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G 20 im Zeichen der Kriegsdrohung

Petersburger Gipfel beriet über ein Thema, das gar nicht auf der Tagesordnung stand

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Offiziell steht Syrien nicht einmal auf der Agenda des zweitägigen Gipfels der größten Industrienationen und der am schnellsten wachsenden Schwellenländer, der gestern Abend in St. Petersburg begann.

Eine Sondersitzung zu Syrien werde es nicht geben, erklärte der Pressesprecher von Präsident Wladimir Putin kurz vor Beginn der ersten Arbeitssitzung der zwanzig Staats- und Regierungschefs im Konstantin-Palais am Finnischen Meerbusen. Experten fürchten, das Thema werde dennoch den gesamten Gipfel und auch die bilateralen Gespräche am Rande überschatten. Zumal sich auch der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Syrien, Lakhdar Brahimi, angesagt hat. Er soll die Teilnehmer offenbar bei der Suche nach einem Kompromiss unterstützen und damit die geplante zweite Syrien-Konferenz retten, die nach einem Militärschlag keinen Sinn mehr macht.

Die Chancen dazu tendieren aus russischer Sicht gegen Null. US-Präsident Barack Obama, warnten Experten schon vor dem Gipfel, stehe zu Haus unter massivem Druck und müsse Stärke zeigen. Den Gipfel, twitterte der Chef des Auswärtigen Duma-Ausschusses, Alexej Puschkow, werde er daher dazu nutzen, die Notwendigkeit von Gewaltanwendung in Syrien zu begründen und nach Verbündeten dabei zu suchen. Gastgeber Putin dagegen werde eben dort für eine Allianz der Unwilligen wie beim Irak-Krieg 2003 werben.

Die Szenarien damals und jetzt, kritisierte das russische Außenamt, würden sich verblüffend ähneln. Gemeint waren die Kernwaffen, über die Iraks Diktator Saddam Hussein angeblich verfügt. »Wasserdichte Beweise« dafür stellten sich später als Luftnummer heraus. Moskau wurmt daher besonders, das die USA nicht einmal gewillt sind, die Untersuchungsergebnisse der Proben abzuwarten, die UN-Chemiewaffenexperten nach dem Giftgasanschlag Ende August östliche von Damaskus zogen. Derzeit werden sie in Den Haag analysiert, Friedensnobelpreisträger Obama indes will sich, wie Putin mit ätzender Ironie kritisierte, den Militäreinsatz schon Montag vom Kongress genehmigen lassen.

Dass der Beginn der Operation zeitlich nicht mit dem Gipfel zusammenfällt, kann Moskau dennoch als diplomatischen Erfolg verbuchen. Washington, so russische Experten mehr oder minder unisono, sei nicht an einer weiteren Eskalation der Spannungen im Verhältnis zu Russland interessiert, das derzeit ohnehin ähnlich schlecht ist wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Putins Sprecher Dmitri Peskow äußerte, dass die Beziehungen beider Staaten eines Neustarts bedürften. Sein Land wünsche sich gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Jetzt würden die Beziehungen aber »nicht die besten Zeiten erleben«.

Der Streit um Washingtons globale Raketenabwehr, durch die Russland sich bedroht fühlt, US-Einreiseverbote für russische Menschenrechtssünder, für die Moskau sich mit Adoptionsstopp für russische Waisen durch US-Pflegeeltern rächte, oder politisches Asyl in Russland für US-Whistleblower Edward Snowden sind nur die Spitze des Eisbergs.

Der Streit um das Vorgehen in Syrien würde die Kluft weiter vertiefen und für überschaubare Zeiträume das Aus für Verhandlungen zu Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten.

Tonalität und Ergebnisse der Unterredung zwischen Putin und Obama dürften auch entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse des Gipfels haben. Die Staaten der Gruppe der G 20, die sich 2009, auf dem Höhepunkt der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gründeten, erbringen zwar gemeinsam 90 Prozent der Weltwirtschaftsleistung, sind aber politisch höchst unterschiedlich verfasst. Gemeinsame Beschlüsse und deren praktische Umsetzung sind daher ein Produkt vieler Kompromisse. Entsprechend gering ist der Output.

Mindestens so wichtig wie der eigentliche Gipfel sind deshalb die bilateralen Konsultationen am Rande. Putin trifft dabei unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, diese konferierte gestern außerdem mit der geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Heute stehen Konsultationen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, dem chinesischen Präsidenten Xi Jingping, der südkoreanischen Staatschef Park Geun-hye und mit dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan auf Merkels Programm.

