Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rio+20: Bündnis der Bremser

UN-Umweltgipfel handelt wachsweiche Schlusserklärung aus

Von Gerhard Dilger, Rio de Janeiro *

Bereits vor der Eröffnung der UN-Umweltkonferenz »Rio+20« haben sich die Teilnehmer auf eine Abschlusserklärung geeinigt.

Begleitet von heftiger Kritik ist am Mittwoch in Rio de Janeiro der UN-Gipfel zu nachhaltiger Entwicklung offiziell eröffnet worden. Zu dem Treffen werden bis Freitag über 100 Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter der französische Präsident François Hollande und Chinas Premier Wen Jiabao. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nehmen teil.

Die Konferenz soll die Weichen für ökologisches Wirtschaften und mehr soziale Gerechtigkeit stellen. Bereits am Dienstag (Ortszeit) hatten sich die mehr als 190 Teilnehmerstaaten überraschend auf den Entwurf einer Schlusserklärung geeinigt, der von Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen als enttäuschend gewertet wird. So werden nur allgemeine Aussagen zu einer »Grünen Wirtschaft« und einer möglichen Aufwertung des UN-Umweltprogramms gemacht.

Beim Meeresschutz mussten die EU, die Inselstaaten und einige Länder Südamerikas eine bittere Niederlage einstecken: Ein »Bündnis der Bremser« von den USA, Kanada und Russland über Japan bis Venezuela verhinderte konkrete Fortschritte. Die EU hatte sich insgesamt konkretere Beschlüsse erhofft, aber zusammen mit den USA die Einrichtung eines Fonds für Entwicklung und Umwelt abgelehnt.

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, die den Gipfel zusammen mit Ban Ki Moon eröffnete, bezeichnete die Abschlusserklärung als Erfolg: »Ich kenne keine Umweltkonferenz, bei der es bereits im Vorfeld eine Einigung gegeben hat.« Die Interessen aller Länder seien darin berücksichtigt, sagte Rousseff.

Die Konferenz findet 20 Jahre nach dem legendären »Erdgipfel« von 1992 in Rio statt. Deutschland wird von Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) vertreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihre Teilnahme abgesagt.

Aktivisten, die beim »Gipfel der Völker« zusammengekommen sind, organisierten eine Großdemonstration, die sich am Nachmittag in der Innenstadt von Rio in Bewegung setzte. Der »Rio+20«-Erklärung wollen sie ein eigenes Manifest entgegenstellen. Bereits in den letzten Tagen war es zu Protesten gekommen, etwa gegen die brasilianische Entwicklungsbank, die in ganz Südamerika umstrittene Staudämme und Infrastrukturprojekte finanziert.

Wie dringend Lösungen für die globalen Umweltprobleme sind, verdeutlicht ein aktueller UNICEF-Bericht: Immer noch leben knapp 780 Millionen Menschen ohne sauberes Trinkwasser.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 21. Juni 2012


»Rio+20« - Gipfel der Verschiebung

Viel Kritik an der Abschlusserklärung

Von Gerhard Dilger, Rio de Janeiro **


Enttäuschung und Hohn - Nichtregierungsorganisationen lassen kaum ein gutes Haar an der Abschlusserklärung des UN-Umweltgipfels von Rio.

Im Grunde war der »Rio+20«-Gipfel bereits vorbei, bevor er am Mittwoch Vormittag offiziell eröffnet wurde: An der windelweichen Abschlusserklärung, die Brasiliens Außenminister Antonio Patriota am Dienstag (Ortszeit) per Akklamation absegnen ließ, wird sich wohl nichts Grundlegendes mehr ändern. Alle strittigen Punkte werden verschoben: Frühestens 2014 soll ein Fonds für Entwicklung und Technologietransfer beschlossen werden - die Länder des Südens hatten 30 Milliarden Dollar jährlich gefordert. Ab 2015 könnten Nachhaltigkeitsziele eingeführt werden, zu welchen Themen, blieb allerdings offen. Und zu einer Einigung über eine Konvention zum Artenschutz auf hoher See wird es nun frühestens im September 2016 kommen. Die EU scheiterte mit ihrem Ziel, eine »Road Map« für die »Grüne Wirtschaft« zu beschließen.

