strategien des Widerstands diskutieren. Wir müssen reale Ziele ins Visier nehmen und wirklichen Schaden anrichten. Gandhis Salzmarsch war nicht lediglich politisches Theater. Als in einem simplen Akt von Ungehorsam Tausende Inder zum Meer marschierten und dort ihr Salz gewannen, brachen sie das Gesetz der Salzsteuer. Das war ein direkter Schlag gegen den ökonomischen Unterbau des britischen Empires. Er war real. Während unsere Bewegung einige wichtige Siege errungen hat, dürfen wir gewaltlosen Widerstand nicht zu ineffektivem, wohlgefälligem politischen Theater verkümmern lassen. Er ist eine sehr kostbare Waffe, die ständig geschärft und justiert werden muß. Es darf nicht erlaubt werden, daß sie lediglich zum Spektakel, zu einer Fotomöglichkeit für die Medien wird.

Es war herrlich, als am 15. Februar vorigen Jahres zehn Millionen Menschen auf einer eindrucksvollen Demonstration öffentlicher Moral, zehn Millionen Menschen auf fünf Kontinenten gegen den Krieg in Irak marschierten. Es war wunderbar, aber es war nicht genug. Der 15. Februar war ein Wochenende. Niemand mußte einen Arbeitstag verpassen. Feiertagsproteste stoppen keine Kriege. George Bush weiß das. Die Selbstsicherheit, mit dem er die überwältigende öffentliche Meinung mißachtete, sollte uns allen eine Lehre sein. Bush glaubt, Irak kann okkupiert und kolonisiert werden, wie es mit Afghanistan geschieht, mit Tibet geschieht, mit Tschetschenien geschieht, wie es in Osttimor der Fall war und in Palästina noch der Fall ist. Er glaubt, daß alles, was er zu tun hat, ist, sich hinzuhocken und zu warten, bis die über Krisen berichtenden Medien, die dieses Thema bis auf die Knochen ausgeschlachtet haben, es fallenlassen und weiterziehen. Bald wird der Kadaver von den Bestseller-Charts rutschen, und wir, alle Empörten werden das Interesse daran verlieren. So jedenfalls hofft er.

Diese unsere Bewegung braucht einen großen, globalen Erfolg. Es ist nicht gut genug, Recht zu haben. Manchmal ist es wichtig, etwas zu gewinnen, wenn auch nur, um unsere Entschlossenheit zu testen. Um etwas zu gewinnen, müssen wir – alle, die sich hier und dort drüben bei Mumbai Resistance versammelt haben – in etwas übereinstimmen: daß es nicht eine überlappende, vorherbestimmte Ideologie braucht, in die wir unsere geschätzten, aufrührerischen argumentativen Selbsts hineinzwängen. Es bedarf keines bedingungslosen Untertanengehorsams gegenüber der einen oder anderen Form von Widerstand, um alles andere auzuschließen. Es könnte eine Minimalagenda sein.

Laßt uns den Blick auf Irak werfen

Wenn alle von uns wirklich gegen Imperialismus und gegen das Projekt des Neoliberalismus sind, dann laßt uns den Blick auf Irak werfen. Irak ist die unvermeidliche Kulmination von beidem. Zahlreiche Kriegsgegner haben sich seit der Gefangennahme Saddam Husseins zurückgezogen. Ist die Welt nicht besser ohne Saddam Hussein? fragen sie ängstlich.

Schauen wir der Sache ein für allemal ins Auge. Der Gefangennahme Saddam Husseins durch die US-Army zu applaudieren und deshalb im nachhinein ihre Invasion und Okkupation Iraks zu rechtfertigen, ist wie Jack the Ripper (den Schlächter) anzubeten, weil er den Boston-Würger ausgeweidet hat. Und das nach einem Vierteljahrhundert Partnerschaft, in der Schlächter und Würger ein gemeinsames Unternehmen betrieben. Es war ein innerbetrieblicher Streit. Sie waren Geschäftspartner, die sich wegen eines schmutzigen Deals entzweiten. Jack war der CEO, der Chief Exekutive Officer.

Wenn wir also gegen den Imperialismus sind, sollten wir dann darin übereinstimmen, daß wir gegen die US-Okkupation sind und daß wir glauben, daß die USA sich aus Irak zurückziehen und dem irakischen Volk Reparationen für die Kriegsschäden zahlen müssen? Wie beginnen wir mit unserem Widerstand? Beginnen wir mit etwas wirklich Kleinem. Die Frage ist nicht, den Widerstand in Irak gegen die Besatzung zu unterstützen oder zu debattieren, wer genau zum Widerstand in Irak gehört ( Sind sie alte Baath-Killer? Sind sie islamische Fundamentalisten?) Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden.

Unser Widerstand muß mit der Zurückweisung der Legitimität der US-Okkupation Iraks beginnen. Das bedeutet Handeln, um es dem Imperium unmöglich zu machen, seine Ziele zu erreichen. Es bedeutet, Soldaten sollten sich weigern zu kämpfen, Reservisten sich weigern, eingezogen zu werden. Arbeiter sollten es ablehnen, Schiffe und Flugzeuge mit Waffen zu beladen. Es bedeutet auch, daß wir in Ländern wie Indien und Pakistan die Pläne der US-Regierung zum Scheitern bringen müssen, indische und pakistanische Soldaten zum Saubermachen nach Irak zu schicken.

Ich schlage vor, daß wir auf einer gemeinsamen Abschlußzeremonie von Weltsozialforum und Mumbai Resistance zwei wichtige Unternehmen auswählen, die von der Zerstörung Iraks profitieren. Wir könnten jedes Projekt, in das sie involviert sind, erfassen. Wir könnten ihre Büros in jeder Stadt und in jedem Land der Welt lokalisieren. Wir könnten sie jagen, zur Schließung zwingen. Es ist eine Frage, unsere kollektive Weisheit und Erfahrung aus vergangenen Kämpfen für ein einzelnes Ziel einzubringen. Es ist eine Frage des Wunsches zu siegen.

Das »Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert« strebt danach, Ungleichheit fortzusetzen und amerikanische Hegemonie um jeden Preis, selbst wenn er apokalyptisch ist, zu errichten. Das Weltsozialforum verlangt Gerechtigkeit und Überleben. Aus diesen Gründen müssen wir uns als im Krieg befindlich betrachten.

Aus: junge Welt, 20.01.2004


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