Vor der zweiten Arbeitssitzung ist ein Treffen mit Unternehmern und Gewerkschaften vorgesehen. Am Nachmittag wird Putin die Ergebnisse der russischen G-20-Präsidentschaft vorstellen. Für 2014 übernimmt Moskau die Präsidentschaft in der G-8-Gruppe.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 6. September 2013


Neustart

Von Klaus Joachim Herrmann **

Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines »Neustarts« in den Beziehungen zu den USA schickte Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag seinen Sprecher vor. Das ist im Kern die Erinnerung an einen früheren ehrenwerten Versuch. Vor vier Jahren hatten die Chefs der Außenämter, Hillary Clinton und Sergej Lawrow, schon einmal auf einen Reset-Knopf gedrückt. Doch mit der gerade bei diesen beiden Nationen so beliebten Symbolik kam die Wirklichkeit nicht mit. Verdrossen starrten die beiden Supermächtigsten bei ihrer bis dahin letzten direkten persönlichen Begegnung aneinander vorbei.

Barack Obama und Putin mögen sich nicht so recht, lassen weise Beobachter und manche Vertraute aus dem inneren Kreis durchblicken. Das wäre ein genau so einfältiger Ansatz für Politik wie die Beschwörung angeblicher Freundschaften. Es walten in aller Regel Interessen. Wenn der eine den Ausplauderer seiner Geheimnisse um die Welt jagt, hat er triftige Gründe. Ebenso jener, der ihm Asyl gewährt. Da sollte keiner beleidigt sein.

Die Welt hat nicht verdient, dass ihr Schicksal nach persönlichen Vorlieben und Abneigungen der Mächtigsten regiert wird. Mögen sie schmollen oder sich gar nicht mögen, haben sie doch Pflichten. Ganz besonders dann müssen sie miteinander reden, wenn die Dinge nicht so gut laufen, wenn gar Kriege drohen. Neustart tut dringend not. Große Macht ist große Verantwortung, Supermacht ist super Verantwortung.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. September 2013 (Kommentar)


Freibrief für 60 Tage Krieg gegen Syrien

US-Senatsausschuss stimmt für Militärschlag ***

US-Präsident Barack Obama hat Rückendeckung für seinen angedrohten Militärschlag gegen Syrien bekommen. Der Ausschuss für Auswärtige Beziehungen des Senats stimmte am Mittwoch mit knapper Mehrheit für einen begrenzten Militäreinsatz. Mit zehn zu sieben Stimmen bei einer Enthaltung befürwortete der Ausschuss eine entsprechende Resolution des Weißen Hauses. Sie bedarf aber noch der Zustimmung beider Kammern des Kongresses. Die US-Regierung beabsichtigt, die syrische Regime für deren angeblichen Giftgaseinsatz mit mehr als 1400 Toten vor zwei Wochen zu bestrafen.

Der Entwurf sieht eine Militäraktion vor, die höchstens 60 Tage dauern soll. Nach Ablauf dieser Frist kann Obama den Kongress bitten, den Einsatz um weitere 30 Tage zu verlängern. Die Entsendung von Bodentruppen soll dem Papier zufolge ausgeschlossen sein. Obama hatte zugesichert, dass »keine Soldatenstiefel Fuß auf syrischen Boden setzen« sollen. Bevor er den im Mittelmeer stationierten US-Zerstörern einen Befehl erteilen kann, soll er den Parlamentariern darlegen, dass »alle diplomatischen und friedlichen Mittel« ausgeschöpft seien. Mit dem Votum im Senat hat Obama die erste Hürde genommen.

Ein Passus der Resolution verlangt, die syrischen Rebellen mit Waffen zu unterstützen, sofern diese Kämpfer »geprüft« worden seien und von ihnen keine terroristische Gefahr ausgehe. Damit solle die »Dynamik auf dem Schlachtfeld« verändert werden.

»Eine Militärintervention der USA gegen Syrien wäre politisch verheerend, moralisch falsch und völkerrechtswidrig«, erklärt Wolfgang Gehrcke, Mitglied im Vorstand der Linksfraktion im Bundestag, am Donnerstag anlässlich der Zustimmung des Senatsausschusses für einen Militärschlag.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. September 2013


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