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Geht doch nach Lüneburg!

Geschürte Ängste: Der Kampf um die Köpfe vor der großen G 8-Demonstration am 2. Juni in Rostock ist in vollem Gange

Von Marina Achenbach *

Massenhysterie gibt es leider immer wieder, in verschiedenen Dosierungen - sie ist herstellbar. Zur Zeit sind wir Zeugen, wie es geschieht. Oder schon Opfer. Das dumpfe Gefühl von Bedrohung ist anwesend, ohne dass alle genau ausmachen können, woher die Gefahr stammt. Man erliegt leicht der Versuchung, die G 8-Kritiker zum Sündenbock machen zu wollen, ohne die alles so schön glatt über die Bühne gehen könnte. In diese Lage sind die Bewohner der Region zwischen Rostock und Ostsee-Küste geraten. Auch noch ihre Sorge um "den Vorgarten" oder um den Weg zur Arbeit dient in jüngster Zeit dazu, den Protest mies zu machen. In den Medien stößt man immer häufiger auf Berichte über die Ängste der Bevölkerung, als wäre das ein Beweis gegen den Protest.

Die Sorge um den eigenen Garten ist nicht so abwegig angesichts von Tausenden angekündigten Polizisten und Demonstranten. Jeder, der dort lebt, könnte sie äußern, wenn er von Journalisten gefragt wird. Und wenn weitere Fragen kämen? Vielleicht die: Was halten Sie von der Politik der USA und diesen G 8? Bliebe ein verlegenes Schweigen? Das politische Gespräch gehört kaum zu den Gebräuchen in deutschen Haushalten, auch in Mecklenburg nicht. Aber bei etwas Geduld würden die Befragten wohl den Irak-Krieg als Argument gegen die G 8 ins Feld führen. Auch die Verarmung großer Menschenmassen, den Raubbau an Ressourcen. Vielleicht fiele ihnen noch die drohende Klimakatastrophe ein. Es gibt Umfragen, die zeigen, dass die Bevölkerung die vom Neoliberalismus ausgelösten Entwicklungen ablehnt und die Verursacher kennt. Nur wie das alles aufzuhalten wäre, weiß man kaum zu sagen.

Würde der Klimawandel erwähnt, käme sicher eilig der Einspruch: Aber dagegen wollen die G 8 doch etwas unternehmen - ist das nicht löblich? Vermutlich hätten dann nicht alle die Antwort parat, dass den G 8 dafür viele Gelegenheiten geboten sind, UN-Konferenzen, Abkommen, die gerade die USA nicht unterzeichnen und andere Staaten trickreich unterlaufen. Das Argumentieren muss man lernen. Hier sei noch einmal betont: Die G 8-Kritiker gehen nicht nur auf die Straße, sondern veranstalten Vorträge und Debatten zu den heißen Themen eine Woche lang in Rostock, beim "Alternativen Gipfel", der eine lange Tradition hat. Da kommen auch die Gegenvorschläge zur Sprache, die angeblich fehlen, wie so oft süffisant und vorwurfsvoll angemerkt wird.

Außerdem werden an besonderen Aktionstagen vom 1. - 9. Juni die Militarisierung, die globale Landwirtschaft, die Tragödie der Flüchtlingsströme - die einerseits ausgenutzt werden, andererseits Repression ausgesetzt sind - im Mittelpunkt stehen. Das alles erfährt die Öffentlichkeit durch die Medien kaum, nur die geplanten Blockaden sind im Fokus. Bis zur unfreiwilligen Komik: Putin und Merkel werfen sich inzwischen gegenseitig die Unterdrückung von Kritikern vor.

Die deutschlandweiten Polizeirazzien vom 9. Mai gelten manchen als Beweis, dass starke Verdachtsmomente vorgelegen haben müssen. Es wird geraunt, vermutet und die Angst gesteigert. Eine Art neue RAF - vorerst ist noch von "linksradikalen Strukturen" die Rede - könnte sich bilden unter dem "Deckmantel" des G8-Protestes. Unter dem "Deckmantel", ein altes Wort. Bei Gesellschaftskritik von links wird immer ein doppelter Boden unterstellt. Die Betroffenen nennen es "Halluzinationen" des Innenministers. Vielleicht lässt sich behaupten, dass nichts im Umfeld des G 8-Gipfels so offen liegt, so durchschaubar ist wie der Protest, der aus Hunderten von Gruppen besteht, denen es bis jetzt gelungen ist, sich nicht gegeneinander ausspielen und aufhetzen zu lassen.

Die Medien stehen bereit. Was sie nicht berichten, ist fast nicht anwesend. Was sie falsch berichten, bleibt als Bild oder Begriff für lange Zeit hängen. In einer Radiosendung wurde diskutiert, warum der Protest, um die Bevölkerung zu schonen, sich nicht in der Lüneburger Heide versammle. Schließlich würden ja die G 8 und die Öffentlichkeit über die Medien davon erfahren. Allen Ernstes. Der junge Angestellte einer Firma für Bühnentechnik erzählte in einer Runde: Die Globalisierungskritiker hätten sich Videoleinwände aus aller Welt zusammengeholt, obwohl sie gegen die Globalisierung seien.

Nein, nein, stöhnte jemand auf, die sind nur gegen die Art und Weise, gegen die Multis. Wie man so spricht, wenn man nicht auf einem Podium sitzt. Der Techniker sagte verdutzt: Dann müssen die das aber deutlicher erklären. Was sollen sie erklären? Und wer gibt ihre Erklärungen richtig weiter? Die Mediengewalt ist schwer zu übertreffen, kaum zu umgehen, höchstens durch Tatsachen zu zwingen. Durch Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm, durch konkretes Stören und Behindern, denken manche aus dem Protestlager nicht unlogisch. Obwohl sie die Medien verachten. Ihnen geht es um Zeichen gegen die scheinbare Allmacht des Staates.

Eine möglichst große Demonstration wird die Öffentlichkeit beeindrucken, finden die meisten. Am Samstag, dem 2. Juni, findet sie statt, die so genannte zentrale Demonstration, an der sich alle Gruppen beteiligen. Sie beginnt um elf Uhr und führt durch Rostock, sie ist der Kern des Protestes, ihr gesammelter Ausdruck, ihr Auftakt auch. Die Welle der Durchsuchungen vom 9. Mai hat übrigens Buchungen in Bussen und Sonderzügen sprunghaft steigen lassen.

Wenn die Demonstration Kraft ausstrahlt, wenn ihre Losungen unter die Menschen kommen, dann werden die Konflikte, Verhaftungen, handgreiflichen Auseinandersetzungen - die Polizei bereitet sich seit langem eifrig darauf vor - nicht allein das Bild bestimmen. Denn in Wirklichkeit läuft wieder einmal ein groß angelegter "Kampf um die Köpfe": um den Machtanspruch der imperialen Staaten, den sie in Heiligendamm legitimieren wollen, oder um die weltweite Kritik, die sich Gehör verschafft.

* Aus: Freitag 21, 25. Mai 2007


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