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Es bleibt bei Panzer statt Brot

Rio-Appell "Abrüstung für Entwicklung" bleibt beim UN-Gipfel ungehört

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Am Rande des UN-Gipfels in Rio wurde am Donnerstag ein von Nobelpreisträgern aus aller Welt unterzeichneter Appell dem brasilianischen Entwicklungsminister überreicht. Darin wird »Abrüstung für eine nachhaltige Entwicklung« gefordert.

Ohne Abrüstung kann es keine nachhaltige Entwicklung geben. Dies ist die feste Überzeugung von über 50 Nobelpreisträgern, die deshalb in einer gemeinsamen Erklärung die Delegierten beim UN-Gipfel »Rio+20« aufgefordert haben, das Thema Abrüstung in ihr offizielles Abschlussdokument aufzunehmen. »Die Millennium-Entwicklungsziele können nicht realisiert werden, wenn die Welt ihren Reichtum für Militarismus vergeudet.« Trotz eines medienwirksamen Panzers aus Brot vor dem Kongresszentrum »Riocentro« blieb der Appell »Abrüstung für eine nachhaltige Entwicklung« bei den UN-Delegierten ungehört.

»2010 beliefen sich die weltweiten Militärausgaben auf 1630 Milliarden US-Dollar - trotz der Tatsache, dass eine Milliarde Menschen hungern und noch mehr keinen Zugang zu sauberem Wasser oder ausreichender Gesundheitsversorgung haben«, heißt es in der von diversen Nichtregierungsorganisationen wie dem Internationalen Friedensbüro, dem Internationalen Netzwerk von Ingenieuren und Wissenschaftlern für globale Verantwortung, Foreign Policy in Focus, Mayors for Peace und World Future Council (WFC) initiierten Erklärung. Zu den Unterzeichnern gehören etwa die Chemienobelpreisträger Walter Kohn, Paul Crutzen und Gerhart Ertl, der Physiknobelpreisträger Jack Steinberger und die Friedensnobelpreisträger Shirin Ebadi, José Ramos Horta, Erzbischof Tutu und Rigoberta Menchú. Die heutigen Klima- und Umweltbedingungen, heißt es weiter, verschärften das Ungleichgewicht noch. Trotzdem scheinen offenbar unbegrenzte finanzielle Ressourcen für Militärflugzeuge, Panzer, Schiffe, Bomben, Raketen, Landminen und Atomwaffen zur Verfügung zu stehen Die Regierungen der Welt sollten deshalb beim Rio-Gipfel einen globalen Abrüstungsplan beschließen, um die freiwerdenden finanziellen Mittel für soziale, wirtschaftliche und ökologische Programme zu verwenden.

Doch wie bereits bei der ersten »Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung« in Rio im Jahr 1992 blieben auch diesmal beim Erdgipfel die Herausforderungen Frieden und Abrüstung außen vor. »Das vorliegende Abschlussdokument ist ein Ausdruck des Versagens und des Scheiterns, ein Ausdruck von Stillstand ja Rückschritt«, macht denn auch Reiner Braun, Sprecher der Appell-Initiative und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. »Das ausgemauschelte Gipfeldokument gibt keine Antwort, auf die globalen Herausforderungen der Zeit. Aktionen, Umsetzung und Zielprojektionen fehlen völlig.«

Auch am Gastgeber der Umweltkonferenz in Rio lässt Braun kein gutes Haar. »Brasilien entwickelt sich zu einem militärischen Hegemon der Region, es rüstet ›an allen Fronten‹ auf.« Dabei fehle es gleichzeitig an Geld für Schulen, Universitäten und Krankenhäuser. Brasiliens aktuelle Politik sei Mitschuld an der weltweiten Umweltzerstörung, so der VDW-Sprecher. »Industriell nachholende Entwicklung verträgt dieser Planet nicht mehr, das gilt auch für die Amazonasregion und die Ausbeutung der Ozeane vor der brasilianischen Küste.«

Angesichts des seiner Ansicht nach gescheiterten Umweltgipfels von Rio de Janeiro fordert Braun ein grundsätzliches Umdenken über Gipfeldiplomatie und das weitere Vorgehen. Das gelte auch für die internationale Zivilgesellschaft. »Zugespitzt formuliert: Das fehlinvestierte Geld der Zivilgesellschaft in nutzloses Lobbying muss in Aktionen und Aufklärung eingesetzt werden.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 23. Juni 2012


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