Die Entwicklungsländer beharrten auf der Betonung sozialer Aspekte und der Aufrechterhaltung des 1992 beschlossenen Prinzips »gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortung«, das zumindest theoretisch die Industrieländer stärker in die Pflicht nimmt. US-Verhandlungsführer Todd Stern sagte, viele Länder seien mit Teilen des Textes unzufrieden; deshalb werde der Gastgeber Brasilien dafür sorgen, dass es beim kleinsten gemeinsamen Nenner bleibt.

Der brasilianische Umweltaktivist Rubens Born kleidete seinen Frust über die Vertagung zahlreicher Streitpunkte in eine Fußballmetapher: »Wenn man keinen Neymar (brasilianischer Stürmer, d.Red.) hat, bringt es nichts, nur den Ball nach vorne zu spielen.«

Spott und Hohn gab es genug für das 49-seitige Abschlussdokument. »Nichts als Versprechungen«, meinte Marcelo Furtado von Greenpeace Brasilien. »Heiße Luft« findet Welthandelsexperte Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst. Zufrieden registrierte er, dass aber auch die »Green Economy« zur »Worthülse« geworden sei. Benjamin Luig vom Hilfswerk Misereor sagte, angesichts der rasanten Übernutzung des Planeten auf Kosten der Armen sei es ein Skandal, dass sich die verhandelnden Staaten bereits vor dem eigentlichen Gipfel mit einem wachsweichen Abkommen zufrieden geben wollten. »Auch die letzten Reste an verbindlichen Schritten wurden damit fallen gelassen.«

Brasiliens frühere Umweltministerin Marina Silva vermisste bei ihrer Regierung inhaltliche Führungsstärke. Für die Inderin Vandana Shiva ist die Erklärung »verantwortungslos, dadurch wird die Untätigkeit der Regierungen gerechtfertigt«.

Das Dokument sei immer noch zu sehr an Wirtschaftsinteressen ausgerichtet, sagte BUND-Vorsitzender Hubert Weiger. »Der Glaube an ein unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt ist ein Irrglaube.«

Enttäuscht über den Stillstand beim Meeresschutz zeigten sich die Vertreter der Inselstaaten. »Ein schwaches Papier, aber eigentlich hatte ich nicht mehr erwartet«, sagte Vasnatt Jogoo von der achtköpfigen Delegation aus Mauritius dem »nd«. Er verwaltet einen Nachhaltigkeitsfonds der Regierung und erhofft sich von den Industrieländern größeres Entgegenkommen beim Technologietransfer: »Innovative Firmen aus Nord und Süd müssen gezielt gefördert werden.«

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 21. Juni 2012


Systemfrage

Von Kurt Stenger ***

Bei UN-Umweltgipfeln gibt es bisweilen merkwürdige Konstellationen. Die USA und Venezuela, deren Regierungen sich außenpolitisch eigentlich nicht riechen können, verhinderten gemeinsam bei der Konferenz »Rio+20« Beschlüsse für einen besseren Schutz der Weltmeere - zu Gunsten ihrer Ölindustrie. Diese stößt wegen des Rückgangs der leicht förderbaren Ressourcen zunehmend in die Tiefsee vor und will sich dabei nicht von ökologischen Bedenken stören lassen.

Allen Beteuerungen vom stärkeren »grünen« Wirtschaften zum Trotz soll der Raubbau unvermindert weitergehen. Dabei hat der finanzmarktgetriebene Kapitalismus mit seinen Wachstumszwängen neben der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auch die soziale Spaltung massiv verschärft. Und so dreht sich in Rio doch Vieles um die Systemfrage: Beim Gegengipfel wird sie direkt gestellt und man sucht dort nach Antworten; bei der offiziellen UN-Konferenz bemühen sich die meisten Delegierten, irgendwie um sie herum zu lavieren. Die Industrieländer hoffen auf einen Wachstumsschub durch grüne Technologien, der für viele neue Jobs sorgt und auch den taumelnden Banken und den Industriekonzernen neue Geschäftsfelder erschließt. Geld dafür ist freilich nicht verfügbar, denn gigantische Summen werden in die Bewältigung der Finanzkrisen gesteckt. Dabei sind diese womöglich die letzten Zuckungen eines Wirtschaftsmodells, das an seine Grenzen stößt: Das Finanzsystem steuert nicht nur im Euroraum auf den Kollaps zu und das Ökosystem steht vor dem Umwelt-GAU.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 21. Juni 2012 (Kommentar)


Zurück zur Globalisierungs-Seite

Zurück zur Homepage