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Haftstrafen für Polizisten

Neun Jahre nach dem G-8-Gipfel in Genua wurden 44 Beamte verurteilt

Von Matthias Monroy *

Insgesamt 44 Polizisten, Vollzugsbeamte und Mediziner sind am vergangenen Freitag von einem Berufungsgericht in Genua wegen Autoritätsmißbrauch, Nötigung und Mißhandlung verurteilt worden. Hintergrund der Verfahren war das brutale Vorgehen von Polizei und Carabinieri gegen rund 300 Demonstranten während der massiven Proteste gegen das G-8-Gipfeltreffen in Genua im Jahr 2001. Die meisten der damals verhafteten Demonstranten waren in der Polizeikaserne Bolzaneto eingesperrt worden, darunter auch jene 63 Aktivisten, die nach dem Polizeiüberfall auf die als Schlafstätte dienende Diaz-Schule eine Woche lang festgehalten wurden. Die damals Verhafteten dokumentierten Schläge, Beleidigungen, systematische Demütigungen und Folter. Betroffene mußten stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen und waren Schlafentzug, Androhung sexueller Gewalt sowie CS-Gas in den Zellen ausgesetzt. Einige wurden gezwungen, faschistische Lieder zu singen und vor Fotos des italienischen Diktators Mussolini zu salutieren, während anderen Finger gebrochen und Piercings ausgerissen wurden.

Von den nun verurteilten Beamten waren 30 erstinstanzlich zunächst aus »Mangel an Beweisen« freigesprochen worden. Diese Freisprüche wurden jetzt aufgehoben, andere Strafen wurden deutlich heraufgesetzt. Unter den Verurteilten ist auch der durch seine Brutalität aufgefallene Gefängnisarzt Giacomo Toccafondi, der Verletzten die Behandlung verweigerte und sich statt dessen an Mißhandlungen beteiligte. Allerdings werden wohl nur Toccafondi und sechs Polizisten ihre Haftstrafen zwischen zwölf Monaten und drei Jahren antreten müssen. Die übrigen profitieren von der kürzeren Verjährungsfrist der ihnen zur Last gelegten Delikte.

Im Bolzaneto-Verfahren traten 154 Betroffene und ihre Angehörigen aus verschiedenen Ländern als Nebenkläger auf. In erster Instanz war ihnen bereits eine »sofortige Entschädigungsleistung« zugesprochen worden. Doch bislang ist nicht ausgemacht, welche Regierungsstellen für die Zahlungen von bis zu 50000 Euro verantwortlich sind. Waren die Täter Polizisten, soll das Innenministerium zahlen, bei Beteiligung von Gefängnispolizisten liegt die Verantwortung beim Justizministerium. Am Freitag (6. März) hat das Gericht nun zuvor freigesprochene Carabinieri verurteilt, so daß jetzt auch das Verteidigungsministerium zu Zahlungen verpflichtet ist. Die Ministerien können das Geld von den verurteilten Beamten zurückfordern.

Zwar wird das Urteil von Teilen der italienischen Öffentlichkeit als Sieg der »Gerechtigkeit« interpretiert. In Italien gibt es allerdings keinen Paragraphen, der Folter unter Strafe stellt. Deshalb waren im Bolzaneto-Verfahren in erster Instanz etwa »niedere Beweggründe« und das »Fehlen eines Anlasses« als taterschwerende Umstände abgewiesen worden. Indes hatte das gleiche Berufungsgericht im vergangenen Jahr gegen 25 Demonstranten Haftstrafen von bis zu elf Jahren wegen gemeinschaftlich begangener »Plünderung und Verwüstung« verhängt. Was genau das Gericht nun zu einer höheren Verurteilung der Polizisten und Mediziner bewogen hat, das wird erst die schriftliche Urteilsbegründung enthüllen. Offenbar wurden diesmal die Aussagen der Mißhandelten höher bewertet als zuvor.

* Aus: junge Welt, 9. März 2010

Zur Erinnerung an Genua 2001:
Das Menetekel von Genua - Eine Nachlese
Und eine Stellungnahme von Prof. Dr. Bodo Zeuner (FU Berlin) (August 2001)


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