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"Deutliches Signal gegen Irak-Krieg"

Weltsozialforum in Nairobi: Gleichzeitig Mobilisierung gegen G8-Gipfel

"Das Weltsozialforum muß sich für einen bedingungslosen, sofortigen Abzug der US-Truppen aus dem Zweistromland aussprechen", lautet ein Fazit aus einem Interview, das die Tageszeitung "junge Welt" mit dem deutschen Teilnehmer Peter Delis führte. Peter Delis ist ehrenamtlicher Mitarbeiter der Friedens- und Zukunftswerkstatt in Frankfurt am Main und Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag. Neben dem Interview dokumentieren wir noch Informationen aus derselben Zeitung über die Ziele der deutschen Delegation in Nairobi.



"Deutliches Signal gegen Irak-Krieg"

Ein Gespräch mit Peter Delis

Sie nehmen am 7. Weltsozialforum teil. Was erwarten Sie von dem Treffen in Kenias Hauptstadt Nairobi?

Zum einen eine bessere Vernetzung der nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGO), weitere konkrete Schritte, aber auch einen kleinen Schub für das nächste deutsche Sozialforum. Das soll im Oktober in Cottbus stattfinden und wird im Dreiländereck Tschechoslowakei, Polen und Deutschland sicherlich spannend. Viele der an den Vorbereitungen Beteiligten kommen auch nach Nairobi. Zum anderen geht es ganz allgemein um die Frage, mit welchen alternativen Konzepten wir den unmenschlichen Seiten der Globalisierung begegnen. Ein Thema wird sein, daß die multinationalen Konzerne, die Beschäftigten gegeneinander ausspielen. Die Löhne stagnieren und Arbeitszeiten und -bedingungen verändern sich dramatisch. Gleichzeitigen explodieren die Gewinne. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren.

Bisher hat sich die deutsche Friedensbewegung wenig um die Weltsozialforen gekümmert. Ändert sich das jetzt?

Ich hoffe schon. In diesem Jahr fährt eine Reihe von Vertretern der Friedensbewegung nach Nairobi. Nur bei sozialer Gerechtigkeit ist Frieden möglich, das sehen alle in der Antikriegsbewegung so.

Wird es aus Deutschland Vorschläge für internationale Friedensaktionen oder Kampagnen geben, die in den kommenden Tagen in der kenianischen Hauptstadt diskutiert werden könnten?

Wir werden zum Beispiel die Vorbereitungen für die Proteste und Veranstaltungen gegen den G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm bei Rostock vorstellen und die Menschen einladen, sich daran zu beteiligen.

Auf dem Forum wird die von der US-Regierung geplante Eskalation im Irak eine wichtige Rolle in den Diskussionen spielen. Welche Ergebnisse erwarten Sie?

In Nairobi ist eine ganze Reihe von Friedenstreffen geplant. Ich gehe davon aus, daß auf diesen die Forderung nach bedingungslosem, sofortigem Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak breite Unterstützung finden wird. Das Geld, das jetzt für den Militäreinsatz ausgegeben wird, muß in Hilfs- und Wiederaufbauprojekte fließen. Wenn man die täglichen Opfer sieht, während gleichzeitig die Vorschläge der Baker-Kommission ignoriert werden und statt dessen die US-Militärpräsenz aufgestockt wird, ist eine klare Antwort auf dem Weltsozialforum unabdingbar.

Sind internationale Friedenskampagnen oder Aktionstage vom Forum zu erwarten?

Mit Sicherheit. Zum einen natürlich gegen die Besatzung des Irak, und in Hinsicht auf die G-8-Proteste. Aber den Begriff Frieden darf man nicht so eng auslegen. Soziale Ausbeutung ist auch für Friedensaktivisten kein fremder Begriff. Das wird nicht viel anders sein, als bei den bisherigen Weltsozialforen, von denen ja zahlreiche internationale Aktivitäten unter anderem gegen den Irak-Krieg ausgingen. Zum anderen wird sicherlich auch darüber gesprochen werden, wie die drohende Aggression gegen den Iran verhindert werden kann. Man darf aber den Iran nicht isoliert betrachten. Der ganze Nahe Osten ist latent von Hegemonieansprüchen bedroht. Man denke nur an Israels Drohungen mit einem nuklearen Erstschlag.

Zwischen der EU und Afrika werden die Mauern immer höher. Mit buchstäblich aller Gewalt versucht Europa, afrikanische Flüchtlinge draußen zu halten. Allein vor den Küsten der kanarischen Inseln sind deshalb im vergangenen Jahr mehrere tausend Menschen ertrunken. Mit welcher Position gehen deutsche NGOs angesichts dessen nach Nairobi?

Wir sind natürlich gegen diese Abschottung. So lange der Wohlstand auf der Welt so ungleichmäßig verteilt ist, wird es Migration geben. Da helfen weder Grenzzäune noch die »Border Force«, auf die sich die EU-Innenminister kürzlich geeinigt haben. Wir hoffen, daß Nairobi die europäischen und afrikanischen Organisationen einander näher bringt, damit sie gemeinsam nach Lösungen suchen können. Migranten verlassen nie freiwillig ihr Land, sondern werden von Not und Verfolgung getrieben. Die Forderung nach einem gerechten Handel spielt für uns in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Interview: Wolfgang Pomrehn

Delegationen aus Deutschland: Mobilisierung gegen G-8-Gipfel

ATTAC Deutschland ist mit einer zehnköpfigen Delegation in Nairobi vertreten. »Das Weltsozialforum ist eine wichtige Etappe bei der Mobilisierung der internationalen Zivilgesellschaft gegen den G-8-Gipfel in unserem Land. ATTAC wird diese Chance nutzen«, sagte Peter Wahl vom Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks. Vom 6. bis 8. Juni treffen sich im deutschen Heiligendamm die Staats- und Regierungschefs der sieben mächtigsten Industriestaaten und Rußlands zum G-8-Gipfel. ATTAC ruft gemeinsam mit anderen Organisationen zu Protesten auf.

Wie wenig sich die Menschen in Afrika von der G8 erwarten können, zeigen die leeren Versprechen, die ihnen 2005 in Gleneagles gemacht wurden. Damals vereinbarte die G8, die Entwicklungshilfe für Afrika bis zum Jahr 2010 auf 50 Milliarden US-Dollar anzuheben. Tatsächlich ist sie laut OECD um 2,1 Prozent gesunken, rechnet man den Schuldenerlaß für Nigeria im Jahr 2005 heraus. Derzeit liegt die Entwicklungshilfe der G8 für Afrika bei rund 24 Milliarden US-Dollar, nicht einmal die Hälfte dessen, was versprochen wurde.

Laut Weltbank werden im Jahr 2030 mehr als 75 Prozent der Bevölkerung der Subsahara »zu den Ärmsten der Welt gehören«. 2000 waren es 50 Prozent. Gleichzeitig verzeichnet Afrika den weltweit größten Zuwachs an Millionären in den vergangenen zehn Jahren. Peter Wahl: »Daraus folgt klar, daß wir eine andere Entwicklungsstrategie für Afrika brauchen, sollen diese Horrorszenarien nicht Wirklichkeit werden.« Im Mittelpunkt müsse die Verteilungsfrage stehen. Die Aufgabe der reichen Länder sei es, die Rahmenbedingungen für eine Weltwirtschaft zu schaffen, die allen eine Teilhabe am vorhandenen Reichtum ermöglicht.

Heike Hänsel und Hüseyin-Kenan Aydin von der Linksfraktion des Bundestages wollen auf dem Weltsozialforum »neue Impulse gegen die EU-Handelspolitik aufnehmen«. Die Bundesregierung habe die Afrika-Politik ins Zentrum der deutschen EU-Rats- und G-8-Präsidentschaft gestellt. Ein zentraler Punkt werde die Verhandlung von sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zwischen der EU und den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) sein. »Es ist zu befürchten, daß die geplanten EPAs die Armut in den Entwicklungsländern eher vertiefen als beseitigen werden«, erklärten Hänsel und Aydin vor ihrer Abreise. Wenn sich die EU-Kommission bei den EPAs durchsetze, werde das katastrophale Auswirkungen auf die afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten haben.



* Aus: junge Welt, 20. Januar 2007


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